# taz.de -- Debütalbum der Wienerin Mimu: Krieg und Frida | |
> Die Wiener Künstlerin und Musikerin Mimu holt ihre Daten aus den sozialen | |
> Netzen zurück. Sie zerlegt diese Sprach-Fundstücke mit feinsinniger | |
> Musik. | |
Bild: Zerlegt auch Ölfarbe: Die Künstlerin Mimu Merz. | |
Mimu Merz ist wieder irgendwo. Die W-LAN-Verbindung wackelt, das Interview | |
kann noch nicht anfangen, der Ton funktioniert nicht. Sie geht von einem | |
Zimmer ins andere, immerhin kann man sehen, wie sie aussieht. Kurze Haare, | |
große Brille. Auf den ersten Blick spitzbübisch, auf den zweiten Blick | |
klug, vielleicht auch verschlagen. | |
Und gleich fällt einem auch ein, wovon das Wort spitzbübisch abgeleitet | |
ist. Von Worten wie „lauwach“ oder „Siezfleisch“ oder „Geistesgegenwe… | |
Und dass sie sich über diese so freuen kann, erst einmal, ganz ohne | |
künstlerische Hintergedanken. Laufend postet sie solche und ähnliche | |
Wortspiele auf Facebook, notiert sie in ihre Notizbücher, auf Zettel, | |
überall. | |
Inzwischen steht die Verbindung, das Bild ist weg, dafür der Ton besser. | |
Zeit für Fragen: Wie ist das nun mit den Wörtern? „Die sammle ich manisch�… | |
sagt sie, „ich habe die Tendenz die deutsche Sprache zu zerlegen.“ Damit | |
ihre Erfindungen produktiv genutzt werden können, hat sich Mimu, wie sie | |
meistens genannt wird, einige Strategien überlegt. Sie hat eine Datenbank | |
programmiert, die ihre Statusmeldungen bei Facebook automatisch ausliest | |
und ordnet: nach Einworterfindungen, nach Posts, die mit Orten verknüpft | |
sind, längeren Texten, nach Wikipedia-Informationsschnipseln. | |
In den vergangenen drei Jahren hat die 30-Jährige um die 6.000 Posts | |
geschrieben und dabei an die 600 Wörter erfunden. Irgendwie, so meint die | |
Wienerin, musste sie sich wieder etwas vom Netzwerk zurückholen, das sich | |
so viele Daten von ihr holt. | |
Nun wird endlich ihr Debütalbum „Elegies In Thoughtful Neon“ erscheinen. | |
Dabei ist Mimu eine Autodidaktin, aber das helfe ihr eben, sagt sie, um | |
nicht zu starr in Genregrenzen und eingefahrenen musikalischen Strukturen | |
zu denken, sondern vielmehr in Geschichten. | |
## Voller Melancholerie | |
Mimus analoge Notizen ordnet keine Datenbank, aber sie liest sie ständig | |
durch. Dutzende Male, bis sie diese auswendig kann, nicht nur den Inhalt, | |
sondern auch den Rhythmus. Erst dann wird es zu Material, das sie für ihre | |
künstlerischen Schöpfungen verwenden kann. Für ihre Songs, aber zum | |
Beispiel auch für die grafischen Arbeiten in ihrem Künstlerbuch „In jedem | |
Mädchen ein Hafen“. | |
Fast jede Zeichnung wird von einem Satz, zumindest von ein paar Wörtern | |
begleitet. Nutzlose Information wie „Neben Bonobos sind Orangutans die | |
einzigen Primaten bei denen Zungenküsse beobachtet wurden“ begleiten ein | |
einsames Menschengesicht und natürlich haben auch die Wortschöpfungen ihren | |
Auftritt: „Zivilsensation“, „Melancholerie“ oder „Aphrodiopsychose“. | |
Die Künstlerin eignet sich ihre Daten wieder an, zumindest teilweise, holt | |
sie aus der Halböffentlichkeit des sozialen Netzwerks zurück, um sie noch | |
einmal als etwas Eigenes zu präsentieren. Da erweist es sich als nützlich, | |
dass Mimu „aus irgendeinem Grund immer eine Oppositionshaltung einnehmen | |
muss“. Vor allem Institutionen reizen ihren Widerspruch. | |
## Flucht vor der Mutter | |
Was auf persönlicher Ebene als Flucht vor einer autoritären Mutter begann – | |
mit 15 riss sie für ein paar Monate aus –, setzt sich auf künstlerischer | |
Ebene fort. Nach der Absolvierung einer höheren technischen Lehranstalt – | |
einer Art österreichischer Berufsschule – mit einem kunstgewerblichen | |
Schwerpunkt fing sie ein Studium der Medienkunst in Wien an, das sie bis | |
