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# taz.de -- Cali tanzt, auch ohne Drogen: Die Touristen kommen zurück
> Die einstige Drogenmetropole Cali wirkt befriedet – nicht zuletzt durch
> Salsa. Tanzschulen holen Kinder und Jugendliche von der Straße.
Bild: Internationales Salsafestival 2013 in Cali.
Im Freilufttheater Los Cristales wummert die Musik aus überdimensionalen
Boxen. Händler wuchten ihre Bauchläden voller Cola, Bonbons und frittierten
Churros durch die Menge, Kinder toben und Pärchen tanzen eng gedrängt im
Publikum – gleich beginnt die Show. Auf diesen Abend hat die halbe Stadt
hingefiebert, beim Wettbewerb des diesjährigen Festival Mundial de Salsa
Cali sollen die besten Tänzer gekürt werden.
Endlich richtet sich ein Lichtkegel auf die Bühne, ein halbes Dutzend
Tanzpaare in goldenen Schuhen hüpft darauf. Die Frauen tragen glitzernde
Kleidchen, die Herren enge Anzüge in schreienden Farben. Als sie dann zu
hochgepitchten Sounds lostanzen, ist kein Halten mehr.
Das Publikum johlt und bläst in schrillende Pfeifen, während die Tänzer
ihre Beine wie unter Starkstrom bewegen, Hochgeschwindigkeitspirouetten
drehen und zu akrobatischen Sprüngen ansetzen. An die hundert Gruppen
werden auftreten, eine farbenfroher und ehrgeiziger als die andere.
Mit dem Tanz, der in Kuba und Tokio, in Los Angeles und Wuppertal getanzt
wird, hat dieses virtuose Gezappel aber kaum noch etwas zu tun. Beim
Cali-Style geht es vor allem um blitzschnelle, einfallsreiche
Schrittfolgen, und weniger um elegante Kombinationen.
Am nächsten Morgen bemüht sich Edwin Villalobos, Lehrer der Tanzschule
Swing Latino, uns den Cali-Stil beizubringen. Der 28-Jährige tanzt seit
seiner Kindheit, seit zehn Jahren macht er als Trainer auch die fußlahmsten
Gringos fit. „Natürlich tanzen wir in Cali auch auf dem normalen Rhythmus,
aber wir fügen noch Zwischenschritte, Hüpfer und Elemente aus Cha-Cha-Cha
und Boogaloo ein – wir haben eben unsere Tricks“, sagt er, während
Ventilator und CD-Player um die Wette dröhnen.
Nach den ersten Basics, die wir in dieser Stunde lernen, führt Edwin durch
seine Schule, die mit fünf kleinen Tanzräumen zu den Besten der Stadt
gehört. Im Treppenhaus legt eine Mutter ihrer neunjährigen Tochter dicke
Make-up-Schichten aufs Gesicht, kleine Jungs in orangefarbenen Satinanzügen
flüstern aufgeregt – heute Nachmittag steht der Wettbewerb der Kinder an.
Dass schon Sechs-, Sieben- oder Elfjährige ihr Können unter Beweis stellen,
ist in Cali ganz normal.
„Wir haben an unserer Schule 150 Kinder und Jugendliche, die wir umsonst
unterrichten. Sie kommen aus den Slums, und sind die Hoffnungsträger für
die ganze Familie“, erzählt Edwin, der selbst eins dieser Kinder war. „Auch
andere Schulen unterrichten gratis, das bewahrt viele Kinder davor,
abzurutschen. Profitänzer zu werden, ist für sie ein absoluter Traum.“
Den Tanzunterricht finanziert die Schule mit zahlenden Privatkunden und
Sponsoren. Auch die mittlerweile drei großen Shows, die in Calis exklusiven
Hotels stattfinden und mit ihren hohen Eintrittspreisen nur etwas für die
Upperclass sind, spülen Geld in die Kassen – die besten Tänzer
verschiedener Schulen treten hier auf.
„Für die Armen ist Salsa ein Lebensstil. Für die Reichen ist er höchstens
Zeitvertreib. Ein Riesenunterschied“, weiß Edwin.
Bis vor zwei Jahren befand sich Swing Latino noch im prekären Ostteil der
Stadt, fast alle der jüngeren Tänzer wohnen hier. Extra für die zahlenden
Kunden ist die Schule in einen besseren Bezirk gezogen, denn vor dem
verrufenen Osten wird gewarnt. Hier überschatten Armut, Gangs und
Drogengeschäfte das Leben vieler Bewohner.
## Eine Chance für private Initiativen
Die meisten von ihnen sind Landflüchtlinge, die vor den Guerilleros, den
Paramilitärs oder vor beiden Kontrahenten geflohen sind. Viel Präsenz zeigt
die Stadtregierung dort trotz aller Probleme nicht, deshalb sind private
Initiativen wie Tanz- oder Fußballunterricht eine Chance.
Jenseits der östlichen Stadtgebiete präsentiert sich Cali friedlich. Die
Drogenkartellmetropole der 80er und 90er Jahre, in der es zeitweise kaum
möglich war, auf die Straße zu gehen, in der schwer bewaffnete Mafiosi in
amerikanischen Schlitten herumfuhren und Angst und Schrecken unter der
Bevölkerung verbreiteten, hat sich verwandelt: Vor allem rund um den
kolonialen Stadtteil San Antonio haben viele kleine Herbergen, Cafés und
schicke Restaurants geöffnet.
