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# taz.de -- Neue Museen in Brandenburg: Ausmisten!
> Preußen raus, Alltag rein. Weil die alten Ausstellungen verstaubt waren,
> gehen das Museum Oder-Spree und das Oderbruchmuseum neue, offene Wege.
Bild: Die Burg Beeskow ist der Stolz der Stadt. Nun bekommt sie ein modernes Mu…
Warum etwas Neues lernen, wenn man auch das Alte versteht? Für die Leute in
Beeskow heißt das Werk des portugiesischen Holzunternehmens Sonae Arauco
immer noch „Die Spanplatte“. 500 Beschäftigte arbeiten hier, neben der
Verwaltung des Landkreises Oder-Spree ist es der größte Arbeitgeber in der
8.000 Einwohner zählenden Stadt.
Doch nicht nur deshalb ist die Spanplatte eine feste Größe. Die Kantine des
einst Volkseigenen Betriebs ist noch immer die Essküche der Stadt.
Mahlzeit, so begrüßen sich Beschäftigte und Beeskower gleichermaßen. Und am
liebsten verputzen sie nach der Mahlzeit Rote Grütze. „Wir haben versucht,
zum Nachtisch schicke Cremes zu servieren“, erinnert sich Gerhard Kusay,
der die Kantine über die Wende gebracht hat und immer noch leitet. „Aber
die Gäste wollen das nicht. Ob Jung oder alt, alle wollen sie die Grütze
so, wie sie zu DDR-Zeiten geschmeckt hat.“ So schmeckt sie also, die
Heimat, nach Roter Grütze.
An einem regnerischen Abend im Dezember 2019 ist wieder einmal Hochbetrieb
bei Gerhard Kusay. Nicht in der Kantine, wo noch immer ein Wandbild hängt,
auf dem Landarbeiter bei der Feldarbeit, aber auch Malocher in der
Spanplatte den neuen Menschen verkörpern. Kusay hat das ehemalige Kasino
der Spanplatte geöffnet, ein mit Holz getäfelter Raum mit Kronleuchtern,
der seit langem baupolizeilich geschlossen ist. Für diesen Abend hat er
eine Sondergenehmigung. Gerhard Kusay, der die Tradition in Beeskow
hochhält, ist der Gastgeber für etwas geradezu Umstürzlerisches. In der
Spanplatte feiert das neue Museum Oder-Spree, das im Dezember 2020 auf der
Beeskower Burg öffnen soll, seine erste Feuertaufe.
Altes muss raus, um Platz zu schaffen für Neues. So stellt Steffen
Schuhmann die Idee für das Regionalmuseum vor, das das angestaubte
Stadtmuseum ersetzen soll. Es klingt, als würde statt Roter Grütze bald
doch Champagner-Jelly mit Passionsfruchtschaum serviert werden. Und das auf
der Burg, dem weithin sichtbaren Stolz der Stadt.
Steffen Schuhmann weiß, dass er den Beeskowern einiges zumutet. Als
Professor für Visuelle Kommunikation an der Kunsthochschule Berlin bringt
er allerdings die nötige Portion Autorität mit, gepaart mit einem
augenzwinkernden Gestus, der ankommt beim Publikum, denn er richtet sich
gegen die Hohenzollern. Mit denen beginnt nämlich 1906 die Geschichte des
Beeskower Museums.
In einer launigen Präsentation führt Schuhmann den Beeskowern die
Museumsgeschichte vor Augen. Die Bestände gehen zurück auf einen
Sammlungsaufruf von 1906, als mit dem Kronprinzen Wilhelm erstmals ein
Vertreter der Hohenzollern die Stadt besucht hat. „An alle, die im Besitz
von Altertums- und Kunstgegenständen sich befinden“, heißt es im Aufruf,
„auch an Gemeinden, Innungen, Korporationen und Vereine ergeht daher die
Bitte, solche dem unterzeichneten Festausschuss für die Altertumssammlung
zur Verfügung zu stellen.“
Der Wille der Obrigkeit war den Beeskowern Befehl. Bald wurde im Seitenchor
der mächtigen Marienkirche Platz gemacht für eine Heimatstube. Die blieb
der Stadt auch nach dem Umzug auf die Beeskower Burg erhalten. Die nach der
Wende neu präsentierte Sammlung blieb dann bis 2017 zwanzig Jahre
unverändert.
