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# taz.de -- Die neue Literaturzeitschrift „Glitter“: Glitzern bis zum G-Pun…
> Gibt es queere Literatur so selten, oder fehlt es ihr nur Sichtbarkeit?
> Die Zeitschrift „Glitter“ will mit Diversität Aufmerksamkeit generieren.
Bild: Glitzer und Durcheinander bei Dior bei der Frühjahr/Sommer 2019 Haute Co…
„Gibt es queere Literatur so selten, wie es scheint, oder fehlt es ihr nur
an Sichtbarkeit?“, fragt Donat Blum im Editorial zur zweiten Ausgabe der
Zeitschrift Glitter. Und vielleicht weiß er es besser, als die Frage
vermuten ließe. Denn Donat Blum ist nicht bloß Teil des kleinen
Glitter-Teams, das von Berlin und Zürich aus dieses Wagnis stemmt, queere
Literaturen aus der Tarnkappe zu zerren; sondern Donat Blum, 32, hat auch
im Herbst bei Ullstein sein Romandebüt „Opoe“ veröffentlicht.
Dass da eine queere Geschichte drinsteckt, hat der Klappentext
verschwiegen. Und auch in Rezensionen, etwa in der FAZ, kam zum Ausdruck,
dass man den autobiografisch gefärbten „Opoe“-Handlungsstrang mit der Suche
des Enkels nach der Großmutter sehr gut fand (Wurzelsuche ist ein Trend im
deutschsprachigen Gegenwartsroman, das kennt und schätzt man), aber Blums
zweiter, damit verbundener Handlungsstrang überforderte die Rezensentin
wohl, sodass sie ihn schließlich als entbehrlich abstempelte.
In diesem Strang geht es um die Unsicherheit des Erzählers in seiner
polyamourösen Liebe mit mehreren Männern. Ein paradigmatischer Fall, dass
hier das Bekannte vom Betrieb beklatscht wird und das Queere weggekehrt.
Von einer Präsenz des Nicht-Heterosexuellen, wie etwa im Mainstream-Kino,
2017 besonders prominent mit „Moonlight“ oder 2018 mit „Call Me By Your
Name“, kann in der Literatur nicht die Rede sein.
## Für mehr Sichtbarkeit
Deshalb also Glitter: für mehr Sichtbarkeit. Logo, dass Glitzer
Aufmerksamkeit erregt. Man darf bei dem Titel der Zeitschrift sicher an die
glitzercampige Arie „Glitter and Be Gay“ denken, aus Leonard Bernsteins
Operettenmusical „Candide“, das, wie auch die literarische Vorlage,
Voltaires gleichnamiger Episodenroman, den Philosophen Leibniz, aber auch
all jene System-Opportunist*innen tragikomisch kontert, die meinen, dass
die Welt, in der wir leben, doch schon bestens eingerichtet sei.
Und vielleicht darf man, weil Glitter ja eine literarische Zeitschrift ist,
die auch mit Sprache und ihrem Klang spielt, sogar an Klitoris denken.
Glitter zielt jedenfalls, auch mit vielen nicht-männlichen Autor*innen am
Start, auf diverse G-Punkte. „Diversität bedeutet im Literarischen auch:
die Uneinigkeit von Erzählungen“, heißt es ebenfalls im Editorial. Das
bestätigt sich bei der Lektüre: Ergebnis des Kuratierens ist bei Glitter
ein Kaleidoskop, ambitioniert. Formal haben wir es mit Kurzgeschichten,
Langgedichten, Miniaturen, Romanauszug und Essay zu tun.
In der zweiten Episode gibt es viele Newcomer*innen zu entdecken: Patricia
Hempel erzählt von Kinderspielen, die nicht Kinderspiel sind, sondern eher
brutales Training für die heteronormative Familie. Und sie erzählt von der
Sehnsucht eines Mädchens, zumindest den Schatten eines anderen Mädchens zu
berühren.
## Dora Heinrichs umstrittenes Geschlecht
Ronya Othmann erzählt von einem Besuch bei der kurdischen Familie in der
Türkei und wie da eine verlorene Liebe namens Ronahî zu verschweigen ist.
Zoltán Lesi wiederum beschäftigt sich in seinen Prosagedichten mit der
intersexuellen Hochspringer*in Dora Heinrich Ratjen, die*der fürs „Dritte
Reich“ 1936 bei den Olympischen Spielen startete und obendrein einen
Frauenweltrekord hinlegte, der nachträglich annulliert wurde wegen des
umstrittenen Geschlechts.
Im Essay „Müdigkeit as in Müdigkeit“ schreibt Meloe Gennai davon, wie
queere People of Color sexualisiert, objektiviert und benutzt werden – und
wie dagegen oft nur eine Strategie der Prokrastination als einzig gangbarer
Ausweg aufscheint.
All diese Texte (es sind noch ein Dutzend mehr) funkeln im Umfeld von
Glitter gerade deshalb auf, weil Glitter im besten Sinne nicht aus einem
Guss ist, sondern als Konglomerat gerade so zusammengefügt ist, dass in
keinem der Texte das letzte Wort schon gesprochen wäre. Sie sind Impulse,
die weiter zum Denken und Imaginieren anregen. Und Glitters Untertitel „Die
Gala der Literaturzeitschriften“ macht augenzwinkernd auch klar: Das Ganze
soll Freude bereiten. Auch weil man manche Dinge gerade ernst nimmt, wenn
man sie nicht übertrieben ernst nimmt. Dazu gehören dann auch die
Comic-Pinguine mit Wollschals auf Seite 5.
22 Jan 2019
## AUTOREN
Stefan Hochgesand
## TAGS
Queer
Literatur
taz Plan
Schwangerschaft
Französische Literatur
Literatur
Homosexualität
Popmusik
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