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# taz.de -- Wissenschaftsjahr 2020: „Kleine Helden“
> Bioökonomie steht im Mittelpunkt des Wissenschaftsjahres 2020.
> Nachwachsende Rohstoffe sollen Kunststoffe und fossile Ressourcen
> ersetzen.
Bild: Der Gewöhnliche Löwenzahn enthält nur wenig Kautschuk im Milchsaft
Berlin taz | Die künstliche Intelligenz ist vorbei; das neue
Wissenschaftsjahr des Bundesforschungsministeriums hat in 2020 ein
Ökothema: [1][die Bioökonomie.] Passend dazu, wenn auch später als geplant,
hat die Bundesregierung eine neue „Nationale Bioökonomiestrategie“ für
Forschung und wirtschaftliche Anwendung beschlossen. Aus der
Zivilgesellschaft kommt die Forderung nach alternativen Ansätzen zur
schonenden Nutzung der Natur für die Wirtschaft sowie der fairen
Beteiligung an Beratungsprozessen.
Es war eine gelockerte Kabinettssitzung Mitte Januar, als die beiden
Fachministerinnen für Forschung und Landwirtschaft, Anja Karliczek (CDU)
und Julia Klöckner (CDU), Turnschuhe und Fahrradsturzhelm auf den Ovaltisch
im Kanzleramt packten. Praktische Beispiele für ihre Beschlussvorlage zur
neuen Bioökonomie-Strategie mit einem Volumen von 3,6 Milliarden Euro in
den Jahren 2020 bis 2024.
Die Turnschuhe sind aus Spinnenseide hergestellt, der Fahrradhelm aus einem
stabilen Holzwerkstoff ist besonders leicht zu tragen. Eine Wirtschaft, die
auf nachwachsenden Rohstoffen basiert, die Kunststoffe und fossile
Ressourcen ersetzen können, das ist das Versprechen der Bioökonomie. Die
Politikstrategie soll innovative Modellprojekte zu einer
volkswirtschaftlichen Breitenwirkung ausrollen.
„Nicht zuletzt der Klimawandel zwingt uns zum Umdenken“, erklärte
Forschungsministerin Anja Karliczek tags darauf bei der Eröffnung des
Wissenschaftsjahres im Berliner Futurium. „Wir müssen alles dafür tun,
unsere Lebensgrundlagen zu erhalten und dabei wirtschaftlich stark zu
bleiben.“
Die Bioökonomie sei für beides ein Schlüssel. Der Fokus der
Bioökonomiestrategie liege dabei auf der Nachhaltigkeit. Karliczek: „Wir
werden gezielt Innovationen fördern, die Klima, Umwelt und die
Belastungsgrenzen unserer Ökosysteme im Blick haben.“ Dafür stehen dem
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für fünf Jahre 1,3
Milliarden Euro zur Verfügung.
## Russischer Löwenzahn
Welche Anwendungen möglich sind, kann aktuell auf der Internationen Grünen
Woche auf dem Berliner Messegelände besichtigt werden. Zahnbürsten vom
Baum, Woodshirts aus Lyocell oder Kaffeebecher aus Harz und Lignin: In
Halle 27 überrascht die Forschungsagentur für Nachhaltige Rohstoffe
(FNR) mit holzbasierten Produkten, die von Kopf bis Fuß einsetzbar sind Zu
sehen sind auch Reifen aus Russischem Löwenzahn, pflanzen- und holzbasierte
Baumaterialien bis hin zu neuen, besonders emissionsarmen Holzheizungen.
Weil die Wurzel des Russischen Löwenzahns von Natur aus viel Kautschuk
enthält, stellt sie eine heimische Alternative zu dem nur in den Tropen
kultivierbaren Kautschukbaum dar. Derzeit wird noch experimentiert.
„Verlaufen die aktuellen Forschungsarbeiten erfolgreich, können auch
Landwirte in Mitteleuropa künftig Rohstoffe für Auto- und Fahrradreifen
anbauen“, erwartet ein Sprecher der FNR, die für die Innovationsprojekte
des BMEL zuständig ist.
Ebenfalls aus der Landwirtschaft stammen die Flachsfasern, die heute schon
zur gewichtssparenden Verstärkung von Autotüren eingesetzt werden. Eine
erste Kleinserie hat nach FNR-Angaben der Hersteller Porsche im vergangenen
Jahr auf den Markt gebracht.
## Helfer in der Chemieindutrie
Aufgabe des Wissenschaftsjahres ist es, dieses Bioökonomiewissen in den
kommenden Monaten unters Volk zu bringen. „Kleine Helden, die Großes
leisten“, lautet ein Slogan, der auf die segensreiche Wirkung von
Mikroorganismen hinweist: Bakterien, die zur Energieerzeugung genutzt
werden, oder Hefe, die in der Chemieindustrie ein gefragter Helfer ist.
