| # taz.de -- Bioökonomie-Special bei Buchfestival: Literatur als Brücke zur Na… | |
| > Der neue Autorenstar Jonas Eika und andere Aktivist*innen belebten das | |
| > Internationale Literaturfestival Berlin. Hat die Natur Rechte? | |
| Bild: Diskutierte in Berlin über unsere „Diversitätskrise“: der neue Auto… | |
| Mal was Neues, den Besuch eines Literaturfestivals mit einem Audiowalk zum | |
| Thema „Welche Rechte hat die Natur?“ zu beginnen. Vom Veranstaltungsort | |
| Futurium aus langsam in Richtung Tiergarten schlendernd, lauschte die | |
| Gruppe Texten der Inderin Sumana Roy und des indigenen australischen Autors | |
| [1][Tony Birch]. | |
| Beim Durchlaufen der Grünflächen am Bundeskanzleramt ging es im Audio unter | |
| anderem um die Kuratierung von Natur: Im Laufe der Zeit wurden bestimmte | |
| Pflanzen bevorzugt, während andere vernachlässigt wurden. Würden Menschen | |
| anfangen, sich als Teil der Natur zu begreifen und dieser in der Folge auch | |
| eigene Rechte zusprechen, müsste also auch die Natur dekolonisiert werden. | |
| „Visionen der Bioökonomie“ hieß der Titel eines Specials auf den nun zu | |
| Ende gegangenen Internationalen Literaturfestival Berlin. Über die Frage | |
| nach einer Rechtsprechung für Natur hinaus befasste es sich auch mit Themen | |
| wie Big Data, Land Grabbing und der Ökonomisierung von Natur. In Gesprächen | |
| und Diskussionen wurde das Thema Bioökonomie in ihren verschiedenen | |
| Facetten beleuchtet. Erklärtes Ziel war dabei auch, Literatur und | |
| Wissenschaft zusammenzubringen. | |
| Mit der Ernährung der Zukunft befasste sich die Eco-Poetin und Künstlerin | |
| Anna Zilahi im Gespräch mit dem Journalisten und Wissenschaftler Jan | |
| Grossarth. In Zilahis drei dem Publikum präsentierten Gedichten ging es um | |
| den Umgang mit Frauen, das Insektensterben und um Hedonismus. | |
| Bis auf Grossarths Bemerkungen, die Weichen für ein ökologisches | |
| „Food-System“, das sich nicht mehr nach dem günstigsten Preis richtet, | |
| seien gelegt, und dass der emotionale Teil unserer Essenskultur fehle, gab | |
| es zum Thema „Ernährung der Zukunft“ jedoch leider nicht viel Neues zu | |
| sagen. | |
| ## Von Mikroben bevölkert | |
| Umso spannender war das Gespräch zwischen dem Eco-Poeten Forrest Gander und | |
| der Journalistin Tanja Busse zum [2][Thema Insektensterben]. Busse | |
| eröffnete das Gespräch mit der Feststellung, dass die Anzahl diverser | |
| Lebewesen kontinuierlich sinke: „Lange Zeit dachten wir, wir seien die | |
| Subjekte und alle anderen Lebewesen Objekte.“ | |
| Gander regte an, über uns selbst als Biotope zu denken, schließlich seien | |
| wir alle von Mikroben bevölkert. | |
| Im weiteren Gesprächsverlauf ging es um ein [3][Klagerecht für Tiere]: | |
| „Wenn Konzerne klagen können, gibt es keinen Grund, dass Pflanzen und Tiere | |
| das nicht dürfen“, fand Gander. „Über diesen Weg könnten auch globale | |
| Machtverhältnisse aufgebrochen werden, weil die Natur überall gleich klagen | |
| kann.“ | |
| „Wir brauchen Diversität sowohl in der Natur als auch in der Kultur“, | |
| merkte Busse an, und Gander ergänzte: „Es geht um Intersubjektivität: Wir | |
| sind auch die anderen. Literatur ist an dieser Stelle eine Brücke.“ | |
| Das Gespräch über „Big Data vs. Ressourcen“ verhandelte die zunehmende | |
| Digitalisierung genetischer Informationen. Der Autor und politische | |
| Aktivist Jonas Eika (dessen Erzählungen mit dem Titel „Nach der Sonne“ | |
| gerade für Aufsehen sorgen) sprach mit der Journalistin Christiane Grefe | |
| über Risiken und Chancen dieser Entwicklung. | |
| Zunächst handelte das Gespräch von der Definition des Worts „Bioökonomie�… | |
| „Das hängt davon ab, wen du fragst“, so Grefe, „es kann um Systemwechsel, | |
| Postwachstum und Kreislaufwirtschaft gehen, es kann aber auch in die | |
| entgegengesetzte Richtung gehen.“ Die Frage nach dem Umgang mit Big Data | |
| sei letztlich eine Frage der Demokratie: „Welche Fragen wollen wir gestellt | |
| bekommen?“ DNA-Manipulation berge das Potenzial, Natur zu rekonstruieren. | |
| „Was wollen wir?“, fragte Grefe weiter. | |
| ## Wege, das Leben durchzukapitalisieren | |
| In Bezug auf die „Diversitätskrise“, in der wir uns gerade befinden würde… | |
| merkte Eika an, Big Data treibe Privatisierungsprozesse voran und sei einer | |
| der immer neuen Wege, um unser Leben durchzukapitalisieren. Grefe blieb Big | |
| Data gegenüber positiv gesinnt: „Es ist auch von Vorteil, um Pflanzen zu | |
