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# taz.de -- Queere Reinigungskräfte in Berlin: „Es fällt eine Hemmschwelle …
> Die Mitarbeiter_innen der Queeren Haushaltshilfe Berlin stören sich nicht
> daran, wenn in der Wohnung Sextoys offen herumliegen.
Bild: Die queeren Haushaltshilfen putzen auch für Heteros
taz: Herr Baumgärtel, Berlins erste queere Haushaltshilfe – braucht es die
wirklich?
Marius Baumgärtel: Ja, weil queere Menschen mit anderen queeren Menschen
leichter in Kontakt treten und sich einfacher eine Vertrauensbasis
entwickelt. Es fällt eine bestimmte Hemmschwelle, eine Hürde weg. Mensch
ist eben Teil der gleichen Community und hat ähnliche Erfahrungen gemacht.
Eine Reinigungskraft dringt ja in einen intimen Bereich ein, in den
privaten Haushalt, putzt das Schlafzimmer, die Toilette, die Küche – da
braucht es ein Vertrauensverhältnis. Und nicht die Vorstellung, die
Reinigungskraft könnte aufgrund von eigenen Überzeugungen die der
Kund_innen verurteilen.
In Ihrem Pressematerial finden sich eindrückliche Beispiele dafür, was
gemeint ist: Niemand müsste die Sextoys oder [1][Medikamente] wegräumen …
Es geht da auch um die Angst, sich über seine Medikamente zu outen und
vielleicht Ablehnung zu erfahren, das gilt zum Beispiel für Menschen, die
schon länger mit HIV leben und daher die gesellschaftliche Ablehnung aus
früheren Zeiten noch erinnern.
Wie kamen Sie auf die Idee für das Unternehmen, kommen Sie denn selbst aus
der Reinigungsbranche?
Ich habe Unternehmungsgründung in Berlin studiert, habe seit zehn Jahren
eine kleine Werbeagentur und arbeite nebenbei für das queere Stadtmagazin
Siegessäule in der Anzeigenakquise. Und mein Vater hat seit 15 Jahren eine
Reinigungsfirma, in der ich als Jungspund als Reinigungskraft gearbeitet
habe.
Tatsächlich?
Ja, auch in der Verwaltung. Nun habe ich in dieser Krise für mich
entschieden, dass es in der Welt ein paar positive Impulse braucht. Wir
können uns doch nicht nur darüber aufregen, was alles nicht stimmt, sondern
müssen einfach auch mal anpacken und etwas tun und ein gutes und ein
gesundes Unternehmen in die Welt setzen, das für die Menschen da ist.
Ein gutes Unternehmen, da knüpfe ich an: Stimmt es, dass Sie freiwillig
Ihre Mitarbeiter*innen übertariflich bezahlen? Und warum? Kürzlich
[2][streikten ja die Reinigungskräfte an den Berliner Schulen] für fairen
Lohn und bessere Arbeitsbedingungen …
Bei privaten Haushaltshelfern gibt es keinen Tariflohn, nur den
Mindestlohn. Tariflohn gibt es nur für Gebäudereiniger, die den Beruf
gelernt haben. Ich habe entschieden, dass mir völlig egal ist, wo jemand
herkommt. Wenn er oder sie seine/ihre Arbeit gut macht, kriegt er/sie
übertarifliche Bezahlung auch für die Arbeit in Privathaushalten, da
diskutiere ich gar nicht. Alles andere darunter ist einfach ein Lohn, von
dem mensch nicht leben kann. Vom Mindestlohn kann niemand vernünftig leben!
Wir gewähren auch mehr Urlaubstage.
Wie viele?
Aktuell 27 Tage plus Betriebsurlaub. Und wir haben eine private
Unfallversicherung, die alle Fälle abdeckt, die die gesetzliche nicht
abdeckt, wenn man in der Raucher- oder der Mittagspause ist, wenn man auf
der Toilette sitzt, und auch alle privaten Unfälle, die nicht im
Arbeitskontext passieren könnten. Eine zusätzliche Absicherung aller
Arbeitnehmer, denn für mich war wichtig, wenn ich ein Unternehmen gründe,
dass es dann wirklich für die Menschen da ist und nicht für den Profit. Ich
selber hab ja mein Einkommen, dafür gehe ich als Angestellter arbeiten, und
was ich hier aufbaue, soll für das Team da sein.
Wie groß ist das Team? Sie sind im Juni, mitten in der Coronapandemie,
gestartet.