„Töpfe und Münzen hat jeder“, bilanziert nun Schuhmann, „unsere Sammlung
ist kein Grund, das Museum zu besuchen.“ Das Publikum nickt.
„Wir wollen den Blick deshalb auch auf die Gegenwart und die Zukunft
lenken“, umreißt Schuhmann den neuen Wind, der auf der Burg einziehen soll.
Später wird er das, was ihn umtreibt, salopp nennen: Preußen raus, Alltag
rein.
Ausmisten also, oder wie es im Museumssprech heißt: Entsammeln. Im Kasino
der Spanplatte können sich die Beeskowerinnen und Beeskower ein Bild vom
neuen Museumskonzept machen. Statt des Kreiskalenders, der seit 1922 nahezu
ununterbrochen für die Region herausgegeben wurde, gibt es nun das
„Kursbuch Oder-Spree“.
Zwanzig Menschen an zwanzig Orten zwischen Erkner und Eisenhüttenstadt
werden in der Kursbuch-Ausgabe 2019 porträtiert, die in der Beeskower
Kantine ihre Premiere hat. Oder-Spree, das sind seine Menschen, lautet die
Botschaft, die auch der neuen Dauerausstellung zugrunde liegen soll. Auch
Gerhard Kusay ist natürlich mit einem Porträt dabei.
## Die meisten setzen auf alte Konzepte
Heimatstuben und Museen wie in Beeskow gibt es viele in Brandenburg.
Gegründet im Kaiserreich oder der Weimarer Republik haben sie selbst den
Sozialismus überstanden. In Beeskow wurden die „Töpfe und Münzen“ einfach
mit ein paar Funden aus der Slawenzeit ergänzt. Schmetterlingspräparate
machten schließlich ein „biologisches Heimatmuseum“ daraus.
Nach der Wende rollte dann eine regelrechte Gründungswelle übers Land. Gab
es 1990 in Brandenburg hundert Heimat- und Stadtmuseen, waren es 2009
bereits vier Mal so viele. „Der erhebliche Museumszuwachs“, heißt es in der
Museumsentwicklungskonzeption des Landes, „beruht in erster Linie auf der
großen Zahl neu gegründeter Dorfmuseen und Heimatstuben. Gegenwärtig
stellen sie zahlenmäßig die Mehrheit aller Museen in Brandenburg dar.“
Seit gut zehn Jahren freilich stagniert die Entwicklung. „Die Fördertöpfe
der ersten Stunde sind geleert“, heißt es in der
Museumsentwicklungskonzeption. Dauerausstellungen, die wie in Beeskow
zwanzig Jahre lang nicht verändert wurden, sind also an vielen Orten zu
finden.
Um die Ausstellungen zu entstauben oder auszumisten, fehlt es vielerorts
aber an Geld und Knowhow. „Lokale Museumspolitik ist oft nicht so
konzeptionell ausgearbeitet, dass langfristige Entwicklungsrichtlinien
verfolgt werden können“, konstatiert die Entwicklungskonzeption. Die Folge
sei, dass die Museen sich kaum veränderten, obwohl die Seh- und
Nutzungsgewohnheiten anders geworden seien. „Weniger innovative als
traditionelle Museumskonzeptionen“ würden deshalb weiter verfolgt, heißt es
in der Studie.
