| # taz.de -- Das Bild der Arbeit in der DDR-Kunst: Schön geordnet im Kollektiv | |
| > Identitätsstiftung als Auftrag: Die Ausstellung „Arbeit, Arbeit, Arbeit. | |
| > Serien zur sozialistischen Produktion in der DDR“ im Brandenburger | |
| > Landtag. | |
| Bild: Aus der Serie „Pleinair Mikroelektronik Frankfurt (Oder)“ 1989 | |
| Dass die Frauen, die sich in der betriebseigenen Sauna des Volkseigenen | |
| Betriebs Chemische Werke Buna treffen und auf hölzernen Etagen sitzen, | |
| liegen und schwitzen, einen entspannten Eindruck auf dem kleinen Bild der | |
| Malerin Vera Singer machen, überrascht noch nicht. Mehr vielleicht schon, | |
| dass auch die Wartenden in der Kantine vor der Durchreiche zur Küche alle | |
| Zeit der Welt zu haben scheinen und mit der jungen Küchenhilfe einen | |
| gemütlichen Schwatz halten. | |
| Tatsächlich erinnern die liebevoll gemalten Interieurs der Bilder der 1977 | |
| entstandenen Serie „Buna-Aphorismen. Aus dem Leben eines Großbetriebs“ fast | |
| an Puppenstuben, die von den hineingestellten Bewohnern mit Fröhlichkeit | |
| gefüllt werden. So viel Harmonie ist selten. | |
| Singers kleine Serie gehört zu den älteren Arbeiten in der Ausstellung | |
| „Arbeit, Arbeit, Arbeit. Serien zur sozialistischen Produktion in der DDR“, | |
| die in den Foyers und Fluren des brandenburgischen Landtags in Potsdam | |
| gezeigt wird. Vera Singer, 1927 geboren, war mit ihrer Familie 1938 | |
| emigriert, studierte zuerst in Zürich und München, ab 1948 an der | |
| Kunsthochschule in Weißensee. Ihr Mann Hans Singer war 1969 Direktor der | |
| Buna-Werke geworden. Ihre Bilder illustrieren das Ideal – das Werk als | |
| Kollektiv und Familie –, und mit seiner Darstellung macht sich die | |
| Künstlerin zu einem Teil davon. | |
| Das Warten spielt noch in einer weiteren Serie eine große Rolle. | |
| Ausgestellt sind Titelseiten der satirischen Wochenzeitschrift Eulenspiegel | |
| aus den 1950er bis 1980er Jahren. Die Auflage von 360.000 Exemplaren | |
| vermochte die Nachfrage in der DDR nicht immer zu decken. | |
| ## Erschöpfter Hase, müdes Huhn | |
| Oft widmen sich die Karikaturen auf dem Deckblatt der nichterfüllten Norm, | |
| der Diskrepanz zwischen Propaganda und Wirklichkeit. Ein erschöpfter | |
| Osterhase schnauzt ein müdes Huhn an, mehr Eier zu legen. Mit großem | |
| Medienrummel wird das Aufsammeln eines welken Blatts im Herbst begleitet. | |
| Essensbestellungen gehen verschütt oder an den nächsten Gast, Technik ist | |
| „Außer Betrieb“, Alkohol gern gesehen. Ausführlich wird hier ausgemalt, w… | |
| der „Plan“ ohne den menschlichen Faktor kalkuliert wurde. | |
| Auf der gleichen Etage sind zwischen den Büroräumen der Fraktionen im | |
| Landtag auch drei Gemälde zu sehen, die ein heroisches Bild der Arbeit | |
| entwerfen. Sie stammen aus dem Besitz der Gesellschaft für | |
| Deutsch-Sowjetische Freundschaft, die auch Auftraggeber war. | |
| Der Maler Dieter Rex hatte Studienreisen in die Sowjetunion schon in den | |
| 1970er Jahren unternommen. Die drei Tafeln seiner „Donzesker | |
| Hüttenarbeiter“ von 1988 sind zuerst ein glühendes Farbenmeer, dominiert | |
| von Feuer, Rauch, Hitze, Leidenschaft. Erst allmählich schälen sich aus dem | |
| Farbrausch Gesichter und Gestalten, in Schutzkleidung und in | |
| Arbeitshaltung. Der Eindruck von etwas Funkelndem und Prächtigen wird so | |
| geerdet. | |
| ## Weggeräumt und aussortiert | |
| Elf Künstler und Künstlerinnen präsentiert die Ausstellung, hinzu kommen | |
| Plakate und Zeitschriften, neben dem Eulenspiegel große Reportagen über | |
| arbeitende Frauen aus der Sibylle und Titelblätter der Neuen Berliner | |
| Illustrierten mit individuellen Porträts Arbeitender aller Sparten. Das | |
| Material stammt großenteils aus dem Kunstarchiv Beeskow, das Anfang der | |
| 1990er zu sammeln begann, was, wie Ulrike Liedtke, Präsidentin des | |
| Landtags Brandenburg, in ihrer Rede zur Eröffnung betonte, weggeräumt und | |
| aussortiert wurde aus dem Kunstbesitz von Behörden, Parteien, | |
| Gewerkschaften und Hotels. | |
| Das war vielfach im Auftrag entstandene Kunst, die beitragen sollte zur | |
