# taz.de -- Querverlag feiert 25-jähriges Jubiläum: „Lieber ins Wespennest … | |
> Ilona Bubeck und Jim Baker gründeten 1995 in Berlin den lesbisch-schwulen | |
> Querverlag. Ein Gespräch über die Anfänge und das Heute. | |
Bild: Hatten und haben Spaß als VerlergerInnen: Jim Baker und Ilona Bubeck; ei… | |
taz: Frau Bubeck, vor 25 Jahren haben Sie zusammen mit Jim Baker [1][den | |
Querverlag] gegründet. Wie erinnern Sie sich an das Jahr 1995 in Berlin? | |
Ilona Bubeck: Ich war nach der Wende auf unglaublich vielen Demos mit | |
meiner gemischten Frauengruppe. Da waren schwarze, weiße, jüdische Frauen | |
dabei, und wir hatten große Sorge, auch damals, vor dem Rechtsruck. Auf der | |
einen Seite also Euphorie und auf der anderen Seite dieser zunehmende | |
Nationalismus. Das hat mich in dieser Zeit sehr mitgenommen und geprägt. | |
Das andere war, dass ich damals beim Orlanda-Frauenverlag aufgehört habe. | |
Jim Baker, der in einem Schwulenkollektiv gearbeitet hat, kannte ich schon | |
lange. Wir haben uns viel getroffen und schließlich entschieden, zusammen | |
einen professionellen Verlag zu machen. | |
War die schwul-lesbische Zusammenarbeit damals etwas Ungewöhnliches? | |
Für Jim war es nicht ungewöhnlich, weil er in den USA lange in einem | |
lesbisch-schwulen Buchladenkollektiv gearbeitet hatte. Hier wollte er nicht | |
mehr in einem rein schwulen Kollektiv arbeiten. Für ihn war klar, wenn er | |
einen eigenen Verlag macht, dann nur mit einer Lesbe zusammen. Für mich war | |
es ungewöhnlich, weil ich aus sehr starken feministischen Zusammenhängen | |
komme. Aber ich bin schon immer sehr bündnisorientiert und war nie | |
Separatistin. Arbeitstechnisch haben wir uns wunderbar ergänzt, bis heute. | |
Wir haben gelernt, über alles zu reden, weil es natürlich viele | |
Unterschiede gab und gibt zwischen Lesben und Schwulen und auch zwischen | |
trans und inter und allem, was dazukommt. Es waren schon auch Gegensätze, | |
die aufeinanderprallten, aber wir haben das eher mit Neugierde aufeinander | |
und mit Diskussionsfreude gemeistert. | |
War und ist der Querverlag ein linkes Unternehmen? | |
Die Definition ist sicher für viele unterschiedlich – aber für mich ganz | |
klar: Ja. Das könnte ich nicht infrage stellen. Falls die Frage auf unsere | |
„Kreischreihe“ zielt: Für mich gehört zu einem linken Projekt, dass man | |
miteinander streiten kann, dass man eine Meinung bildet, Zweifel zulässt, | |
und das Infragestellen. Mir fehlt das sehr stark. | |
Darauf zielte diese Frage noch nicht. Aber ja, 2017 sorgte der in Ihrer | |
[2][„Kreischreihe“ erschienene Band „Beißreflexe“] für heftige | |
Diskussionen und kürzlich der nicht weniger polemische [3][Titel | |
„Irrwege“]. Kritiker*innen sprechen von „unsolidarischer Kritik“. | |
Ich sehe das nicht so. Umgekehrt sind die Angriffe auf linke Kritiker*innen | |
des queeren Aktivismus auch nicht solidarisch. Auslöser dafür, dass die | |
Idee der Reihe bei mir auf offene Ohren stieß, war eine persönliche | |
Erfahrung. Im SchwuZ gab es 2016 die Veranstaltung „Dyke Out!“. Schon im | |
Vorfeld wurde Sookee (eine daran teilnehmende Rapperin – Anm. d. Red.) als | |
transfeindlich bezeichnet, und Monika Herrmann wurde als Bürgermeisterin | |
Rassismus vorgeworfen. Ich kenne beide Frauen sehr gut, und mit beiden kann | |
man sich inhaltlich auseinandersetzen und streiten. Aber das war nur noch | |
eine Verleumdungskampagne. Ich habe damals versucht zu argumentieren und | |
wurde übel beschimpft und als TERF (trans ausschließende, radikale | |
Feministin – Anm. d. Red.) abgetan. Ich wusste damals noch gar nicht, was | |
das heißt. Die Auseinandersetzungen sind also selten solidarisch. Klar kann | |
man darüber streiten, ob Polemik das richtige Mittel ist. Ich glaube, um | |
etwas aufzuzeigen, schon. Das macht ein guter Kabarettist, eine gute | |
Kabarettistin auch. | |
Das klingt ein bisschen nach „Die anderen haben angefangen“. | |
Ich würde mir schon wünschen, dass wir zurückgehen zur inhaltlichen | |
Diskussion. Aber ich bin auch eine, die lieber mal in ein Wespennest | |
sticht, als diese falsche Harmonie mitzumachen, die nicht stimmt und uns | |
politisch nicht weiterbringt. Andere empfinden das als unsolidarisch. Ich | |
würde sagen, es ist der einzige Weg, eine freiheitsliebende, demokratische | |
Bewegung zu sein. Der Name Querverlag stand für mich immer für das | |
Querdenken, auch wenn das mittlerweile von rechts vereinnahmt wird. | |
Was wünschen Sie sich für die nächsten 25 Jahre des Querverlages? | |
Dass wir weiterhin mit so klugen, streitbaren, innovativen und kreativen | |
Autor*innen zusammenarbeiten dürfen und dass unsere Bücher | |
LGBTTIQ*-Menschen sowie anderen Interessierten auch weiter Lesevergnügen | |
und geistige Anregung bieten. Wir wollen uns weiter politisch einmischen, | |
die Bewegungsgeschichte dokumentieren, literarische Talente und junge | |
Autor*innen entdecken und fördern und immer mal wieder außergewöhnliche | |
Buchprojekte verwirklichen. Und da wir nicht mehr die Jüngsten sind, würden | |
wir uns natürlich freuen, eines Tages den Verlag an jüngere Idealist*innen | |
weiterzugeben. | |
14 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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