# taz.de -- Debütalbum von Joey Bargeld: Wehmut in Nuancen | |
> Auf „Punk is Dead“ switcht Joey Bargeld vom Synthie-Disko-Song zum Rap | |
> und weiter zum Ska. Das ist ehrlich, unironisch und manchmal lakonisch. | |
Bild: Weiß, wie man ein Mikro hält: Joey Bargeld | |
Punk ist tot. Es lebe der Punk. Im Waschzettel zu seiner ersten EP – im | |
Genre Rap wohlgemerkt – wurde Joey Bargeld als „der letzte echte Punk“ | |
bezeichnet. Jetzt, zwei Jahre später, nennt er sein Debütalbum „Punk is | |
dead“. Ja, was denn nun? Joey Bargeld, bürgerlich Joel Moser, will sich | |
keinem Genre zuordnen lassen. Oder, wie er es in seiner Single „Trotzdem“ | |
sagt, einem Ska-Track: „Egal, wo ich bin / Ich fühl mich nicht | |
dazugehörig.“ Eine Einstellung, die eines Punk würdig ist. | |
Eigentlich aber ist Joey Bargeld mit Rap sozialisiert. Der Legende nach kam | |
er über seinen Onkel – niemand geringeren als Gangsta-Rapper Bonez MC von | |
der berüchtigten Hamburger 187 Straßenbande – zur Musik. Früh schon schlug | |
er aber einen anderen Weg als sein Onkel ein. | |
Über ein Feature mit [1][der Hamburger Rapperin Haiyti] kam Bargeld in das | |
Umfeld des Produktionskollektivs KitschKrieg. 2017 produzierten sie eine | |
dreiteilige EP-Serie, die Einführung in das Universum Joey Bargeld: von | |
ruppigen Raps mit heiserer Whisky-Stimme zu immer abgedrehteren | |
Experimenten zwischen New Wave, Elektro und natürlich Punk. Dann kommt | |
Bargeld mit auf Trettmanns Tour, wird szeneintern bekannt. Alle feiern den | |
Künstler, der schreit, grölt, live mit einer Band spielt – und das in | |
Zeiten von Konservensounds. Punk eben. | |
Jetzt stellt Joey Bargeld alles auf den Kopf. Sein Debütalbum produzierte | |
nicht KitschKrieg, sondern der Hamburger Darko Beats, ein Freund der ersten | |
Stunde. Mit „Punk is dead“ haben die beiden eine Tour de Force geschaffen: | |
Auf Ska folgt Trap, immer mal wieder gemischt mit Emocore und Disco, | |
dazwischen Rap-Parts zwischen Falco und West Coast. Bargeld schildert das | |
Leben in Extremen – von der Party in „Born Trippy“ zum Absturz in „Brit… | |
Spears“. Oft spannt sich durch den Kontrast von Beat und Text ein | |
emotionaler Bogen. | |
## „Zieh dich aus, zieh dich an“ | |
So zum Beispiel in „Fast nichts an“, einem luftigen Synthie-Disco-Song über | |
die Performance einer Stripperin. Die Ekstase des Nachtlebens wird | |
kontrastiert mit Melancholie: „Zieh dich aus, zieh dich an, nimm mich aus, | |
nimm mich an“. Man sieht sie förmlich vor sich: die Übriggebliebenen, die | |
sich die Nacht um die Ohren schlagen, weil das Einzige, was noch | |
unerträglicher ist, die Einsamkeit ist. | |
Bargeld sieht sich nicht als Rapper, hat nicht den Anspruch, 16 Zeilen in | |
eine Strophe zu packen. Er begnügt sich mit 12, manchmal auch weniger. Viel | |
wichtiger ist, dass die Worte stimmen. Und das tun sie. Sie sind ehrlich, | |
gänzlich unironisch, ein wenig lakonisch – egal, um welches Gefühl es geht. | |
So singt Bargeld im poppig-fröhlichen „Kalifornien“: „Ich bin fertig, | |
fertig mit dir, fertig mit hier, ich muss weg, weil ich fliege.“ Selbst in | |
der größten Unbeschwertheit eine Nuance Wehmut. | |
Überhaupt lauert die Melancholie bei Bargeld immer unter der Oberfläche. | |
Mal in Form von mystischen Chören, die die lapidar klingende | |
Liebeserklärung von „Jeden Tag“ untermalen. Meist aber steckt sie in den | |
Texten. Man wundert sich, dass der Mann mit der Reibeisenstimme und den | |
hässlichen Tattoos mehr Gefühl in ein Album packen kann als mancher | |
Singer-Songwriter. | |
„Warum liebst du mich?“ zum Beispiel ist brutal ehrlich. Ohne großspurige | |
Metaphern zeichnet Bargeld das Bild einer kaputten Durchschnittsbeziehung: | |
Er kriegt sein Leben nicht auf die Reihe, sie hält den Laden am Laufen. Er | |
weiß nicht, was er will und warum sie sich das antut. Eine Momentaufnahme | |
ohne Auflösung. Die Sensibilität, mit der Bargeld sich solchen Randgefühlen | |
widmet passt tatsächlich in kein Genre. Punk mag vielleicht (für ihn) tot | |
sein. Aber Joey Bargeld ist, zum Glück, sehr lebendig. | |
4 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Laura Sophia Jung | |
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