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# taz.de -- Neues Album von Kelsey Lu: Ruderschnecke im Ozean
> Wie ein ätherisch-barockes Klanggemälde: Das Album „Blood“ der
> US-Musikerin Kelsey Lu sticht aus der Masse aktueller Veröffentlichungen
> hervor.
Bild: Begnadete Cellistin: Kelsey Lu
„Musik ist die endgültige Emanation des Universums“, hat der rumänische
Philosoph Emil Cioran einst postuliert. Wenn das zutrifft, haben Stimme und
Cello von Kelsey Lu in diesem göttlichen Einen ihren Ursprung. Die
Cellistin und Sängerin aus dem US-Bundesstaat North Carolina veröffentlicht
nun ihr Soloalbum „Blood“. Es ist ihr zweites längeres Werk, fühlt sich
aber an wie ein Debütalbum, weil die Musik eine ungewöhnliche Form von
Dringlichkeit ausstrahlt: Sie muss gehört werden.
Und wenn man sie hört, fällt die Engelsgeduld, die zenartige Ruhe dieser
Musik sofort auf. 13 Songs sind auf „Blood“ enthalten, zwölf
Eigenkompositionen und eine formidable Coverversion von 10 CCs
Softpop-Evergreen „I’m not in Love“, die klingt, als sei sie im Traum
aufgenommen. Was „Blood“ herausstechen lässt aus der Masse an
Veröffentlichungen, sind seine ätherisch-barocken Klanggemälde. Musik wie
mit dem Zerstäuber direkt in die Wolken gesprüht.
Sie hat etwas im guten Sinne Hermetisches, eine eigenwillige Vision. Zu
einigen Songs gibt es Videoclips, in denen die Künstlerin in fantastischen
Gewändern und prächtigen Frisuren an Stränden oder in einem vollverglasten
Brutalismus-Bungalow tanzt oder sich die Haare schneidet. In den meisten
Interviews und Texten über Kelsey Lu taucht sie auch in der Modestrecke
auf. Das visuelle Element lenkt aber nicht ab, es bereichert ihre Musik.
## Pompöses und Skizzen ergänzen sich
Neben den feingeschliffenen Arrangements und der delikaten Instrumentierung
gefällt besonders, dass scheinbar achtlos komponierte Skizzen
gleichberechtigt neben pompösen Songs stehen. Es ist diese Mischung, die
den Sound der 29-Jährigen funktionieren lässt: Einige der Songs auf
„Blood“, wie „Due West“, fließen in Skizzen über („Kindred“), so …
die Songs unfertig und die Skizzen werden zum Breitwand-Kino, ein überaus
gelungenes Experiment.
Lus herbe Stimme und das Cello bilden das Grundgerüst. Das Drumherum ist
sparsam, aber mit viel Gefühl für Raum und Zeit arrangiert. Auffällig ist
zudem, dass die Afroamerikanerin fast vollständig auf Beats und Grooves
verzichtet. Stattdessen vertraut sie den klanglichen Sinuskurven des Cellos
und des Gesangs, um die Musik elliptisch nach vorne zu bringen. In den
Texten werden Andeutungen gemacht und die Musik transzendiert diese zu
Klopfzeichen. Hooklines klingen sachte aus, Töne bleiben einfach stehen.
Das Spielerische dominiert, aber es wird auch zerrupft, wie im Titelsong,
mit dem das Album endet. Wenn, wie in „Foreign Car“, doch mal ein Groove
auftaucht, dann als von Klanghölzern erzeugtes Wetterleuchten. Oder aber er
schält sich aus einer orchestralen Schale wie in dem Song „Poor Fake“, der
als Verneigung vor Diana Ross sein Disco-Antlitz zu einem sensationellen
Finale erhebt. „Is this real or a poor fake“, singt Lu fragend und ihr
Streicherarrangement antwortet mit einem wunderbar vagen „Je ne sais quoi“.
Kelsey Lu lässt ihre Musik in der Schwebe und das tut ihr gut.
## Kammermusikalische Präzision
Im nächsten Moment, im Song „Too Much“ holt sie die Musik auf die Erde,
lässt das Cello auf eine Pedal-Steel-Gitarre treffen, so wird die Melodie
auf kammermusikalische Präzision eingekocht und ein
Singer-Songwriter-Gestus taucht so unvermittelt auf wie er auch wieder
verschwindet. „Due West“ verhandelt den Umzug der Künstlerin von New York
nach Los Angeles, der für Kelsey Lu vor allem eins brachte: mehr Raum zur
Entfaltung.
In New York war Lu als hired hand, als Gastmusikerin im Hintergrund und
Studioverstärkung im Einsatz. Für Alben von Solange und Florence&the
Machine hat sie etwa Cello gespielt und Streicher arrangiert. Im
Auftragsarbeiten für andere sind Lus solistische Ideen 0gereift und auf
„Blood“ drängen sie nun mit einer künstlerischen Wucht nach vorne, als
würde man der Selbstwerdung eines Stars per Webcam beiwohnen. „Down2ridE“
vereint Pizzicato-Töne, einen Watte-Paukenschlag und
Bandmaschinen-Rewinding, bis nach circa anderthalb Minuten eine Strophe
gesungen wird. „Dipping around/Down Down Down/Feet upright/And feeling
so/Feeling tired.“ Die Müdigkeit von Kelsey Lu wirkt nicht aufdringlich.
Wann sie mit ihrem Cello zufrieden ist, wurde Lu gefragt und sie
antwortete: „Wenn es klingt wie eine winzig kleine Ruderschnecke im Ozean.“
Stimmt wohl, Cello und Stimme von Kelsey Lu vibrieren noch, lange nachdem
der letzte Ton verklungen ist.
23 Apr 2019
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Kelsey Lu
Cello
Los Angeles
Kelsey Lu
Soundsystem
Scott Walker
Rave
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