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# taz.de -- Kelsey Lu in Berlin: Geprägt vom Black Atlantic
> Idiosynkratisches Musikerinnenprofil: US-Künstlerin Kelsey Lu gastierte
> für ihr Konzertdebüt in Deutschland in der Berliner Kantine am Berghain.
Bild: Zöpfe, Perlen und eine Krone: Kelsey Lu am Montag in Berlin
Berlin taz | „Hello“, grüßt Kelsey Lu, zupft einen Ton auf dem Cello, loo…
ihn zum Dronesound, mit dem sie am Montagabend ihr Konzertdebüt in
Deutschland ohne Federlesen beginnt. Allmählich folgt dem Signalton der
afroamerikanischen Künstlerin ein zweiter, irgendwann schlüpft ein dritter.
Wunder der Natur: Mal übernimmt das Cello als Bass die Rolle der
Rhythmussektion, mal spielt es Leadinstrument, und die Ruhe, die es dabei
verströmt, wirkt besinnlich und unheimlich zugleich. Die ersten drei Songs
bleibt die 29-Jährige allein auf der Bühne mit ihrem Streichinstrument.
Dann streckt sie das Cello von sich, schüttelt ihre Zöpfe, in denen eine
Art Krone sitzt, und lässt einen seidenen Umhang mit Fransen sachte von den
Schultern gleiten. Sieht extrem gut aus und klingt nach einer ordentlichen
Pille Meditation. „Cruising Low“ chantet Lu und gewinnt mit jedem Chant an
stimmlicher Sicherheit. Die schwebt doch über der Bühne, raunt mein
Nebenmann. Kann sein. Erst dann kommt ein Keyboarder auf die Bühne und noch
etwas später gesellt sich ein Drummer dazu. Auch sie haben es nicht eilig,
grooven sich ganze sachte auf Kelsey Lu und die Songs ein.
Im Frühjahr ließ „Blood“ aufhorchen, Lus Debütalbum für das Majorlabel
Sony, das in ihrer Wahlheimat Los Angeles entstand. Die Jahre zuvor hatte
die Künstlerin als Studiomusikerin in New York verbracht, wirkte hinter den
Kulissen für Stars. „Blood“ brachte Kelsey Lu, flankiert von artsy
Videoclips und Modestrecken, nun selbst Frontpagenews ein. Am Montagabend
in Berlin geht es vor allem um die Fragen, ob sie als Musikerin auf der
Bühne das nötige Charisma hat und wie ihre sphärischen
Kammerfolksoulpopsongs ohne Bilderwelten zur Entfaltung kommen.
## Mit Bravour gelöst
Aufgaben, die Kelsey Lu mit Bravour löst: Zwischen den Songs teast sie ihr
Publikum, lacht, plappert, wirkt dabei leicht somnambul. Zum Beispiel fragt
sie sich durchaus ausführlich und dabei vom Thema abschweifend, warum
Kollegen zwar Liebeslieder komponieren, aber in diesen meist die Position
der beleidigten Leberwurst einnehmen. Sie schreibe zwar auch Liebeslieder,
das gehöre wohl zu ihrer Generation der Twentysomethings, aber sie
revanchiere sich damit für erlittene Schmach. L’art pour l’art: Getragen
von ihren beiden Mitmusikern, setzt Lu allmählich zum Arrangement des
folgenden Songs über, der „Too Much“ heißt und urplötzlich countryeske
Anklänge durch den Mix aus Cello und Pedalsteelgitarre hat.
Live klingen Songs wie „Foreign Car“ und „California“ einerseits jazzig…
zum anderen bleibt Raum für Improvisationen, auch für kurze
Gefühlsausbrüche, die ihr Keyboarder am Fender Rhodes vollführt, genau wie
Kelsey Lu mit ihrem Gesang. Lus Stimme überwindet mühelos Oktaven und
besticht vor allem im Legato. Wenn sie von leise nach laut schreitet und
mit ihrer Stimme eine Hookline übernimmt, wie im Song „Why knock for you“,
das hat Klasse und geschieht beiläufig.
Dass Lu afroamerikanische Musiktradition offen interpretiert, gehört mit zu
ihrem idiosynkratischen Profil. Manchmal klingt eine entfernte
Verwandtschaft zum musikalischen Gesamtkunstwerk eines Stevie Wonder zu
„Secret Life of Plants“-Zeiten durch, manchmal dringen Spurenelemente von
Gospel und vom Call-and-Response-Schema in Kelsey Lus Songs ein. Dann
wieder, wie in dem Hit „Poor Fake“, lebt die satte Klangkulisse der alten
Studios auf den Bahamas wieder auf, wo Popmusik von Spandau Ballett und
Grace Jones entstand.
## Feier der Gegenwart
Nur ist das bei Kelsey Lu nicht als Retro-Geste gedacht, sondern als Feier
der Gegenwart, die sie mit ihren beiden Sidemen am Montag in
minimalistischen Arrangements kreiert. Mit ihren Songs schafft Kelsey Lu
einprägsames, aber nie zu gefälliges Material. Sie lässt sich von den
Launen treiben und von Gespenstern scheuchen, die urplötzlich in ihren
Songs auftauchen. Sie stamme aus North Carolina, erzählt Kelsey Lu,
unterbricht einen Song, nahe am Atlantik ist sie aufgewachsen, zu dem sie
als Schwarze eine spezielle Verbindung hat. Ganz in der Nähe kamen einst
die ersten Sklaven an.
Das Publikum nimmt die Ansagen dankbar auf, ebenso die freiförmigen
Jam-Exkurse des Trios, und lässt Kelsey Lu und ihre Band erst nach der
zweiten Zugabe von der Bühne.
23 Jul 2019
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Kelsey Lu
Cello
Berghain
Konzert
Neue Musik
AUDINT
Kelsey Lu
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