## Rausgehen und die Region lernen
Dass die Burg Beeskow einen anderen Weg eingeschlagen hat, liegt auch an
Arnold Bischinger. Neun Jahre lang war der Wahlbrandenburger, der in
Utrecht Theater und Drama, aber auch Kulturmanagement studiert hat,
künstlerischer Leiter des Kleistforums in Frankfurt (Oder). Seit Januar
2018 ist er Leiter des Kulturamts im Landkreis Oder-Spree und damit auch
verantwortlich für die Burg Beeskow. „Ich bin mir sicher, dass die Kunst-
und Kulturarbeit im ländlichen Raum eine wachsende Aufmerksamkeit bekommen
wird“, versprach er bei seinem Amtsantritt.
Bischinger war es auch, der die Idee unterstützte, aus dem Stadtmuseum von
Beeskow ein Museum für den Landkreis zu machen, eines, das sich der Zeit
nach 1945 widmet und die Menschen in den Mittelpunkt der Erzählung stellt.
Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule Berlin, die
schon seit der Wende eine Außenstelle in Sauen bei Beeskow hat. Die
Studierenden haben die Sammlung des Museums gesichtet und ausgewertet.
Anschließend wurde sie unter dem Titel „Wegen Inventur geöffnet“ mehrere
Monate auf der Burg ausgestellt. Die Beeskower konnten nun mit eigenen
Augen sehen, welcher Staub auf den „Töpfen und Münzen“ liegt. Nach Heimat
schmeckte das, anders als die Rote Grütze von Gerhard Kusay, nicht mehr.
Eher nach einem musealen Friedhof.
Gleichzeitig sind die Studierenden ausgeschwärmt in die verschiedenen
Regionen des Landkreises, um Interviews zu führen und zu recherchieren.
„Wir sammeln nun Lebensgeschichten aus dem ländlichen Raum“, sagt
Bischinger im Februar 2020, als auf der Burg Beeskow feierlich der
Förderbescheid der Ostdeutschen Sparkassenstiftung für die neue
Dauerausstellung überreicht wird. Projektleiter Schuhmann ergänzt: „Wenn
wir mit den Menschen vor Ort sprechen, lernen wir mehr über die Region, als
wenn wir in ein Museum gehen, wie es jeder hat.“
Von der alten Sammlung wird in Beeskow nicht mehr viel zu sehen sein.
Stattdessen werden im Kursbuch 2020 und in der neuen Ausstellung Porträts
von sechzehn weiteren Menschen aus verschiedenen Orten des Landkreises
vorgestellt werden. Neben seiner Geschichte stellt jeder der Porträtierten
dem Museum ein Objekt zur Verfügung. Dieses wird dann von einem Objekt aus
dem Bestand des Sammlung ergänzt. „Ort + Mensch + Reportage +
zeitgeschichtlicher Gegenstand + historischer Gegenstand = Ausstellung“,
nennt das Steffen Schuhmann in seiner Präsentation.
„Wir werden jedes Jahr ein neues Thema haben“, umschreibt Schuhmann das
„offene Konzept“ für das Museum Oder-Spree. 2020 lautet das Jahresthema
„Haben und Brauchen“, dabei geht es auch um die Frage, wer von der Wende
1989 und 1990 profitiert hat und wer nicht. In den Jahren darauf geht es
dann um „Essen und Trinken“, „Gehen und Bleiben“ oder „Schindern und
Scharwerken“.
„Mit den Jahresthemen können wir auch auf die aktuellen Debatten im Land
reagieren“, sind Arnold Bischinger und Steffen Schuhmann überzeugt. Man
kann es auch so sagen: Im Museum Oder-Spree wird künftig die ganze
Zerrissenheit ausgestellt, die das Leben im ländlichen Raum ausmacht. Damit
aber können sich Museum und Besucher auch auf Augenhöhe begegnen. Ich
verstehe das Museum, das Museum versteht mich: Kein schlechter Beitrag zum
Thema regionale Bindung und Identität.
## Alltag als Thema ist nichts Neues
Der erste Ort, in dem in Brandenburg nach der Wende Alltag erzählt wurde,
ist das „Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR“ in Eisenhüttenstadt.
