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# taz.de -- Wissenschaftlerin über Insektensterben: „Wir müssen umdenken“
> Um die Insekten zu retten, fordert Viola Clausnitzer eine Kehrtwende in
> der Landwirtschaft. Kleinere Betriebe sollen gefördert werden.
Bild: Die industrielle Landwirtschaft bedroht den Lebensraum der Bienen
taz: Frau Clausnitzer, am Montag wurde der [1][„Aktionsplan für den
Insektenschutz und Insektenerholung“] veröffentlicht. Viele der Maßnahmen
werden schon lange gefordert. Warum gibt es nun einen neuen Rettungsplan?
Viola Clausnitzer: Es muss endlich zu einer Umsetzung kommen. Durch den
Straßen- und Hausbau wird in Deutschland täglich eine Fläche von 100
Fußballfeldern versiegelt, also asphaltiert. Dazu kommt die
Landschaftszerstörung durch die industrielle Landwirtschaft, die
Vergrößerung von Ackerflächen, bei der Hecken und Wegränder verschwinden.
Die Insekten brauchen diesen Lebensraum. Das ist alles bekannt, hat aber
nie zu Konsequenzen geführt, weil Interessenverbände aus Landwirtschaft,
Bau- und Chemieindustrie dafür gesorgt haben, dass das nicht richtig publik
gemacht wurde. Der Plan sorgt dafür, dass mehr Leute ihre Finger in die
Wunde legen.
Glauben Sie, dass die Maßnahmen jetzt umgesetzt werden? Die Lobby hat kein
Interesse daran, etwas zu ändern. Große Konzerne wie die BASF werden nicht
in diese Richtung arbeiten wollen. Aber es findet langsam ein Umdenken
statt, der Druck auf die Politiker steigt. Ich persönlich kann jedoch nicht
abschätzen, wie schnell der Hebel umgelegt wird.
Aber können Sie abschätzen, ob das Insektensterben noch aufgehalten werden
kann?
Ja. [2][Noch können wir den Rückgang aufhalten oder zumindest
verlangsamen]. Was wir nicht wissen ist, wie schnell nach der Umsetzung der
Maßnahmen eine Erholung eintritt. Es gibt Bereiche, die wir nicht ganz
durchschauen. Deshalb braucht es mehr Forschung.
Sollten wir dem Plan nicht folgen: Welches Szenario erwartet uns?
Das ist schwer abzuschätzen. Ökosysteme sind sehr komplex. Man kann
schlecht sagen, was passiert, wenn man ein einzelnes Bauteilchen heraus
nimmt. Aber einige Resultate kennen wir schon aus anderen Ländern. In
Südostasien beispielsweise müssen manche Plantagen bereits per Hand
bestäubt werden, weil es zu wenige Insekten gibt.
Droht das auch der deutschen Landwirtschaft?
Möglicherweise ja. Wir bemerken den Rückgang vor allem bei den
Fluginsekten, die Bestäubung betreiben. Das sind verschiedene Bienen- und
Wespenarten, aber auch Käfer. Vielleicht spüren es die Obstbauern also
schon. Aber das Insektensterben wird oft von Wettergeschehnissen
überlagert. Wenn Spätfrost kommt und die Ernte geringer ausfällt, kann man
das nicht auf das eine oder andere zurückführen.
Wie beeinflussen Herbizide wie Glyphosat die Insekten?
Glyphosat ist ein Herbizid und tötet rasch und sehr effizient Pflanzen und
Mikroorganismen. Dies ist ein Eingriff in Ökosystem, der über Nahrungsnetze
auch Auswirkungen auf alle anderen Lebewesen hat, also auch Insekten und
Vögel. Man vermutet weiterhin, dass Tiere, Insekten und unter Umständen
auch der Mensch Glyphosat aufnehmen und der Stoff ihre Gesundheit
beeinträchtigt.
Wie viel Zeit haben wir noch?
Die unmittelbaren Maßnahmen müssen sofort, also innerhalb der nächsten fünf
Jahre, umgesetzt werden, um nicht etliche Arten zu verlieren. Dazu gehört
auch die Reduzierung der Giftmasse, also der Pestizide. Mittelfristige
Maßnahmen, die vor allem die Forschung betreffen, sind auf die nächsten 20
Jahre ausgelegt. Wir wissen von vielen Arten noch nicht, wieso sie
zurückgehen und ob Faktoren wie Mikroplastik oder die Hormonbelastung von
Gewässern eine Rolle spielt. Die langfristigen Maßnahmen gehen über diesen
Zeitraum hinaus und sollen zukünftig Standard werden, zum Beispiel der
Aufbau von globalen Monitoring Programmen.
Wer muss handeln?
Es braucht eine europaweite, drastische Kehrtwende in der
Landwirtschaftspolitik. Ich will nicht mit dem Finger auf einzelne
Landwirte zeigen und sagen: „Die sind schuld.“ Es ist die Politik, die in
den letzten Jahren vorwiegend die industrielle Landwirtschaft gefördert
hat. Das hat dazu geführt, dass immer mehr kleine Betriebe schließen
mussten und nur die großen überleben. Da müssen wir umdenken. Aber dazu
gehört auch ein gesellschaftlicher Umbruch. Menschen, die weniger Fleisch
essen und dafür mehr bezahlen wollen. Dann kann sich auch ein Betrieb mit
zehn oder 20 Schweinen halten.
16 Jan 2020
## LINKS
[1] https://www.nature.com/articles/s41559-019-1079-8
[2] /Rettungsplan-fuer-Insekten/!5650478/
## AUTOREN
Sara Wess
## TAGS
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