# taz.de -- 60 Jahre DDR-Jugendsender DT64: Wellen des Widerstands | |
> Anfang der 90er protestierten Tausende für den Erhalt des | |
> DDR-Jugendsenders DT64. Rückblick auf den Sender, der für viele ein | |
> Symbol der Freiheit war. | |
Bild: 1991 gingen viele Jugendliche gegen die Abschaltung von DT64 auf die Stra… | |
Was müsste passieren, dass sich heute Jugendliche bei Mahnwachen anketten | |
und in den Hungerstreik treten, das Büro eines Oberbürgermeisters, eine | |
Staatskanzlei oder einen Sender besetzen, eine Autobahn und Kreuzungen | |
blockieren, es Dutzende Demonstrationen mit Tausenden Teilnehmern gibt und | |
bundesweit 400.000 Unterschriften gesammelt werden? | |
Vermutlich wäre der Auslöser nicht die geplante Abschaltung eines | |
Rundfunksenders. Doch genau das geschah kurz nach der Einheit. Vor 33 | |
Jahren, 1991, erreichten die Proteste zum Erhalt von DT64 ihren Höhepunkt. | |
[1][DT64 war das Jugendradio der DDR]. Gegründet vor 60 Jahren beim | |
Deutschlandtreffen der Jugend 1964, daher der Name. Die meisten | |
Jugendlichen in der DDR hörten Westradio – NDR 2, RIAS oder später Bayern | |
3. Dem wollte die SED etwas entgegensetzen. Lange gab es Jugendsendungen | |
nur stundenweise auf Stimme der DDR oder dem Berliner Rundfunk. Ab 1986 war | |
DT64 ein eigener Sender. | |
Und er wurde gut eingeschaltet. Vor allem wegen der Musik, die oft | |
ausgespielt wurde, sodass sie sich mitschneiden ließ. Wichtig, da man | |
Westmusik in der DDR nicht kaufen konnte. Aber auch wegen der lockeren | |
Moderation. Die Akzeptanz unter Jugendlichen war hoch. Das belegen Tausende | |
Briefe oder Anrufe im Monat. Einige wurden im Programm aufgegriffen, es gab | |
praktische Lebenshilfe zum Beispiel mit einem Psychologen. | |
## Westdeutsche Redakteure arbeiteten mit | |
Der Historiker Nikolai Okunew schrieb seine Doktorarbeit über [2][Heavy | |
Metal in der DDR]. Dabei war das Archiv von DT64 eine der Hauptquellen. Er | |
sagt: „Auch in Westberlin wurde unter Fans der Sender empfohlen, weil er | |
Musik spielte, die selten im Radio kam. Wenn man die Sendungen heute hört, | |
passen sie nicht zu dem Bild, das wir über Medien in der DDR haben. Es | |
wurden Hörer live in die Sendung geschaltet oder Themen wie Homosexualität | |
besprochen.“ | |
„DT64 war etwas frecher als andere, unsere Freiräume waren größer. Aber | |
vieles hatte vor der Wende auch weniger mit Journalismus und mehr mit | |
Propaganda zu tun“, sagt Dietmar Ringel. Er war Redakteur bei DT64 und | |
wurde dann am 8. November 1989 Intendant. Mit damals 31 Jahren der jüngste | |
in Deutschland, und der erste von der Belegschaft frei gewählte. „Das war | |
auch extrem anstrengend, jeder hat mitdiskutiert, das war Demokratie in | |
Reinkultur. Auch inhaltlich haben wir um unseren Kurs gerungen – die einen | |
wollten einen besseren Sozialismus aufbauen, die anderen eine | |
Generalabrechnung mit der DDR“, sagt Ringel. | |
Im Programm gab es nun keine Vorgaben mehr. Stattdessen investigative | |
Recherche zu SED-Politiker Alexander Schalck-Golodkowski und seinen | |
geheimen Geschäften zur Devisenbeschaffung, dem Geld der FDJ sowie zu | |
Stasiärzten in der Psychiatrie. Zudem Spartensendungen für seltene Musik – | |