Aktuell sind wir fünf Leute, ab nächster Woche [letzte Oktoberwoche ist
gemeint – Anm. d. A.] sechs. Und wir stellen weiter ein.
Wie war das so, mitten in der Coronazeit? Ich frage deshalb: Was ist gerade
eigentlich wichtiger in Ihrer Arbeit – [3][Desinfizieren oder Reinigen]
oder doch beides zusammen?
Das ist ganz spannend. Es gibt sehr unterschiedliche Ansichten der
Kund_innen. Ich geh da sehr individuell darauf ein. Bei der
Erstbesichtigung, die kostenfrei ist, frage ich, ob jemand zu einer
Risikogruppe gehört, Hautunverträglichkeiten hat oder Allergien. Wir gehen
detailliert auf die Leute ein, das sind die von anderen Reinigungsfirmen
gar nicht gewohnt.
Hautunverträglichkeiten, warum?
Um zum Beispiel, wenn es nötig ist, ein bestimmtes Reinigungsmittel von den
Oberflächen wieder runterzuholen, damit niemand einen Ausschlag bekommt.
Das Desinfizieren nach der klassischen Reinigung bieten wir zusätzlich an,
die Toilette zum Beispiel oder die Fenstergriffe, Türklinken, Lichtschalter
… Wir haben ein Hygienekonzept seit Ende Juni, das sich an den Vorgaben
des RKI orientiert. Es gibt klare Anweisungen, wie etwa das Stoßlüften
während der Arbeit zu erfolgen hat. Und sollte jemand aus einer
Risikogruppe beim Reinigen zu Hause sein, wird die ganze Zeit mit Maske
gearbeitet, und man geht bereits mit Handschuhen in die Wohnung.
Ihre Kunden?
Wir haben noch nicht so viele Kund_innen. Aktuell ist es so, dass wir etwa
zu 60 Prozent in privaten Haushalten arbeiten, rund 40 Prozent in Büros.
Momentan liegt der Schwerpunkt auf Privathaushalten von queeren Personen,
sowohl von Pärchen als auch von Singles. Wir haben auch heterosexuelle
Kund_innen.
Denn Sie sind ein heterofreundliches Unternehmen und weisen das auch extra
aus.
Ja, ich hab gedacht, dass ich den Spieß einmal komplett umdrehe. Alle sind
gayfriendly und Regenbogen – da können wir als queeres Unternehmen doch
offen für Heteros sein.
Sie fassen den Begriff Haushaltshilfe recht weit, das finde ich super. Ihr
Angebot beinhaltet zum Beispiel auch eine Spaziergangbegleitung für ältere
Menschen. Eine soziale Komponente.
Wir besprechen die Aufgaben ja individuell. Wir machen auch Botengänge,
gehen einkaufen, leeren im Urlaub den Briefkasten, gießen die Blumen,
helfen im Garten, und ich putze die Fenster.
Sie putzen die Fenster?
Fensterputzen liebe ich über alles. Und so kann ich mit den Kund_innen, die
ich selber gar nicht betreue, also wo ich nicht selbst putzen gehe, in
Kontakt bleiben und sehe die ein paar Mal im Jahr. Damit da auch eine echte
Bindung da ist. Und wenn sich jemand das Spazierengehen wünscht, dann
erfüllen wir diesen Wunsch. Da muss ich dann natürlich eine dafür passende
Person aus dem Team finden, die langfristig im Unternehmen bleiben möchte,
wo das von der Chemie her passt. Warum auch nicht? Wenn ich Fenster putzen
gehe, dann bitte ich darum, gerade bei den älteren Damen, die alleinstehend
sind, sich dazuzusetzen, und sage dann: Unterhalten Sie sich doch bitte mit
mir! Ich muss ja nicht stumm vor mich hin arbeiten, wir können uns auch
unterhalten.
Da geht einem ja das Herz auf.
Ja, so ist das auch tatsächlich. Das ist klasse. Da sagt die eine: Ich hab
gar nichts zu erzählen, ich hab so viel Elend erlebt. Ich sage dann: Wir
finden schon ein schönes Thema, fangen Sie mal an, ich hab Zeit.
27 Oct 2020
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## AUTOREN
Andreas Hergeth
## TAGS
Queer
Haushaltshilfe
Berlin
Tarifverhandlungen
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
Kolumne Kuscheln in Ketten
Freies Theater
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