Auch Algen, aus denen Medikamente produziert werden, zählen zu den
Biohelden.
In mehreren Veranstaltungsformaten geht die Bioökonomie auf Tour: mit
einer Ausstellung auf dem [2][Binnenschiff „MS Wissenschaft“,]
SchulKino-Wochen, einer Internet-Forschungsbörse für Fragen und Kontakte,
diversen Science Slams und einem Escape Room im Haus der Wissenschaft in
Braunschweig. Nur die Besucher, die richtig beantworten können, wo
Bioökonomie in Alltagsgegenständen enthalten ist, werden wieder in die
Freiheit entlassen.
„Vor dem Hintergrund großer gesellschaftlicher Herausforderungen ist
es wichtig, aktuelle Wissenschaftsthemen für ein ganzes Jahr gemeinsam mit
Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren und den Beitrag der Forschung zur
Lösung der wichtigen Probleme unserer Zeit zu beleuchten“, sagt Markus
Weißkopf, Geschäftsführer von Wissenschaft im Dialog (WiD), als
Mitorganisator des Großevents, das sich das BMBF rund sechs Millionen Euro
kosten lässt. „In den Wissenschaftsjahren sprechen wir daher seit 20
Jahren mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen über die
gesellschaftlichen Auswirkungen und die Relevanz von Forschung“, stellt
Weißkopf fest.
Wie weit das im Falle der Bioökonomie gelingt, ist für das „Aktionsforum
Bioökonomie“, ein Zusammenschluss zivilgesellschaftlicher Gruppen aus dem
Umwelt- und Entwicklungsbereich, noch nicht ausgemacht. Das Programm der
Bundesregierung sei nicht klar. Zwar werde Nachhaltigkeit postuliert und
die Senkung des Ressourcenverbrauch auf ein ökologisch verträgliches Maß
versprochen. „Statt dies jedoch mit konkreten Maßnahmen zu unterlegen,
konzentriert sich die Strategie im Weiteren auf technologische Innovationen
und die verstärkte Erschließung und Nutzung biogener Rohstoffe“, schreibt
das Aktionsforum in einer Stellungnahme zum Regierungsprogramm.
## Es geht immer noch ums Wachstum
„So lässt sich das Papier auch als Plädoyer für Gentechnik und eine weitere
Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft lesen.“ Es sei zu befürchten,
dass die Bundesregierung mit der neuen Strategie „trotz einiger positiver
Elemente“ weiterhin dem Credo „Mehr Wachstum mit mehr Bioökonomie“ folge.
Zudem fehlten in der Bioökonomie-Strategie auch Aussagen zu internationalen
Auswirkungen auf Biodiversität und dem Recht auf Nahrung. Schließlich sei
die „breite gesellschaftliche Beteiligung“ an dem künftigen Begleitgremium,
dem neuen „Bioökonomierat“, noch nicht gesichert.
„Die Umwelt- und Entwicklungsverbände erwarten, dass eine Partizipation auf
Augenhöhe hier kein leeres Versprechen bleibt“, schreibt das Aktionsforum.
Es dürfe nicht so laufen „wie in der Vergangenheit, als sich die
Bundesregierung zu Fragen der Bioökonomie in erster Linie mit einem
industrienahen Beratergremium umgeben hatte“. Wie Bioökonomie in zentralen
Politikfeldern ökologisch nachhaltig und sozial gerecht funktionieren kann,
hat das Aktionsforum, das vom „Denkhaus Bremen“ organisiert wird, auf der
Webseite [3][www.nachhaltige-biooekonomie.de] dargestellt.
Die außerparlamentarische Skepsis hat sich – erstaunlich – sogar bis in die
Regierungsfraktionen verbreitet. So räumt René Röspel,
SPD-Bundestagsabgeordneter und zuständiger Berichterstatter im
Forschungsausschuss, in einer Stellungnahme ein, „dass die
Bioökonomiestrategie an vielen Stellen noch mit Leben gefüllt werden“
müsse. Insbesondere bei der gesellschaftlichen Beteiligung bestehe
Handlungsbedarf. „Die Fehler aus dem bisherigen Dialogprozess dürfen sich
nicht wiederholen“, mahnt Röspel. Für die SPD-Bundestagsfraktion sei es
wichtig, die Kritik der zivilgesellschaftlichen Organisationen an dem
bisher unzureichenden Dialogprozess aufzunehmen und sie stärker zu
beteiligen.
Forschungspolitiker Röspel: „Das Wissenschaftsjahr 2020 – Bioökonomie ist
hierfür ein guter Beginn.“ Wissenschaftskommunikation würde auf diese
Weise stückweise auch zu Wissenschaftspolitik.
24 Jan 2020
## LINKS
[1] /Strategien-zur-Rohstoffsicherung/!5654008
[2] /BMBF-und-Wissenschaftskommunikation/!5640262
[3] http://www.nachhaltige-biooekonomie.de
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
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