von Rock über Country bis zu Elektro. | |
Westdeutsche Redakteure kamen und arbeiteten mit. So machten Marusha in der | |
„Dancehall“ und Marcos López in der „Partyzone“ den Techno populär. E… | |
halbe Million junge Erwachsene hörten im Schnitt pro Tag zu, auch im Westen | |
entlang der ehemaligen Grenze. | |
## „Ich war wie alle naiv“ | |
„Es war ein niveauvolles Radio mit vielen Spezialsendungen. Macher und | |
Hörer waren auf einer Ebene. Dies brachte die hohe Identifikation. Radio | |
hatte ja damals eine ganz andere Kraft und war das schnellste Medium. Der | |
Sender hat früh versucht, das deutsch-deutsche Verhältnis zu erkunden. | |
Dabei ging es nie um ein Zurück oder um ein DDR-Radio, alle agierten frei“, | |
sagt Alexander Pehlemann. | |
Pehlemann hat die Geschichte von DT64 zusammengetragen. Erst in einer | |
Wanderausstellung und nun in dem Buch „Power von der Eastside!“. Der Titel | |
ist gleichlautend mit einem bekannten Jingle des Senders, der zum Slogan | |
der Rettungsbewegung wurde. | |
Ende 1991 nahte die Schließung des Senders. Laut Einigungsvertrag sollte | |
der DDR-Rundfunk aufgelöst werden. „Die Perspektive der handelnden Personen | |
wurde stark von der Bundesregierung in Bonn gelenkt. Die sahen keinen | |
Reformbedarf bei sich. Sie dachten, sie haben die bewährten | |
Rundfunkstrukturen und die führen sie nun auch im Osten ein“, sagt | |
Historiker Okunew. Schlechte Aussichten für eine bundesdeutsche | |
Jugendwelle. „Im Vorteil waren die, die die westdeutschen Strukturen | |
kannten. Wir hatten keine ernsthafte Chance. Ich war wie alle naiv“, sagt | |
Ringel. | |
Dazu kam: Rundfunk war nun Ländersache., und die Bundesländer wollten zum | |
Teil nicht zusammenarbeiten – so die SPD in Brandenburg und die CDU in | |
Sachsen. Zwischenzeitliche Pläne zur Privatisierung scheiterten. Die Chefs | |
wurden ausgetauscht. Die Neuen kamen aus dem Westen. Der | |
öffentlich-rechtliche Rundfunk der alten Bundesländer wurde Vorbild für den | |
Neuaufbau. | |
## Eine einmalige Hörerbewegung | |
Mecklenburg-Vorpommern fällt an den NDR, der es ablehnt, DT64 | |
weiterzubetreiben. Der aus dem Boden gestampfte ORB gründete Rockradio B, | |
welches später in Fritz aufging, und warb Redakteure von DT64 ab. Schon | |
vorher hatten sich einige Redakteure aufgrund der wirtschaftlichen | |
Unsicherheit andere Jobs gesucht. Darunter litt die Qualität des Programms. | |
Trotzdem wehrten sich die Hörer weiter gegen die Abschaltung. Sie | |
organisierten Menschenketten und Sitzblockaden, sprühten Graffiti, | |
klapperten die Bundestagsabgeordneten ab, gründeten 80 Freundeskreise (30 | |
davon im Westen), schrieben offene Briefe und spannten Promis wie Helge | |
Schneider, Silly, Udo Lindenberg, Keimzeit und David Bowie ein. | |
Für Pehlemann war es eine weltweit einmalige Hörerbewegung. Heiko Hilker, | |
der damals an der TU Dresden studierte und den Freundeskreis Dresden mit | |
koordinierte, sagt: „DT64 war das erste ost-west-deutsche | |
Integrationsradio. Für viele war dies ihr erstes politisches Engagement im | |
vereinten Deutschland – es war ihre Schule der Demokratie.“ | |
Doch den jungen Demonstranten wehte Skepsis entgegen. CDU-Funktionäre | |