Studenten und Liebespaare flanieren umher, Kunsthandwerker und
Zuckerwatteverkäufer warten im Schatten großer Mangobäume entspannt auf
Kundschaft, Schauspieler scharen die Spaziergänger mit Stegreiftheater um
sich, Kinder spielen. „Bis vor ein paar Jahren war Cali noch im
Stand-by-Modus, alle waren wegen der Gewalt wie gelähmt. Die Leute haben
sich geschämt für das schlechte Image ihrer Stadt. Das hat sich geändert“,
sagt Carlos Andrés Gomez.
## Der Weg zur Christusstatue
Der Künstler steht vor seinem meterlangen Fresko, das er der Geschichte der
Pachamama gewidmet hat, der andinen Mutter Erde. Es befindet sich an der
Straße hoch zur Christusstatue, die eine gigantische Aussicht über die
Stadt bietet. Schützend breitet dort oben der überdimensionale Christo Rey
die Arme aus, ein Segen für Cali, der in der Vergangenheit allerdings wenig
effektiv war.
Selbst der Besuch der Statue war lange unmöglich, weil die Straße von Gangs
kontrolliert wurde, und so kam Carlos auf die Idee zu seinem Fresko. „Ich
mache meine Kunst für die Leute hier. Sie müssen wieder lernen, stolz auf
sich und ihre Kultur zu sein, und in Frieden und Sicherheit miteinander
leben.“
Sicherheit ist das Stichwort, mit dem in Kolumbien alles steht und fällt.
Seit Mitte der 1990er Jahre die Drogenkartelle von Cali und Medellín
zerstört wurden, und der berühmt-berüchtigte ehemalige Präsident Álvaro
Uribe später radikal aufräumte, geht es dem Land in dieser Frage
entscheidend besser. Das lockt Touristen und Investoren an, die Wirtschaft
boomt.
Auch in Cali wird überall gebaut, was die Stadt noch chaotischer als
ohnehin schon macht. Zuweilen wirkt das Stadtbild so, als ob bisher eher
Geld als planerischer Verstand im Spiel war. Besonders gilt dies für die
Luxushäuser der Drogenbosse – mittlerweile verfallen viele, weil ihre
ehemaligen Besitzer hinter Gittern sitzen.
## Parkanlagen und viele Bäume
Auch die wild geschwungenen Brücken, der rigoros einbetonierte Fluss und
die 70er-Jahre-Klötze im Stadtzentrum verschönern das Ambiente nicht
besonders, doch trösten Parkanlagen und viele Bäume etwas darüber hinweg.
Noch einmal wollen wir dem Salsa auf die Spur kommen, diesmal bei dem
extrem gutgelaunten Schuster William Avenas. In seiner kleinen Werkstatt
hämmert, schneidet und klebt er Leder. „Ich bin der Erste, der vor 25
Jahren angefangen hat, Tanzschuhe herzustellen“, sagt er.
Ein Geschäft mit Zukunft, verrät ein Blick auf die Highheels und
glitzernden Herrentanzschuhe in seiner Werkstatt. Rund 5.000 Profis und um
die 150 Tanzschulen gibt es in Cali, und für die vielen Shows und
Wettbewerbe werden immer neue Schuhe gebraucht. Dass Großproduzenten ihm
das Geschäft verderben könnten, fürchtet er nicht: „Unsere Tänzer wollen
nur einzeln angepasste Schuhe – die kaufen doch nichts von der Stange!“,
sagt er.
## Tanzschuhe nur für Touristen
Nicht so der Durchschnittsbürger: „Alle tanzen hier, aber spezielle Schuhe
dafür anziehen? Nein, das machen nur Touristen!“, sagt William lachend.
Wenig später zeigt sich im La Comadre, einem großen Tanzclub im Ostteil der
Stadt, dass William recht hatte: Von strassbesetzten Pumps bis zur
abgetretenen Ledersohle ist alles vertreten, nur kein professioneller
Tanzschuh. Um vier Uhr nachmittags ist das Parkett schon voll. Das
Plastikmobiliar und die Schnaps- und Colaflaschen auf den Tischen sind nur
undeutlich erkennbar, die Beleuchtung ist auf ein rotes Minimum
runtergedimmt.
Das La Comadre ist eine Viejoteca, ein Tanzladen speziell für ältere
Caleños, die sich nicht für die dynamischen Moves interessieren, die in den
vielen angesagten Clubs der Stadt exerziert werden. Hier tanzen sie zu
ruhigen Stücken, zu kubanischem Son, Cha-Cha-Cha und schleppender
kolumbianischer Cumbia voller Herz- und Weltschmerz.
Die Frauen und Männer halten sich eng umfasst, manche schließen die Augen
und singen mit. Und fast wirkt es so, als ob sie nicht wirklich zum
Vergnügen hergekommen sind, sondern weil sie das Tanzen brauchen wie die
Luft zum Atmen.
22 Sep 2013
## AUTOREN
Judith Hyams
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