1993 startete es mit einer „passiven Sammlung“, wie es der damalige Leiter
Andreas Ludwig nannte. „Man hat die Bevölkerung aufgefordert, Objekte zu
bringen, mit denen die Menschen etwas verbinden“, erklärt Florentine
Nadolni, die das Dokumentationszentrum heute leitet, die damalige
Sammlungsphilosophie. Inzwischen sind im „Dok“ 170.000 Objekte
zusammengekommen. Sie reichen vom Metallbaukasten „Thale“ bis zum Pouch
Reisezweier, dem legendären Faltboot der DDR.
Die aktuelle Dauerausstellung stammt aus dem Jahr 2012. Damals wurde heftig
darüber gestritten, wie die DDR zwischen Diktatur und Alltag erzählt werden
kann. Also gab es einen Kompromiss. „Die Ausstellung dokumentiert den
Alltag in der Diktatur und die Diktatur im Alltag“, sagt Nadolni. Sie stört
an der Ausstellung aber auch etwas anderes. „Die Objekte“, sagt sie.
„treten hier in die zweite Reihe, im Grund dienen sie vor allem der
Illustration der Erzählung.“ Nadolni würde den Objekten dagegen gerne mehr
Aufmerksamkeit schenken.
Das hat Nadolni schon getan, als sie 2017 den Neustart in Beeskow
angeschoben hat. Nicht nur die Zusammenarbeit mit der Kunsthochschule hat
sie angeregt, sondern auch das „offene Konzept“ des Museums Oder-Spree
entwickelt – mit der Idee, je ein Objekt aus dem Umfeld der porträtierten
Menschen und dem Bestand der Sammlung auszustellen. Im
Dokumentationszentrum in Eisenhüttenstadt, wo Nadolni schon während ihres
Studiums an der Viadrina ein- und ausging, will sie die Dauerausstellung
nun „beweglicher“ machen. Doch das geht nur, wenn man die nötigen Mittel
und das Personal dafür hat, weiß sie. Dass das „Dok“ nach wie vor in
kommunaler Trägerschaft sei, passe nicht zur bundesweiten Bedeutung der
Einrichtung.
Bis die Zeit für eine neue Dauerausstellung gekommen ist, investiert
Nadolni viel Energie in die Wechselausstellungen. Noch bis März läuft die
Schau „Alltag formen! Bauhaus-Moderne in der DDR“. „Das war bisher unser
größter Publikumserfolg“, freut sie sich. Im August startet dann zum 70.
Jahrestag der Gründung von Stadt und Stahlwerk eine Ausstellung über die
Nachwendeerfahrungen in Eisenhüttenstadt.
## Und wieder andere Wege
Alle Wege führen nach Wusterhausen. Das gilt zumindest für diejenigen, die
bis 1982 von West-Berlin nach Hamburg reisen wollten. Weil es die A24
damals noch nicht gab, führte der Transitverkehr durch das kleine Städtchen
an der Dosse in der Ostprignitz. Auch deshalb hat sich die Stadt
entschieden, anstelle der Heimatstube am Marktplatz ein so genanntes
Wegemuseum einzurichten. Es thematisiert die Geschichte der Fortbewegung
von den mittelalterlichen Bohlenwegen über die preußischen Chausseen bis
zum Transitverkehr während der deutschen Teilung.
Wenn Katharina Zimmermann durch die Ausstellung im Obergeschoss eines
ehemaligen Kaufmannshauses führt, ist ihr der Stolz anzumerken. Sie zeigt
auf einen slawischen Einbaum, erklärt, bis wann die Dosse als Wasserstraße
ein Handelsweg war, betont die Bedeutung der Eisenbahn für den Tourismus in
der Prignitz.
Das Wegemuseum wurde 2011 eröffnet – und versucht einen Spagat. Richtete
sich die Heimatstube an die Menschen vor Ort, ist die Ausstellung über die
Geschichte der Wege auch ein Angebot an Reisende. Die Tourismusinformation
befindet sich im selben Haus. „Allerdings haben wir versucht, die Objekte
modern auszustellen“, betont Zimmermann. In den Vitrinen bekommen die
Besucherinnen und Besucher deshalb auch Cola- und Bierbüchsen zu sehen, die
Transitreisende in Wusterhausen aus dem Auto warfen.