heute nicht abgeschlossen hat. Denn, Prinzip Mimu, „wenn ich Medienkunst | |
studiere, mache ich nur noch Sachen ohne Elektrizität“. | |
So hat sie sich fortbewegt – immer irgendwohin: von der Zeichnung zum | |
Bewegtbild, vom Bewegtbild zur Musik und von der Musik zur Stimme. In acht | |
Jahren Wien hat sie 13 Mal die Wohnung gewechselt, danach ist sie nach | |
Paris, jetzt wieder in Österreich, ohne festen Wohnsitz. Mimu ist immer da, | |
wo es etwas zu tun gibt. Sie beschreibt sich als „intuitiven | |
Dahinstolperer“, als „Blatt im Wind“ und „Spartenhopper“. Es liegt Mi… | |
nicht, sich etwas aufzubauen, sich zu spezialisieren, immer an der gleichen | |
Stelle weiterzugraben – weder im Leben noch in der Kunst. Dinge, die | |
anderen Menschen leicht fallen, scheinen ihr unmöglich. Zum Beispiel, sich | |
ein Zimmer oder ein Zuhause einzurichten. | |
Sie muss selbst lachen, während sie dies erzählt: dass sie das nicht kann, | |
„obwohl sie Kunst studiert hat“. | |
Sie hat aber ihren Frieden mit dieser Situation gemacht: „Mir geht es am | |
besten, wenn ich unterwegs bin. Im Transit liegt meine Ruhe.“ In den | |
vergangenen drei Jahren ist dabei die Musik immer stärker in den | |
Vordergrund gerückt. Und sie hat den SKE-Jahrespreis der Austromechana, der | |
österreichischen GEMA, erhalten. | |
## Spiel mit Worten | |
Ihr Albumtitel „Elegies In Thoughtful Neon“ ist auch so ein Spiel mit | |
Worten. Die Klagelieder in nachdenklichem Neon behandeln die Liebe und den | |
Tod. „Das Thema Minne und Krieg“, sagt Mimu, „das ist so ein Klischee. Da | |
musste ich schauen, was man da noch Ekliges und Grindiges herauskriegt.“ | |
Sie hatte das Glück, dass Wien gerade eine florierende | |
Experimentalmusikszene beherbergt. Die Stadt ist im Hauptstädtevergleich | |
verhältnismäßig billig, bietet viele Off-Locations für Proben und Konzerte | |
und seit 1997 kann man an der Musikuniversität die Studiengänge | |
Elektroakustische Komposition und Medienkomposition studieren. | |
Aus diesem Umfeld kommt auch Peter Kutin, der Mimu als Produzent zur Seite | |
stand. Alle Stücke ihres Albums bis auf eins sind auf Englisch, keinem ist | |
anzumerken, dass Mimu ihr Debüt als „Lernprojekt“ bezeichnet. „Politik d… | |
Liebe“ heißt das eine nichtenglische Stück. Der Song dauert sechseinhalb | |
Minuten und enthält die Essenz mehrerer E-Mails, die Mimu an ihre Mutter | |
schrieb – mit der Auflage, trotz dieser Adressatin ihren Gedankenfluss | |
nicht zu zensieren. | |
## Wer räumt den Teer von meiner Seele | |
Sie singt und spricht von der „Logistik der Sekrete“, dem „Schaltplan der | |
Anatomie“ und fragt: „An was soll man denn noch glauben / Wenn nicht an | |
Chemie?“ Der Song kulminiert im Kanon „Wer räumt den Teer von meiner Seele | |
/ Deine Erlösung reicht mir nicht“. Das Arrangement ist vom staubigen Echo | |
der Stimme bis zum Klackern der Schreibmaschine, von der Violine bis zum | |
Discobeat kongenial, es passt sich der Stimme an, einmal trägt die Musik | |
den Gesang, dann führen wieder die Worte die Klänge fort. | |
Live ist das Stück noch stärker, dann spricht Mimu nicht nur, sie schreit | |
auch gelegentlich, steigert damit die Dynamik des Songs. Dem wird sie sich | |
die nächsten Monate widmen, der Live-Aufführung ihres Albums. Danach wird | |
die nächste Sammlung ihrer „Mini Graphic Novels“ folgen. Es soll wie auf | |
„Elegies In Thoughtful Neon“ um die Liebe gehen. Beim Titel ist sie sich | |
noch nicht sicher. Drei Vorschläge stehen zur Auswahl: „Auf immer und | |
Herwig“, „Auf Irma und ewig“ oder „Krieg und Frida“. Die manische | |
Wortesammlerin ist wieder unterwegs. | |
12 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Elias Kreuzmair | |
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