fragten, wer sie für ihre Aktionen bezahlte, selbst die SPD vermutete, dass | |
sie von der PDS gesteuert wurden. Erreicht wurde immerhin, dass der MDR | |
eine Übernahme des Jugendrundfunks in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt | |
zusagte. | |
## Ein Rest DT64 bei RadioEins | |
Ein Pyrrhussieg: Der Name wird in Sputnik geändert, gesendet wird aus | |
Halle, und vorerst steht nur rauschige Mittelwelle zur Verfügung, später | |
gibt es eine Ausstrahlung über Satellit, ehe UKW zur Verfügung steht. | |
„Sputnik wurde radikal zugrunde reformiert, es ist vollkommen an | |
kommerzielle Radios angepasst, von DT64 ist nichts mehr übrig. Nicht einmal | |
in den Fußnoten von Sputnik findet sich heute ein Hinweis auf die | |
DT64-Geschichte. Selbst als wir mit einer DT64-Ausstellung in Halle waren, | |
gab es keinen Beitrag zu den eigenen Wurzeln“, sagt Pehlemann. | |
Ein Rest DT64 ist heute am ehesten noch bei RadioEins zu hören. Hier hatten | |
einige ehemalige Moderatoren noch lange eigene Sendungen. Aber auch der | |
hohe Wortanteil und die vielen Spezialsendungen erinnern daran. Und daran, | |
dass man mit diesem Konzept Erfolg haben kann. | |
Das Fazit von Heiko Hilker, der später für die Linke lange im Landtag aktiv | |
war, lautet: „Bis heute besteht kein Interesse daran, die damaligen | |
Erfahrungen noch einmal zu thematisieren. Dabei könnte ein Blick zurück | |
offenbaren, unter welchen Voraussetzungen Medien der öffentlichen und | |
individuellen Meinungs- und Willensbildung, also der Demokratie, dienen | |
können. Nicht alles muss neu erfunden werden. Oftmals hilft es mehr, sich | |
auf seine Wurzeln zu besinnen.“ | |
Dietmar Ringel meint zusammenfassend: „Es ging nicht nur um ein Radio, | |
sondern um ein Stück kulturelle Identität. Alles wurde damals | |
ausgewechselt. Die Ostsender abzuschaffen war ein großer Fehler und hat | |
teilweise zur Entfremdung beigetragen.“ Pehlemann ergänzt: „Warum das | |
deutsch-deutsche Verhältnis derzeit so ist wie es ist, hat auch mit | |
mangelnder Repräsentanz zu tun, so gibt es keine ostdeutsch geprägten | |
Popkulturmedien mehr.“ Und Historiker Okunew meint: „Das hat zu | |
Enttäuschungen und Frustrationen geführt und ist eine Hypothek für den ÖRR | |
bis heute.“ | |
16 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /DDR-Jugendradio-DT-64/!5861649 | |
[2] /Ein-Fan-ueber-Heavy-Metal-in-der-DDR/!6017613 | |
## AUTOREN | |
Alexander Teske | |
## TAGS | |
Radio | |
DDR | |
Jugend | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Radio | |
Punks | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ein Fan über Heavy Metal in der DDR: „Eine richtig geile Mucke“ | |
Heavy Metal war in der DDR Mangelware, Fans gab es viele. Zum Ausleben | |
ihrer Leidenschaft brauchten die, weiß Ernst Lustig, handwerkliches | |
Geschick. | |
DDR-Jugendradio DT 64: Power aus der Zone | |
Die Öffentlich-Rechtlichen wollen sich nun endlich auch um die jungen | |
Menschen kümmern. Gute Beispiele dafür gab es schon in der DDR. | |
Underground in der DDR und Polen: Der Warschauer Punk Pakt | |
Die Subkultur der DDR war fasziniert vom Nachbarland Polen. Alexander | |
Pehlemann war in den 80er Jahren Punk in Vorpommern und erinnert sich. |