# taz.de -- Bilderkeller in der Akademie der Künste: Unter dem Pflaster Berlins | |
> 1957/58 im Grenzgebiet zwischen Ost und West: Die Meisterschüler der | |
> Akademie haben im Heizungskeller gefeiert und sich verewigt. | |
Bild: Blick in den Bilderkeller, im Vordergrund Wandbild von Harald Metzkes und… | |
Unter dem Pflaster liegt nicht nur der Strand. Unter dem Pflaster wartet | |
ein Traumwald aus milchweißen Baumstämmen und Ästen vor nachtschwarzem | |
Hintergrund. Unter dem Pflaster lädt ein Skelett mit Königsinsignien, lädt | |
eine Mondsichel mit Kreis, ähnlich der eines vorislamisch-südarabischen | |
Altarreliefs, zum Bankett ein. | |
Es ist für alles gesorgt: Da gibt es eine Bar, goldene Weinpokale und rote | |
Trauben, Bierkrüge und -fässer, Karaffen und Kelche. Nackte, geflügelte | |
Elfen sind zur Stelle und lenken ihre Augen, himmelblau und | |
kohlrabenschwarz, auf eine Musikbühne. Dann ist da ein Kampfterrier, aber | |
keine Angst, das ist nicht Cerberus, der Höllenhund, sondern vermutlich der | |
Pitbull des Westberliner Galeristen Rudolf Springer. Und an der Wand steht: | |
„Stötzer ist eine Sau.“ | |
Das alles ist kein Traum, sondern kann besichtigt werden, direkt zwischen | |
dem Hotel Adlon und dem Brandenburger Tor, dort, wo die Touristen und | |
Fahrradtaxis vorbeiströmen, dort, wo vor 30 Jahren auf Ostberliner Seite | |
ein Gitterzaun und dahinter die Berliner Mauer stand, dort, wo es auf der | |
anderen Seite hieß: „Achtung! Sie verlassen jetzt West-Berlin.“ | |
Der Wald und das Bankett, die Elfen und der Mondanbeter sind Wandmalereien, | |
sie befinden sich im Heizungskeller der Akademie der Künste und können seit | |
Herbst vorigen Jahres im Rahmen einer Führung besucht werden. | |
Wilde Faschlingsfeste der Meisterschüler | |
Die Bilder sind 60 Jahre alt, sie entstanden 1957/58 für wilde | |
Faschingsfeste damaliger Meisterschüler der Akademie der Künste, die als | |
echte Künstler ihre Feiern gleich selber dekoriert haben. Die Bilder | |
gehören den Malern Manfred Böttcher, Harald Metzkes, Ernst Schroeder und | |
Horst Zickelbein. | |
Zu den wie alle Klischees nicht von der Hand zu weisenden Künstlerklischees | |
gehört, dass dieses Völkchen feste feiert. Denn der an der Kellerwand | |
verewigte Bildhauer Werner Stötzer erinnert sich in einem der | |
Interviewfilme, die in der Akademie im Rahmen des Begleitprogramms zu sehen | |
sind, dass diese Faschingssausen schon mal bis frühmorgens um vier gingen. | |
Wenn da bloß niemand gestolpert ist! Stötzer nämlich führt weiter aus, wie | |
er nach einem Besuch von Dylan Thomas’ „Unter dem Milchwald“ im | |
Schillertheater so begeistert war, dass er im Tiergarten Stämme und Äste | |
sammelte, eingipste und mitbrachte. Der Traumwald im Keller kann als Echo | |
dieser Aufführung gesehen werden. | |
Bei der Führung durch den Keller taucht unweigerlich der Gedanke auf, was | |
das für ein Berlin gewesen sein muss, in den Jahren vor dem Mauerbau, als | |
der Westen, seine Theater, Bibliotheken und Galerien vom Osten aus noch zu | |
erreichen waren. Aber auch, dass diese Malereien 12, 13 Jahre nach dem Ende | |
des Zweiten Weltkriegs und der Naziherrschaft entstanden sind. Wer zu den | |
Bildern hinabsteigt, passiert die Treppenhausreste des Büroflügels von | |
Hitlers Architekt Albert Speer. | |
Cognac und Zigarren mit Zweig und Seghers | |
Vier der prominenten Gäste des Partykellers, an die sich Stötzer erinnert, | |
hatten vor den Herrenmenschen des Dritten Reichs ins Exil gehen müssen: der | |
Schriftsteller Arnold Zweig, er soll für die Feiern Cognac und Zigarren | |
besorgt haben, die Schriftstellerin Anna Seghers und die Schauspielerin und | |
Intendantin des Berliner Ensembles, Helene Weigel. | |
Dann war da der Schriftsteller Bodo Uhse, einer, der von der NSDAP zur KPD | |
und in den antifaschistischen Widerstand ging, einer, der nach der | |
Enthüllung von Stalins Verbrechen auf dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 | |
durch Nikita Chruschtschow, also ungefähr zur Zeit der Kellerpartys, | |
betrunken geäußert haben soll, er habe seine Seele an den „Schweinehund | |
Stalin“ verkauft. Anzunehmen ist, dass da einiges gelöscht werden musste. | |
Die Kunst der vier Meisterschüler ging mit dem von DDR-Seite offiziell | |
gepflegten Sozialistischen Realismus nicht konform, sie wollten einen | |
anderen Realismus. Dass es sie dafür in die Katakomben zog, ist mehr als | |
eine Metapher; dass sie sich dabei ordentlich vergnügt haben, ist ein | |
zwingendes Argument für die Freuden der Unbotmäßigkeit. | |
Denn eine andere Wand zeigt einen riesigen röhrenden Hirsch, so, wie er in | |
einer gutbürgerlichen Stube goldgerahmt hängen könnte. Nur, der Förster, | |
der ihm beigestellt ist, kommt nicht zu Fuß oder mit einem Wagen, er sitzt | |
in einem Kahn. Wer weiß, vielleicht ist der Förster gar kein Angestellter, | |
sondern ein Wilddieb, ein Outlaw, den es von Strand zu Strand verschlägt. | |
Das ist eine der Fragen, welche die in Bälde von der Akademie der Künste | |
herausgegebene Publikation zum Bilderkeller klären könnte. Und wenn nicht: | |
Ein Rest Dunkel darf da ruhig bleiben, eine Treppenlänge unter dem Pflaster | |
der Stadt Berlin. | |
9 Aug 2019 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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