| analysieren. Auch hier geht es wieder darum, welche Fragen wir an die | |
| Technologie stellen. Wem gehört die Technologie?“ | |
| Zu Land Grabbing trug der peruanische Autor Joseph Zárate seinen Text über | |
| die indigene Umweltaktivistin Ruth Buendía vor. Buendía konnte als Führerin | |
| der Ashaninka ihre Community vereinen, um den Bau eines Staudamms zu | |
| verhindern, der ihr Land zerstört hätte. | |
| Zárate sprach mit der Journalistin Kathrin Hartmann. Hartmann betonte: „Der | |
| Wert des Lebens der indigenen Völker wird nicht gleich bemessen mit dem | |
| Wert westlicher Kulturen. Indigene haben durch ihre tiefe spirituelle | |
| Verbundenheit mit der Natur einen anderen Blick auf die Welt.“ | |
| ## Modelle des Zusammenlebens | |
| Um westliche Fortschrittsgedanken zu hinterfragen, sei dies eine Lehre. Was | |
| könnten künftige Modelle des Zusammenlebens sein? Zárate setzt auf die | |
| Zivilgesellschaft: „Indigene modernisieren sich selbst. | |
| Ende des 19. Jahrhunderts wurde noch diskutiert, ob Indigene überhaupt | |
| Menschen sind. Heutzutage sind sie stolz auf ihre Geschichte und lassen | |
| sich westlich ausbilden, um auf dieser Grundlage zu kämpfen. Da geschieht | |
| etwas in der öffentlichen Debatte.“ Er ist jedoch besorgt: „Angesichts der | |
| vielen getöteten Umweltaktivisten ist es schwer, nicht pessimistisch zu | |
| werden.“ | |
| Am letzten Tag des Specials befassten sich der Autor Martin Widmann und die | |
| Politologin Barbara Unmüßig mit der Ökonomisierung der Natur und der Frage, | |
| was passiert, wenn der Wert natürlicher Ressourcen finanziell aufgerechnet | |
| wird. | |
| In seinem Text zählte Widmann zunächst einige Tatsachen auf: Zwischen einem | |
| Drittel und der Hälfte der weltweiten Landschaft werde von Menschen | |
| bearbeitet, über eine halbe Million Landarten fänden nicht mehr genug | |
| Nahrung, um überleben zu können. Wildnis sei nur noch eine diskursive | |
| Kategorie. | |
| ## Ökonomische und ökologische Strukturen | |
| Unmüßig erklärte zunächst die Theorie der Ökonomisierung der Natur: „Der | |
| Gedanke, der dahinter steht, ist derjenige, dass, wenn wir die Natur | |
| vernutzen, diese auch einen Preis haben muss.“ Natur also gleich | |
| Naturkapital? „Das Problem ist, dass sich ökonomische Strukturen nicht so | |
| leicht auf ökologische übertragen lassen“, so Unmüßig. | |
| Den Abschluss der „Visionen der Bioökonomie“ bildete ein Panel, bestehend | |
| aus dem mexikanischen Umweltaktivisten Homero Aridjis, dem Aktivisten der | |
| „Fridays for Future“-Bewegung, Linus Steinmetz, und dem Referenten für | |
| Landwirtschaft von „Brot für die Welt“, Stig Tanzmann. | |
| Aridjis beschrieb in seinem Text „Apokalypse“ eine dystopische | |
| Zukunftsvision des Untergangs der Menschheit: Terror, Krankheit, Krieg und | |
| Verdunklung des Bewusstseins würden uns dahinraffen. Das Leben auf der Erde | |
| würde „entschöpft“ werden, wir würden „Muttermord“ begehen. Dieser P… | |
| sei gegenwärtig schon in vollem Gange. Gibt es hier noch einen Ausweg? | |
| ## Feuer am Amazonas | |
| „Wir brauchen dringend eine streng wachstumskritische Agenda anstatt der | |
| bloßen Ersetzung fossiler Energien durch erneuerbare“, so Tanzmann. Von | |
| Bioökonomie hält er nichts: „Das Wachstumsmodell geht hier einfach weiter.�… | |
| Aridjis forderte ein internationales Tribunal für „Ökozide“: „Bolsonaro… | |
| neue Pestizide eingeführt. Am Amazonas wüten täglich riesige Feuer. | |
| Bolsonaro sollte in Den Haag verklagt werden. Hinter Ökoziden stehen | |
| dieselben zerstörerischen Intentionen wie hinter Genoziden.“ | |
| Tanzmanns Lösungsansatz lautet „Agricology“. Damit meint er eine | |
| Wissenschaft, die auf dem Wissen indigener Menschen aufbaut. Aktuell jedoch | |
| ist sein Projekt durch die Coronapandemie ins Stocken geraten: „Wir haben | |
| massive Repräsentationsprobleme“, so Tanzmann, „viele Indigene haben keinen | |
| guten Zugang zum Internet und werden daher häufig in Konferenzen einfach | |
| übergangen.“ | |
| Es scheint eine Frage der Auslegung des Begriffs der „Bioökonomie“ zu sein, | |
| ob sich Visionen eröffnen oder nicht. Über einen Punkt herrschte bei den | |
| Beteiligten der Gesprächsrunden Einigkeit: Wir selbst sind es, die durch | |
| unser Handeln entscheiden, welchen Weg die Bioökonomie einschlagen wird. | |
| 20 Sep 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Annika Glunz | |
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