Dass Wusterhausen überhaupt ein thematisches Museum bekommen hat, war keine
Selbstverständlichkeit. Nach der Wende hat zwar der Landkreis Ostprignitz
die Trägerschaft übernommen, doch nach der Kreisreform 1993 war damit
Schluss. „Jetzt leisten sich Stadt und Gemeinde das Museum“, sagt
Zimmermann, sie selbst hat eine halbe Stelle im Museum und eine halbe
Stelle in der Tourismusinformation. „Wenn es unseren Förderverein nicht
gäbe, hätten wir weder die Dauerausstellung, noch die Mittel für drei oder
vier Wechselausstellungen im Jahr.“ An ein offenes Konzept wie in Beeskow
ist angesichts der knappen Ausstattung nicht zu denken. „Schon jetzt muss
man etwas verrückt sein, um so was zu stemmen“, lacht Zimmermann.
## Wissen und Erfahrung bergen
Das Oderbruchmuseum in Altranft stellt seine Sammlung noch aus, nur heißt
sie nicht mehr so. „Der Raum, in dem wir unsere Objekte präsentieren, heißt
Studiolo“, lacht Kenneth Anders. Anders ist einer der beiden Programmmacher
des Museums, das vor fünf Jahren aus dem einstigen Freilichtmuseum
hervorgegangen ist. In den selbstgefertigten Regalen, die das „Studiolo“
einem Studierzimmer gleichen lassen, wird nicht chronologisch, sondern
thematisch präsentiert. „Da sind auch Modelle von Landmaschinen dabei, die
von den Menschen im Oderbruch gebaut worden sind“, sagt Anders. Fertig
geworden ist gerade ein ausgestopfter Biber, einer der „Feinde“ der im 18.
Jahrhundert trockengelegten Oderniederung. Immer wieder staut der Nager das
Wasser in den Gräben dieser einzigartigen Kulturlandschaft mit ihren
Kolonistendörfern.
Das Studiolo im Schloss von Altranft, wo die Ausstellung des
Oderbruchmuseums untergebracht ist, ist eher ein Kommentar zum Thema
Sammeln und Umgang mit den vorgefundenen Sammlungen, als dass es das
Herzstück des Museums wäre. „Mut zur Sammlungslücke“ nennt das
Museumsmacher Anders.
Die Geschichte des Oderbruchmuseums ist die Geschichte einer Transformation
von unten, die vom Bund allerdings großzügig unterstützt wurde. Schon in
den siebziger Jahren war in Altranft ein Freilichtmuseum geplant worden.
„Als dann die Wende kam“, erinnert sich Anders, „ging dem Museum seine
Erzählung verloren. Es ging da um eine Fortschrittserzählung, die die
Emanzipation der arbeitenden Bevölkerung auf dem Lande in den Mittelpunkt
stellen sollte.“ Das Gemälde mit den Landarbeitern in der Kantine der
Beeskower Spanplatte hätte gut nach Altranft gepasst.
