| # taz.de -- Artschoolpop von Ela Orleans: Oh bliebe Zeit für unsere Liebe | |
| > „Movies for Ears“: In ihrem neuen Album lässt sich die versponnene | |
| > Artschoolpopwelt der polnischen Künstlerin Ela Orleans neu entdecken. | |
| Bild: Lebt und arbeitet seit 1997 in Glasgow: die Musikerin Ela Orleans | |
| Mit einer elektrischen Orgel, synthetischem Zirpen und gedämpfter Snaredrum | |
| hebt alles ganz idyllisch an und könnte es auch bleiben, wäre da nicht | |
| diese sonore Frauenstimme, die verkündet, sehr lange gewartet zu haben; | |
| gewartet hat sie auf „the season we can love“. | |
| Moment, gerade zwei Monate ist es her, dass die britisch-amerikanischen | |
| Folkpunks Mekons den französischen Dichter Arthur Rimbaud auf ein Rockalbum | |
| hievten, und da ist er schon wieder, der Symbolist und Wüstengänger, der in | |
| „Eine Jahreszeit in der Hölle“ Zeilen schrieb, welche die Berliner Malerin | |
| Jeanne Mammen wie folgt übertragen hat: „Ich harrte so lang / Bis mir alles | |
| entschwunden. / Ängste und Qualen / Sind im Himmel entschwunden / Und die | |
| Adern umschattet / Der krankhafte Durst. // Oh käme, oh bliebe / Die Zeit | |
| unserer Liebe.“ | |
| Das zitierte Gedicht hat sich Ela Orleans, eine polnische Musikerin mit | |
| Wohnsitz im schottischen Glasgow, geborgt, oder besser: zu eigen gemacht. | |
| Orleans gehört die sonore Eingangsstimme, und mit Rimbaud eröffnet die | |
| Künstlerin auch „Movies for Ears“, eine die Jahre 2001 bis 2012 umfassende | |
| Werkschau ihrer schönsten Songs. Sie war 2016 bereits einmal als CD-ROM in | |
| Orleans’ Eigenverlag erschienen und ist lange vergriffen gewesen, dafür | |
| liegt sie jetzt vom Experimetal-Hexer James Plotkin für Vinyl überarbeitet | |
| und neu gemastert beim Glasgower Label Night School vor. | |
| Wer an dieser Stelle bereits Ohrensausen kriegt, muss nicht verzagen: | |
| „Movies for Ears“ legt den Fokus auf die eingängigeren Stücke aus Orleans… | |
| Backkatalog; dass es andere gibt, sei nicht verschwiegen. | |
| Dreampop wäre, so denn Bedarf besteht, eine geeignete Schublade für das | |
| Album; Musik also zum Orakeln, Sinnieren und Spintisieren, Musik für, mit | |
| Verlaub, noble Freizeitbeschäftigungen. Dazu gehört auch der eine oder | |
| andere Gang ans Bücherregal, Ela Orleans, die 1971 in Oświęcim (Auschwitz) | |
| Geborene, scheint ihn oft zu gehen. | |
| ## Literarisch unterfütterter Dreampop | |
| Neben Rimbaud vertont sie noch drei weitere Dichterinnen: die Engländerin | |
| Elizabeth Browning, Lyrikerin des Viktorianischen Zeitalters, und die | |
| Nordamerikanerinnen Emily Dickinson und Sara Teasdale, die beide mit ihren | |
| Romanen am Anfang moderner Literatur stehen. Den Zeilen der drei Ladies | |
| schneidert Orleans Sounds und Songs, die man bei ihrem synästhetischen | |
| Titel nehmen sollte: „Movies for Ears“ eben. | |
| Einer der Filme, die beim Hören abgerufen werden könnten, ist einer, in dem | |
| alle schon mal mitgespielt haben und es immer wieder tun werden; einer, den | |
| Orleans mit einer Musik wie vom Rummelplatz einleitet, bevor sie „Message“, | |
| eine Liebesbotschaft von Sara Teasdale intoniert, eine über viele Meilen | |
| hinweg, bei Orleans: „I Know“. Elizabeth Browning und Emily Dickinson | |
| kleidet sie in Musik, irgendwo zwischen Amon Düül II, „Fly United“ und | |
| Stereolab, „Olv 26“, in verhallte Spieluhrmelodien mit Fallstricken. | |
| Detailfreudigkeit, die Liebe zu den schönen Komponenten, gehört unbedingt | |
| dazu: In „Black And White Flight“ baut Orleans aus dem Knistern einer alten | |
| Schallplatte, aus einem Madchester-Drumbeat, einer Keyboard-Lasur und | |
| Piano-Einwurf einen mustergültigen Song. | |
| Mustergültig freilich dergestalt, dass hier eine Künstlerin zugange ist, | |
| die bereits mit E-Musik-Komponisten wie Lukas Ligeti und Marcus Schmickler | |
| gearbeitet hat und gleichzeitig den britischen House-DJ Andrew Weatherall | |
| wie die schottische Tweepopband The Pastels zu ihren Fans und Unterstützern | |
| zählen kann. Ela Orleans muss keine Leisetreterin sein. | |
| Anspieltipp auf „Movies for Ears“: „In the Night“, ein durchaus | |
| beschwingter Sixtiesbeat, ganz Garagenounk, ganz Orgelseligkeit mit der | |
| Zeile „I was drowning in the ocean of light“. Doch das Licht, es kann hier | |
| kein anderes als künstliches sein, und die Nacht, sie wird nicht ewig | |
| währen. Das „leider“ ist Orleans’ Stimme eingeschrieben. „Movies for E… | |
| ist ein durch die Bank doppelbödiges, mehrdeutiges Album, man merkt ihm | |
| ohne den eingangs zitierten Hinweis kaum an, dass es sich dabei um eine | |
| Zusammenstellung handelt. | |
| Eher ließe sich ein Konzeptalbum vermuten, eines von der Art, das zwei | |
| wesentliche Dinge herausstreicht: Pop darf belesen sein. Und die beste | |
| Popmusik wird immer noch von denen gemacht, die mit der Avantgarde auf Du | |
| und Du sind. | |
| 30 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Mießner | |
| ## TAGS | |
| Artschoolpop | |
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