Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Cumbia-Sound erobert die Welt: Einfach mal tiefergelegt
> Die Musik der afrikanischen Sklaven in Kolumbien feiert ein Revival in
> der europäischen Clubszene. Zwei Alben dokumentieren die Entwicklung des
> Genres
Bild: Cumbia-Band: Los Corraleros de Majagual.
Es spricht einiges dafür, dass uns eine massive Cumbia-Welle ins Haus
steht. Das hat der eigentlich schon recht betagte kolumbianische Sound vor
allem seinen neuen nationalen und internationalen elektronischen Varianten
zu verdanken.
In Kolumbien fusionieren Bands wie BombaEstéreo, ChocQuib Town und Systema
Solar mit wachsendem internationalen Erfolg Cumbia mit HipHop, Funk und
Techno, während Weltenbummler wie der in Köln aufgewachsene Chilene Matias
Aguayo, der Mexikaner Toy Selectah, die in Kolumbien lebenden Briten Will
Holland (aka Quantic) und Richard Blair (aka Sidestepper) oder der in
Buenos Aires lebende US-Bürger Grant C. Dull mit seinem Label ZZK Cumbia
aus der Sicht des DJs erkunden und in ihre Sets und Produktionen einbauen.
Diese "Cumbia digital" erobert immer mehr die europäische Klubszene und es
ist durchaus denkbar, dass aus dieser Ecke demnächst die ein oder andere
Produktion den Sprung in den Mainstream schafft und vielleicht gar
Deutschland einen ersten Cumbia-Sommerhit verschafft.
Die zunehmende Begeisterung für die digitale Gegenwart schürt natürlich
auch das Interesse an der analogen Vergangenheit. Gerade in der DJ-Szene
ist zu beobachten, dass es nicht mehr nur Samples von alten
Vinyl-Originalen sind, die in ein ansonsten elektronisches Ambiente
eingebaut werden, sondern komplette Songs. Der Trend geht zu Sets, die
ausschließlich mit alten Platten bestritten werden, die höchstens ein
bisschen manipuliert und gefiltert oder auf langsamerer Geschwindigkeit
(Cumbia Rebajada - tiefergelegte Cumbia) abgespielt werden.
Da passt es doch, dass jetzt zwei üppig ausgestattete und liebevoll
zusammengestellte Compilations veröffentlicht werden. Beide geben uns einen
tiefen Einblick in die Entwicklung des Genres und machen etliche alte
Originale digital verfügbar. "The Original Sound of Cumbia - The History of
Colombian Cumbia & Porro as told by the phonograph 1948-79" stellte der
oben erwähnte Will "Quantic" Holland für das Retro-Gourmet-Label Soundway
zusammen. Während "Cumbia Cumbia 1 & 2" die zusammengefasste
Wiederveröffentlichung zweier Cumbia-Compilations ist, die zu Beginn der
neunziger Jahre auf dem Label Word Circuit erschienen.
## Mit Bläsersätzen aufgehübschte Gesänge
Der geheime Held beider Zusammenstellungen ist Antonio Fuentes, der 1934 in
Cartagena an der kolumbianischen Karibikküste das Label Discos Fuentes
gründete. Fuentes ursprüngliches Vorhaben war es, die Tanzmusik und
Folklore der von freigelassenen oder geflohenen Sklaven bevölkerten Dörfer
in der Region zu dokumentieren. Schnell entwickelte er aber weitergehende
Ambitionen und wurde zum stilbildenden Musikproduzenten moderner Prägung.
So war es seine Idee, die wilden Gesänge, in denen es vor allem um Rhythmus
und expressive Performance ging, mit eleganten Bläsersätzen aufzuhübschen,
wie er sie auf den Platten von Duke Ellington und Count Basie gehört hatte.
Fuentes betrieb auch weiterhin die stetige Modernisierung und ließ sich
dazu von globalen Musiktrends inspirieren. So hielten in den sechziger
Jahren elektrische Orgeln und Gitarren Einzug in die Cumbia-Welt und es
begann die Zeit der "Los"-Bands.
Die nächste Innovationswelle brachte der Arrangeur und Multiinstrumentalist
Julio Ernesto Rincón genannt Fruko zu Beginn der siebziger Jahre nach
Medellín, wo Discos Fuentes mittlerweile sein operatives Zentrum hatte.
