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# taz.de -- Die Wahrheit: Clockwork Rainbow
> Mutterschaft ist kein Kindergeburtstag, das gilt auch für geteilte
> Mutterschaften. Was man braucht, sind Urinbecher, Einwegspritze und
> Sixpack.
Bild: Leibliche Eltern? Soziale Eltern? Wem strecke ich denn diesmal die Zuge h…
Flauschige Babyrobben mit Kulleraugen, die im Eis nach ihren Eltern rufen,
tollpatschige Elefantenkälber, die ihre Rüssel nach der Mutter ausstrecken.
Das Band zwischen Mutter und Kind umgibt eine rührselige Magie, der man
sich nur schwer entziehen kann – jedenfalls in der Tierwelt auf YouTube.
Real war das bislang immer anders. Wann immer ich eine Mutter den
schreienden Inhalt ihres Kinderwagens durch die Straßen schieben sah,
überwog das Gefühl, mit dieser übermüdeten Frau um keinen Preis tauschen zu
wollen. Und statt einer einlullenden Endorphin-Dusche für das Hirn, die
Babys angeblich auslösen, zeigte das Kopfkino Bilder von Windeln,
Kindergartenviren und Erbrochenem in den Ritzen des Dielenfußbodens. Nein,
danke!
Ich fand Kinder immer unnötig. Etwas Nebensächliches zum Erhalt der
Menschheit, das mir Freiräume und Möglichkeiten nimmt. Etwas
Kompensatorisches, um dem Sinn des Lebens ein Gesicht zu geben oder die
Urangst vor dem Alleinsein zu schultern. Aber warum ist das jetzt anders?
Als meine Partnerin und ich den Entschluss des Kinderkriegens zigmal auf
Fehler überprüft hatten, stellten sich die eigentlichen Fragen. Solche, die
sich Heteropaare in der Regel nicht stellen: Wer von uns wird schwanger,
wie und wo? In lesbischen Beziehungen gibt es weder „Unfälle“ noch
Spielräume. Ein Kind ist eine konkrete Absicht. Ein fester Plan, der die
Anschaffungskosten eines Neuwagens übersteigt und die Romantik trübt:
Sperma-Shopping, Insemination, Hormonbehandlung – drei Versuche für 10.000
Euro inklusive unbezahlbarer Enttäuschung, wenn man nicht sofort einen
Treffer landet.
## WC zum Nulltarif
Man kann von Glück sprechen, wenn man einen „guten Freund“ hat, der zum
Eisprung vorbeikommt und zum Nulltarif das WC aufsucht. Die einzigen Kosten
sind ein Urinbecher, eine nadellose Einwegspritze und ein Sixpack Jever, um
die Stille zu ertragen, sobald die Badezimmertür zufällt. Wir haben Glück,
einen guten Freund und einen Späti direkt gegenüber.
Für lesbische Frauen ist die Vorbereitung einer Schwangerschaft viel
mühsamer als die Geburt. Das Umfeld reagiert entweder skeptisch oder zu
aufgeschlossen. Die Skepsis beinhaltet die Was-macht-ihr-wenn-Fragen: Was,
wenn ihr euch trennt? Wenn das Kind seinen Erzeuger treffen will? Wenn der
Erzeuger Sorgerecht fordert?
Heteropaare müssen sich auch nicht mit hysterischen Regenbogenmüttern
auseinandersetzen, die sich online über Techniken, Misserfolge und
Erfolgsgeschichten austauschen wollen. Sie müssen nicht die vielen Gesten
ertragen, die einem vermitteln sollen, dass der Schritt völlig in Ordnung
und Teil der neuen Normalität ist. Vielleicht entscheiden sich deshalb so
viele gleichgeschlechtlich lebende Menschen gegen ein Kind: Es wirft die
falschen Fragen auf und ein SUV ist dann doch reizvoller und
erschwinglicher als die Säuglingskutsche mit Regenbogenwimpel.
14 Jan 2020
## AUTOREN
Patricia Hempel
## TAGS
Schwangerschaft
Mutterschaft
lesbisch
Sorgerecht
Expats
Queer
Literatur
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