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# taz.de -- Zum Tod von Scott Walker: Jetzt wieder ein Engel
> Die amerikanisch-britische Sängerlegende Scott Walker hatte eine der
> radikalsten Karrieren im Popgeschäft. Nun ist er mit 76 Jahren gestorben.
Bild: Die Sonne scheint nicht mehr für ihn: Scott Walker
Als Scott Engel nicht mehr Scott Engel heißen wollte, nannte er sich Scott
Walker, das klang nach einem torfigen Whiskey. Wobei der 1943 in Ohio
geborene US-Sänger, der durch die Kinderdarstellerhölle von
Musicalinszenierungen gegangen war, auch als junger Mann aussah, als müsste
er bemuttert werden: blondes Haar, dünner Hals. Eine Herzensbrecherfigur,
der „nie mehr als ein trauriges Lächeln gelang“, wie der britische
Popchronist Nik Cohn feststellte. Mit dem Künstlernamen Walker streifte
Engel seine Teenpopvergangenheit ab, in der er zunächst Bassist in
Kalifornien und dann einer der Walker Brothers war. Scott Walkers
Baritonstimme war da schon Sensation; er klang ätherisch, manieriert, wenn
er von enormen emotionalen Schieflagen sang.
Von seinen „Brüdern“ hatte sich Scott Walker 1967 emanzipiert. Das Trio
bespielte zuvor die üppige Wiese der Balladen, verknüpfte dabei
aufmüpfiges Beatmusikgehabe mit dem Entertainment von Las-Vegas-Showbiz
und landete etwa mit „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“ einen Hit. In
Großbritannien wurden die drei Musiker aufgrund ihrer modekompatiblen
Inszenierung zu Stars. Scott Walker vertrug die Aufmerksamkeit nicht, er
ging ins Kloster, heute würde man sagen, er hatte einen Burnout.
Dennoch war er einer der Ersten, dem ein Wechsel vom ewigen Jugendzimmer
des Pop ins Studierzimmer der Erwachsenen gelang, ohne alte Ideale zu
verraten: Walker liebte Doo-Wop von Frankie Lymon, er entdeckte auch die
Filme der Nouvelle Vague für sich und komponierte nun Material, das die
neue Welle und das kulturelle Aufbegehren in Europa reflektierte.
Seiner US-Heimat kehrte Walker 1968 den Rücken, blieb in England und
veröffentlichte sein Debütalbum als Solist beim holländischen Label
Philips: „Scott“ enthielt drei englisch gesungene Coverversionen von
Jacques Brel und „The Lady Came from Baltimore“, seine grandiose Fassung
eines Songs von US-Singer-Songwriter Tim Hardin. Die Eigenkompositionen
standen in puncto Metaphernschwere und Arrangement-Raffinesse keineswegs
zurück.
Walkers Musik hatte orchestrale Schlagseite, verabschiedete sich vom
Strophe-Refrain-Strophe-Schema hin zu delikaten Kunstliedern und
elliptischen Songpoemen. Auf dem Cover in Schwarzweiß: der Künstler mit
Sonnenbrille, in sich gekehrt, ein Zauderer, ein Zweifler. Je mehr er
zauderte und zweifelte, desto mehr wurde er vergöttert, was sich in den
Linernotes auf der Rückseite in einem Zitat des Dichter John Keats
ankündigte: „Beauty is truth, truth beauty – that is all“. Und Walker
verkaufte damit zunächst Platten, hatte jedoch Schwierigkeiten, die Musik
auf die Bühne zu bringen.
## Klaustrophobischer Liederzyklus
Auf den Soloalben „2“ und „3“ interpretierte Scott Walker erneut Jacques
Brel und Hardin und vervollkommnete seine existenzialistische
Kunstliedobsession, die Arrangements wurden luftiger und waren beim Album
„4“ nur noch wolkige Eigenkompositionen. Mit einem Albert-Camus-Zitat in
den Linernotes und Fotos von GIs in Vietnam und Stalin. Kommerziell war das
um 1970 Selbstmord, weil es nicht zum angetörnten Hippiemainstream passte
und noch kein Markt für Kunstliedobsessionen ehemaliger Teen-Idole
vorhanden war.
Was half, waren Best-of-Koppelungen der Walker Brothers, Ochsentouren mit
Reunion-Konzerten verweigerte er. Die Soloalben jener Jahre kamen nicht an
seine Frühwerke heran. Es dauerte bis 1983, als Scott Walker das Album
„Climate of Hunter“ veröffentlichte. Der Beginn von Experimenten im Studio
mit dem Soulsänger Billy Ocean und dem Freejazzsaxofonisten Evan Parker,
Walkers lange Verwandlung vom Kunstliedfan zum manischen Eigenbrötler, der
sich zwölf Jahre in diversen Projekten verbastelte, bis 1995 urplötzlich
„Tilt“ auf den Markt kam.
Nicht, dass der Markt damals auf einen klaustrophobischen Liederzyklus von
Scott Walker gewartet hätte. In der Zwischenzeit war wenigstens eine neue
HörerInnengeneration herangewachsen, Punk- und New-Wave-sozialisiert,
Walkers Liedkunst in Verbindung mit Popsensibilität aufgeschlossen
gegenüberstehend.
„Tilt“ klang völlig ab vom Schuss, das war ja gerade das Tolle.
Gelegentlich steuerte der Künstler damals Musik für Soundtracks bei, lebte
ansonsten als Eremit in London und veröffentlichte erst 2006 wieder Musik:
das Doppelalbum „The Drift“, kompositorisch, stimmlich, textlich ein
Meisterwerk, auf dem die Percussion bei dem Song „Clara“ auf Parmaschinken
geklopft wurde, während Walkers Stimme verhuscht, fast papieren klang. Die
künstlerische Anerkennung, die ihm vorher versagt geblieben war, regte ihn
nochmals zu einigen Alben an. Am Montag ist Scott Walker 76-jährig wieder
zu Scott Engel geworden, möge er nun von Wolke zu Wolke huschen.
25 Mar 2019
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Scott Walker
Popmusik
Fat White Family
Kelsey Lu
Punk
Scott Walker
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