So aber dümpelte das Freilichtmuseum aus Schloss, Bauernhof und
Landarbeiterhaus vor sich hin, bis 2015 der Museumsleiter in den Ruhestand
ging. Mit 1,8 Millionen aus dem Trafo-Programm der Kulturstiftung des
Bundes und Rückendeckung durch den Landkreis Märkisch Oderland haben Anders
und sein Team fünf Jahre lang daran gearbeitet, das Museum vom Kopf auf die
Beine zu stellen. „Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht der Kontakt mit den
Menschen, die in der Region leben und arbeiten“, erklärt Anders sein
Konzept. „Wir wollen dieses Erfahrungswissen bergen und damit arbeiten.“
Wie Beeskow arbeitet auch Altranft mit Jahresthemen. Allerdings werden in
den jeweiligen Jahrbüchern keine Porträts verfasst, sondern Interviews
geführt. „Die Zitate finden sich dann an den Wänden des Schlosses“, zeigt
Anders bei einem Rundgang durch die Räume, in denen sich zu DDR-Zeiten ein
Kulturhaus befand. Dass es dabei auch kontrovers zugehen kann, bewies das
Jahresthema Landwirtschaft. „Da gab es viele böse Kommentare im Gästebuch�…
sagt Anders. „Aber nicht aus der Ecke der AfD, sondern von denen, die
meinten, wir würden zu wenig für die Agrarwende Partei ergreifen. Für uns
ist aber jede Position, die in der landwirtschaftlichen Erfahrung steckt,
gleichwertig.“
Zusammenbringen und nicht spalten: So will das Oderbruchmuseum regionalen
Zusammenhalt schaffen. Dabei kommen viele Fäden zusammen: Die Erzählungen
der Menschen, die Geschichte der Kulturlandschaft, die Vernetzung in einer
von Abwanderung betroffenen Region und auch die Museumspädagogik. „Einer
unserer Schwerpunkte ist die landschaftliche Bildung“, erklärt Anders. „Wir
arbeiten mit Schulen zusammen, organisieren Graffitiprojekte, bringen
Künstler an die Schulen, stellen unsere Werkstätten zur Verfügung.“
Beim Projekt „Heim(at)arbeit“ erforschen Schülerinnen und Schüler die
heimatlichen Lebens- und Arbeitswelten. „Wie kann man auf dem Land leben?
Was ist Arbeitsmarkt, was freiwillige Arbeit?“, zählt Anders die Fragen
auf. „Da werden alle möglichen Leute aufgesucht, und die Schüler bringen
ein Objekt mit.“ Dabei würden auch die Schüler Erfahrungswissen bergen.
„Wenn jemand über seine Erfahrungen spricht“, hat Anders beobachtet, „ist
es etwas sehr Schönes. Darin liegt eine große Klugheit.“
## Jedes Jahr ein neues Angebot
So langsam hat sich herumgesprochen, dass in Beeskow etwas Neues entsteht.
Dass junge Museumsleute andere, junge Museen machen. Dass nicht nur Rote
Grütze Heimat sein kann, sondern auch die Wiederentdeckung des Lehmbaus
oder ein Kreisverkehr mit nur einer Abfahrt bei der Ortsumgehung Müllrose.
Auch die Ostdeutsche Sparkassenstiftung ist von der Idee des Museums
Oder-Spree überzeugt. „Hier wird die Magnetwirkung der Burg neu genutzt“,
sagt der Chef der Sparkasse Oder-Spree, Veit Kalinke, als er im Februar den
Fördermittelbescheid überreicht.
Aber Steffen Schuhmann und Arnold Bischinger wissen, dass die wirkliche
Feuertaufe nicht die Präsentation des Kursbuches in der Spanplatte war,
sondern ernst noch kommt. Wenn im Dezember dieses Jahr das Museum
Oder-Spree öffnet, werden die Beeskower und Beeskowerinnen keine fertige
Ausstellung vorfinden wie in Wusterhausen oder Eisenhüttenstadt, aber auch
keine Wunderkiste wie in Altranft, wo für jeden etwas dabei ist.
In Beeskow muss die Ausstellung erst wachsen. So wie die Region noch immer
zusammenwachsen und Halt finden muss. Vielleicht ist es deshalb gut, dass
das Museum Oder-Spree kein ganzes Schloss bespielen muss wie in Altranft,
sondern vier Räume im Erdgeschoss des Alten Amtshauses und den darüber
liegenden Dachboden.
Eines aber weiß Steffen Schuhmann schon jetzt. „Früher waren die Leute
einmal im Museum und hatten keinen Grund ein zweites Mal zu kommen. Jetzt
erleben sie jedes Jahr etwas Neues.“
28 Feb 2020
## AUTOREN
Uwe Rada
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