Fruko hatte sich von Salsa und Boogaloo New Yorker und puerto-ricanischer
Prägung infizieren lassen und implementierte nun die Ästhetik von Fania
Records in die Musik Kolumbiens.
## Gangstertype
Das hatte nicht nur musikalische Auswirkungen - nervösere Rhythmik,
schärfere Bläsersätze, sondern auch optische: So inszenierte sich Fruko auf
den Covern seiner Alben als Gangstertype ganz im Stile seiner New Yorker
Kollegen Willie Colón und Hector Lavoe. Fast noch bedeutender war es
jedoch, dass es ihm auch gelang, die in den Siebzigern bei den karibischen
Kolumbianern aufkommende Begeisterung für westafrikanische Musik
aufzugreifen, wie es seine Aufnahmen unter den Bandnamen Afrosound und
Wganda Kenya zeigen.
Hier verlassen wir jedoch das Kerngebiet der Cumbia und bewegen uns hinaus
in die Weiten der kolumbianischen Salsa, der Champeta und anderer Stile des
musikalisch so reichen Landes. Was die 85 Titel der beiden
Cumbia-Compilations zeigen, ist, dass die Grundlage des Ganzen, bei allen
klanglichen und konzeptionellen Änderungen durch die Jahrzehnte gleich
blieb: Der charakteristische Cumbia-Beat ist einfach zu perfekt, um
Veränderungen zu benötigen.
Die zunächst ausgedacht klingende Idee, denselben 3-4-1-Beat im doppelten
Tempo noch mal über den Ausgangsbeat zu legen, führt zu einem so
verführerischen Tanzbeat, zu so einem inspirierenden, vielfältigste
Optionen eröffnenden Startplatz für Musiker, dass hier ein Optimum erreicht
scheint, das man erstaunlich einfach aus seinem Ursprungsmilieu herauslösen
kann und das sich überall bestens behauptet.
Die hier dokumentierten Entwicklungslinien zeigen überdies, wie die
Einführung des Tonträgers die Stilgenese revolutionierte: Selbst in den
wenig entwickelten Küstenregionen Kolumbiens entstanden neue Ideen nicht
mehr aus lokal begrenzten, oral überlieferten Traditionen. Statt dessen
schuf die Tonträgerproduktion einen globalen Selbstbedienungsladen, in dem
man sich die Stilistiken besorgt und in das eigene Rezept integriert, die
einem gerade passend erscheinen. Ganz egal, wo sie herkommen und welche
Bedeutung sie ursprünglich hatten.
## Various Artists "The Original Sound of Cumbia" (Soundway/Indigo);
Various Artists "Cumbia Cumbia 1 & 2" (World Circuit/Indigo)
9 Feb 2012
## AUTOREN
Detlef Diederichsen
## TAGS
Pop
Cumbia
Musik
Kolumbien
## ARTIKEL ZUM THEMA
Musiker Chancha Via Circuito: Vom Friseursalon ins Laboratorium
Der Argentinier Chancha Via Circuito arbeitet auf seinem Album „La
Estrella“ mit abenteuerlustigen Künstlern. Das klingt angenehm verhuscht.
Neues Album von Camilo Lara: Ode an den Distrito Federal
„D.F.“, das neue Album von Camilo Laras Soloprojekt Mexican Institute of
Sound, ist eine Liebeserklärung an die mexikanische Hauptstadt.
Kolumne Unter Leuten: Star des Champeta
Der Musiker Charles King kommt aus Palenque. Ähnlich wie der Hip-Hop in den
USA ist Champeta in Kolumbien nicht nur ein Musikstil.
Cali tanzt, auch ohne Drogen: Die Touristen kommen zurück
Die einstige Drogenmetropole Cali wirkt befriedet – nicht zuletzt durch
Salsa. Tanzschulen holen Kinder und Jugendliche von der Straße.
Neues Album der Kumbia Queers: Irritierend und ätzend harmlos
Zwischen der traditionellen Cumbia und der jenseits von Geschlechtergrenzen
liegenden Punkversion der Kumbia Queers liegen Welten. Der Sound stimmt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.