# taz.de -- Analyse zu Insektensterben: Weniger Ameisen, mehr Libellen | |
> Eine Metastudie bestätigt den globalen Rückgang bei landlebenden | |
> Insekten. Verblüffend aber ist ein Zuwachs von Wasserinsekten. | |
Bild: In einigen Regionen wieder häufiger vorhanden: Ein Bienenfresser fängt … | |
Die Zahl der Insekten weltweit nimmt weiter dramatisch ab. Das zeigt jetzt | |
erneut eine Studie mit der bisher umfassendsten Datengrundlage. Sie zeigt | |
aber auch: Während die Zahl der Landinsekten schrumpft, gibt es in einigen | |
Regionen nun mehr Wasserinsekten als früher. | |
Die am Freitag [1][im renommierten Fachjournal Science veröffentlichte | |
Analyse] weltweiter Langzeitstudien zeigt, dass terrestrische Insekten wie | |
Schmetterlinge, Heuschrecken oder Ameisen in Zahl und Biomasse – | |
Artenvielfalt wurde nicht erfasst – im globalen Durchschnitt um 0,92 | |
Prozent pro Jahr abnehmen. | |
Zwar sei das nicht so gravierend wie beispielsweise von der bekannten | |
„Krefelder Studie“ in deutschen Schutzgebieten ermittelt, sagt Erstautor | |
Roel van Klink. Diese hatte 2017 herausgefunden, dass sich der [2][Bestand | |
in 27 Jahren um drei Viertel vermindert] hat. Van Klink hält seine Zahlen | |
dennoch für erschreckend: „Das bedeutet 24 Prozent weniger Insekten über 30 | |
Jahre und sogar eine Halbierung über 75 Jahre.“ Die Insektenrückgänge waren | |
in Teilen der USA sowie in Europa, insbesondere in Deutschland, am | |
stärksten. In Europa verstärkten sich die negativen Trends in den letzten | |
Jahren – die größten Rückgänge gab es seit 2005. | |
Beim Durchforsten von über 6.000 Studien und Messreihen habe man nicht nur | |
nach Daten gesucht, die einen Rückgang zeigen, erklärt van Klink. Unter den | |
166 ausgewählten standardisierten Langzeit-Datensätzen von 1.676 Standorten | |
weltweit seien auch solche, die ursprünglich schon 1925 angelegt worden | |
waren. | |
## Große lokale Unterschiede | |
Die komplexe statistische Analyse offenbart große Unterschiede in den | |
lokalen Trends, betonen die Autoren – selbst zwischen nahe gelegenen Orten. | |
So gab es in Ländern mit vielen Langzeitstudien wie Deutschland, | |
Großbritannien oder den USA sowohl Orte mit Rückgängen als auch Orte mit | |
wenig Veränderungen oder gar Zunahmen. | |
Ein differenziertes Bild ergab sich auch bei den Biotopen: Es stellte sich | |
heraus, dass heute weniger Insekten in Bodennähe leben als früher – ähnlich | |
wie auch in der Luft. Im Gegensatz dazu blieb die Menge derer, die in | |
Bäumen leben, im Schnitt unverändert. Vor allem aber der Anstieg der | |
Wasserinsekten erscheint angesichts apokalyptischer Meldungen zum | |
Insektensterben verblüffend. | |
Die Zahl der Insekten, die ihr Leben zeitweise im Wasser verbringen – | |
Libellen, Wasserläufer oder Köcherfliegen – stieg laut Studie im Schnitt um | |
1,08 Prozent pro Jahr, also 38 Prozent in 30 Jahren. Letztautor Jonathan | |
Chase hält das für ein gutes Zeichen: „Die Zahlen zeigen, dass wir die | |
negativen Trends umkehren können. In den letzten 50 Jahren wurde weltweit | |
viel getan, um verschmutzte Gewässer zu säubern. Dadurch haben sich | |
möglicherweise viele Populationen von Süßwasserinsekten erholt.“ Van Klink | |
fügt hinzu: “Insektenpopulationen sind wie Holzscheite, die unter Wasser | |
gedrückt werden. Sie streben nach oben, während wir sie immer weiter nach | |
unten drücken.“ | |
Es sei allerdings nicht immer leicht, die Ursachen für die Rückgänge und | |
somit die effektivsten Gegenmaßnahmen auszumachen, so van Klink. Jedoch sei | |
die Zerstörung natürlicher Lebensräume ein Hauptfaktor dafür, dass | |
landlebende Insekten zurückgingen. | |
## Ein weltweites Phänomen | |
In der Fachwelt wird die Metastudie bisher positiv aufgenommen. Thomas | |
Schmitt vom Deutschen Entomologischen Institut Senckenberg ist zwar nicht | |
überrascht von den Ergebnissen. Auch die guten Nachrichten von den | |
Wasserinsekten sind ihm nicht neu: „Unsere Libellenleute sagen schon | |
länger, dass es denen eigentlich gut geht.“ Verdienst der Studie sei, darin | |
ist er sich mit Kolleg:innen einig, auf breiter Datenbasis und | |
differenziert zu zeigen, dass das Insektensterben ein globales Phänomen | |
ist. Außerdem, sagt Jörg Freyhof vom Berliner Museum für Naturkunde, zeige | |
sie, „dass das Insektensterben auf diverse Ursachen zurückgeht und räumlich | |
und ökosystemar sehr heterogen ist“. | |
Dennoch hat die Aussagekraft der Studie aufgrund fehlender Daten und ihres | |
Fokus auch Grenzen. So seien vor allem tropische Regionen unter- und | |
Messungen in Schutzgebieten überrepräsentiert, erklärt Viola Clausnitzer | |
vom Senckenberg Museum Görlitz. Die Zunahme von Wasserinsekten sei | |
vermutlich auf westliche Länder beschränkt: „Wenn es mehr Studien in Afrika | |
gäbe, wo kaum Wasseraufbereitung betrieben wird, würden wir dort sicher | |
auch eher eine Abnahme verzeichnen.“ | |
Auch der Fokus auf Biomasse und Individuenzahl könne irreführend sein, sagt | |
Gerlind Lehmann vom Nabu. Die meisten Insektenarten seien sehr klein und | |
leicht: „Eine Hummel wiegt so viel wie zwanzig Fliegen“. So wüsste man | |
beispielsweiseimmer noch zu wenig darüber, welche der 33.000 Insektenarten | |
in Deutschland besonders betroffen sind. Es sei zudem von großer | |
Wichtigkeit, die Auswirkungen von Landnutzung, landwirtschaftlichem | |
Pestizideinsatz, Lebensraumzerstörung und Flächenverbrauchauf die | |
[3][Insektenvielfalt besser zu erforschen] und öffentlich zu thematisieren. | |
24 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://science.sciencemag.org/content/368/6489/417 | |
[2] /Studie-zu-Artensterben/!5453844/ | |
[3] https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/dina/index.html | |
## AUTOREN | |
Andrew Müller | |
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