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# taz.de -- Berliner Performance-Kollektiv: „Wir Queers leben nicht isoliert�…
> Die Gruppe Queerdos will gesellschaftliche Verhältnisse transformieren.
> Die Regisseur*in Catalin Jugravu im Gespräch über Gewalt und Katharsis.
Bild: Künstler*innen von „Qeerdos“
taz: Wer sind denn die Queerdos eigentlich, Catalin Jugravu?
Catalin Jugravu: Zurzeit sind wir zwölf Leute: sechs Performer*innen und
sechs Leute backstage: Bühnen- und Kostüm-Designer*innen, Video- und
Sound-Designer*innen, Techniker*innen. Wir haben uns im April 2018
gegründet, um einen Rahmen zu bauen, in dem wir gute Performance-Kunst
kuratieren können. Damit Queers zusammenkommen und unsere Bühne nutzen.
Nach 45 Perfomances haben wir dann aber beschlossen, dass wir eine festere
Struktur wollten: mit einem Ensemble, um gemeinsam an seinen Fertigkeiten
zu arbeiten.
Und was sind Ihre Ziele mit diesem Queerdos-Ensemble?
Wir arbeiten an einem Ort, an dem wir unser Publikum stimulieren können –
damit sie letztlich die Gesellschaft transformieren, in der wir leben. All
das kann in revolutionärer Aktion münden.
Wendet Sie sich mit Ihren Performances eher an ein queeres oder an ein
allgemeines Publikum?
An beides. Ich glaube nicht, dass man sich da entscheiden müsste. Wir
glauben an die Kraft der Gemeinschaft. Und an Gemeinschaft jenseits von
sexueller Orientierung oder Identität. Damit erreichen wir ziemlich
verschiedene Leute.
Die Queerdos-Performances heißen nicht einfach Aufführungen oder
Vorstellungen, sondern Repräsentationen. Das spielt wohl darauf an, dass
Queers dort repräsentiert werden, richtig?
Absolut, ja.
Welche queere Themen finden Sie denn zurzeit besonders dringlich?
Zurzeit arbeiten wir an einer laufenden Performance namens „Queerdos
Violence“. Gewalt auf den Straßen nimmt zu. Das ist, denke ich, kein
Zufall, sondern hängt zusammen mit dem sozialen Klima, das uns auf eine
neue Weise unter Druck setzt. Außerdem arbeiten wir noch an einer neuen
Performance namens „Manifesto“. Es wird darum gehen, wie eine queere
Identität aufgebaut werden kann.
Was sind denn Strategien, Queers sichtbarer zu machen? Sind nicht zurzeit
viele Queers schon sichtbar?
Manchmal sieht es so aus, dass Queerness Mainstream wird. Aber wir bieten
keine Mainstream-Form von Theater an. Unsere Performances sind nicht
kommerziell. Wir arbeiten mit dem gesprochenen Wort und persönlich erlebten
Geschichten. Unsere Arbeit lebt von Sensibilität. Und Empathie mit dem
Publikum. Wir suchen immer den roten Faden, der uns verbindet.
In „Queerdos Violence“ geht es Ihnen auch um strukturelle Gewalt. Das
klingt erst mal abstrakt.
In den Performances wird sehr klar, dass strukturelle Gewalt nicht einfach
ein abstraktes Konzept ist: Es wird in den persönlichen Geschichten sehr
konkret. Eine Person of Color zum Beispiel, die in Berlin mit der
Ausländerbehörde zu schaffen hat. Auch Sprachbarrieren beeinflussen in
Deutschland sehr die Art, wie dich jemand anguckt oder mit dir umgeht. Oder
lass uns übers Hartz-IV-System sprechen: So viele Queers haben mit
finanziellen Problemen zu kämpfen. Das löst zusätzlich psychischen Stress
aus.
Das ist aber nicht an sich spezifisch queer.
Queer macht es die Person, die bei uns damit auf die Bühne tritt. Die
Mitglieder unseres Kollektivs sprechen aus ihrer eigenen Perspektive
heraus, die eine queere ist.
Die Performer*innen leiden also unter mehreren Formen der Diskriminierung,
die sich gegenseitig verstärken.
Korrekt, das multipliziert sich. Da sind Themen dabei, die nicht nur LGBTQI
betreffen. Es geht auch um den Druck insgesamt in einer Gesellschaft
heutzutage. Es ist wichtig zu verstehen: Wir Queers leben nicht isoliert.
Wir existieren in Beziehung zur Gesellschaft. Wir stehen zu ihr in einer
Wechselbeziehung.
Apropos Wechselwirkung: Welche Reaktionen bekommen Sie vom Publikum?
Leute kommen nach den Performances zu uns, um uns zu sagen, wie sehr sie
sich mit dem identifizieren konnten, was Performer*in XY erzählt hat. Das
ist auch wichtig, sich bewusst zu machen: In gewisser Hinsicht gleichen
sich unsere Storys. Das verbindet uns.
Judith Butler sagt ja, dass schon Gender an sich Performance ist. Ist
Performance denn an sich schon eine besondere queere Kunstform?
Ja! Ja! In vielerlei Hinsicht. Wenn wir über Butler und Gender-Performen
sprechen. Andererseits: nein. Ich komme aus dem Theater, als Regisseur*in
und Schauspieler*in. Mit dieser Herkunft würde ich sagen: nicht
notwendigerweise.
Édouard Louis hat kürzlich in der „New York Times“ beschrieben, dass
Schauspiel vielen Queers sehr vertraut sei – weil sie es gewohnt sind,
etwas spielen, vortäuschen zu müssen.
Ja, es gibt diese Idee vom Doppelleben vieler LGBTQI. Ich würde dem
zustimmen. Aber unser Ziel mit Queerdos ist ja gerade, einen Ort zu
schaffen, der uns ermutigt, uns selbst anzunehmen – und gerade kein
Doppelleben zu führen. Deshalb verwenden wir persönliche Geschichten.
Unsere Performances sind authentisch in diesem Moment. Und kathartisch. Uns
interessiert die Frage: Was passiert mit den Performenden auf der Bühne,
während sie ihr Erlebtes offenbaren?
Was könnte denn dann passieren?
Viele, viele Dinge. Das sind ausgesprochen intensive Zustände. Wenn man zum
Beispiel eine gewalthaltige Geschichte aus der eigenen Kindheit erzählt.
Und was passiert dann mit dem Publikum? Wer schon mal bei uns war, weiß von
den kathartischen Momenten am Ende jeder Show.
Wie verhindern Sie bei einem Thema wie Gewalt, dass die Performenden bloß
als Opfer reagieren?
Da hilft es sehr, dass wir während der Proben diskutieren. Wir sind da sehr
geradeheraus miteinander. Und wir machen uns viele Gedanken, wie wir uns
davon ablösen können, von dieser oft gebrauchten und auch falsch
gebrauchten Idee, dass wir als Queers vor allem Opfer seien. Uns ist das
Empowerment wichtig: Durch das, was wir zeigen, ermutigen wir unser
Publikum dazu, anders zu denken – aus den „Opfer-Schuhen“ sozusagen
rauszuschlüpfen.
29 Jan 2020
## AUTOREN
Stefan Hochgesand
## TAGS
Freies Theater
Queer
Performance-KünstlerIn
Queer
taz Plan
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Judith Butler
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