| Identifikation mit einem Staat und seinem System. Das Bild der Arbeit war | |
| dabei zentral, sollte über sie doch jeder Teil der Gemeinschaft werden. In | |
| ihrem ideologischen Auftrag aber erschöpfen sich die Werke nicht immer. | |
| An ihre Präsentation heute knüpft sich natürlich zum einen viel Erinnerung: | |
| Vor den großartig fotografierten Reportagestrecken aus der Sibylle tauschen | |
| sich bis dahin fremde Ausstellungsbesucher gleich aus, welche Industrien | |
| die Orte ihres Aufwachsens prägten, die heute nicht mehr existieren. Zum | |
| anderen erfährt die [1][Kunst aus der DDR zurzeit eine neue Wertschätzung] | |
| in musealen Ausstellungen, etwa in Düsseldorf oder Dresden. Ihre Narrative | |
| zeugen ja auch von einer Sehnsucht nach Idealen, um deren Verwirklichung | |
| noch immer gekämpft werden muss. [2][Ein jüngeres Publikum lernt die Kunst | |
| eines untergegangenen Staates überhaupt erst kennen.] | |
| ## Ein eigener Rhythmus | |
| Es geht eben auch um Kunstsprachen, um das Ausloten von Spielräumen, um den | |
| Eigensinn im Auftrag. Die FDJ besaß eine Holzschnittserie von Klaus Werner, | |
| die 1985 als Teil seiner Diplomarbeit an der Kunsthochschule Dresden | |
| entstanden war, „Mensch Tier Technik“. Werner hatte Maschinenbau gelernt, | |
| bevor er Kunst studierte. Das Hornvieh wirkt übereinandergestapelt in der | |
| „Kuhtränke“: eine Serie von Leibern. Mensch und Maschinen verzahnen sich in | |
| Schwarz und Weiß, die Dimensionen verschieben sich, der Rhythmus wird | |
| dominant. | |
| Die Holzschnitttechnik verleiht den Blättern etwas Archaisches, Natur und | |
| Technik verschmelzen und stehen sich nicht antagonistisch gegenüber. | |
| Zugleich kann man sich vorstellen, wie der expressive schwarz-weiße | |
| Rhythmus in wilden Jazz übergeht. | |
| 1986 ist auch eine Serie von Edmund Bechtle entstanden, der in | |
| Berlin-Weißensee nach einer Schlosserlehre studiert hatte. Natürlich rühren | |
| auch diese Biografien an – der Arbeiter, der Künstler wird, ist wieder eine | |
| Ausnahme. Die Stadtgärtner, Bauarbeiter, Straßenkehrer, Schneeräumer, die | |
| Bechtle in stillen, melancholischen Stadtlandschaften zeigte, sind ein | |
| unauffälliger, unaufgeregter Teil ihrer Umgebung. Die Bilder von | |
| städtischen Dienstleistern haben nichts Heroisierendes. Entstanden 1986, | |
| muten sie in ihrem malerischen Duktus aber viel älter an. | |
| ## Ungewohnte Schönheit | |
| Ein Künstler, der die Beobachtung von Straßenbauarbeitern für die | |
| Entwicklung eines neuen künstlerischen Konzepts nutzte, war der Fotograf | |
| Kurt Buchwald. In „Asphalt und Arbeit“ aus dem Besitz des FDGB wird aus der | |
| Serie ein Tableau, ein geordnetes Nebeneinander von Details wie Gesichtern, | |
| Handgriffen, Werkzeugen, Teereimer, Knieschützern. Die Details wirken | |
| verfremdet, manches wird skulptural, es vergeht Zeit beim Lesen ihres | |
| Nebeneinanders, und ein Gefühl für die Konzentration und das Verschmelzen | |
| mit der Arbeit, fast als wäre sie ein Tanz, wird erzeugt. Das Marginale | |
| erhält eine ungewohnte Schönheit. | |
| Die Fotografin Marion Wenzel wurde 1989 beauftragt, in der Abteilung | |
| Mikroelektronik im VEB Halbleiterwerk Frankfurt (Oder) zu fotografieren. Da | |
| dort Schmutzfreiheit Gebot war, trugen die Arbeitenden Schutzanzüge, die an | |
| Raumfahrerkleidung erinnern und den schwarz-weißen Bildern etwas | |
| Futuristisches geben. Die Herausforderung war, dieser Anonymisierung der | |
| Personen etwas entgegenzuhalten. Tatsächlich ist es der Fotografin | |
| gelungen, auch durch Inszenierung von Gruppenbildern und Einzelporträts, | |
| die Individualität des Einzelnen in einer Umgebung zu betonen, deren Furcht | |
| einflößende Größe und Sterilität dadurch relativiert wird. | |
| Überraschend ist, dass die meisten der ausgestellten Kunstwerke erst gegen | |
| Ende der DDR entstanden. Kann man die Brüche im System schon sehen? Das ist | |
| nicht so eindeutig, aber die Frage danach im Hinterkopf macht den Besuch | |
| interessant. | |
| 13 Feb 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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