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# taz.de -- Comicverfilmung Wonder Woman: Ach nee, Neid auf die Hübschere
> Wie eine zu stark gebutterte XXL-Popcorntüte: „Wonder Woman 1984“ von
> Regisseurin Patty Jenkins. Ein schlichter 80er-Jahre-Eskapismus wird
> bedient.
Bild: Wonder Woman (Gal Gadot) und das „Lasso der Wahrheit“
Damals, in Amazonien, war die Welt noch in Ordnung. Dort lebten, liebten
und trainierten furcht- und männerlose Amazonen – und ließen ihre stärksten
Kriegerinnen bei Amazonenolympiaden gegeneinander antreten, in
eigenwilligen und schwer beschreibbaren Disziplinen: Sie mussten durch
riesige, formschöne Goldskulpturen springen, in enigmatischen Patterns
über meterhohe Pfähle hüpfen, regenbogenbunte Rauchpfeile durch
überdimensionale Ringe schießen, irgendwie auch noch delfingleich durchs
Wasser hechten und am Ende am schnellsten geritten sein.
Mit diesem amazonischen Pentathlon beginnt der zweite Film um „Wonder
Woman“, die von [1][DC Comic als solche konzipierte Superheldin und
Amazonenkönigin Diana (Gal Gadot)].
Der furiose Auftakt zu Wonder Womans Besuch in den USA der 1980er Jahre ist
erzählerisch nur ein kurzer Rückblick: Diana lernte als Kind, dass „keine
wahre Heldin aus Lügen geboren wird“, wie die weise Amazonenmutter
Hippolyta (Connie Nielsen) es dem enttäuschten Mädchen nach einem
Betrugsversuch bei jener Olympiade hinter die Ohren schrieb. Später wird
Diana dran denken. Nicht nur aufgrund des „Lassos der Wahrheit“, der Waffe
ihrer Wahl.
Denn 1984, 70 Jahre [2][nach ihren Abenteuern im Ersten Weltkrieg (und
ersten Film)], arbeitet Diana als Kunsthistorikerin im Smithsonian
Institute in Washington. Als die Beute aus einem Überfall dort landet,
entdecken Diana und ihre so linkische wie schüchterne Kollegin Barbara
Minerva (Kristen Wiig) ein Kristall-Artefakt, das auch den ominösen und
kurz vor der Insolvenz stehenden Möchtegern-Unternehmer Maxwell Lord (Pedro
Pascal) auf den Plan ruft.
## Das Glück auf Lügen gebaut
Es scheint sich bei dem Kristall um einen Zauberstein zu handeln, der jeden
Wunsch erfüllt, wenn man ihn berührt – kurz darauf ist Barbara nicht mehr
schüchtern und linkisch, sondern stöckelt selbstbewusst auf hohen Absätzen
durch das Museum. Maxwells Pleitegeier machen sich davon. Und Dianas in der
Vergangenheit verstorbener Geliebter Steve (Chris Pine) steht plötzlich
lebendig vor ihr. Dianas neu gefundenes Glück ist demnach auf Lügen gebaut
– schwierig für die „wahre Heldin“.
Doch Regisseurin Patty Jenkins, die gemeinsam mit zwei weiteren Autoren am
Drehbuch mitschrieb, verliert den Fokus – oder hat ihn fragwürdig
definiert. Denn lange Zeit ist „Wonder Woman 1984“ eine affektierte,
sexfreie 80er-Jahre-Party, ein „Jäger des verlorenen
Schatzes“-„Ghostbusters“-Schirmchen-Cocktail, dessen slapstickreicher Hum…
immer wieder die gleichen Klischees bedient: In den 80ern bestand die Welt,
bru-haha, aus föngewellten, Neon-Leggins tragenden Aerobic-Fans mit großen
Brillen und antiquiertem Genderbewusstsein.
Was natürlich unbedingt stimmt, aber die Geschichte, die Diana erlebt,
weder in eine echte Komödie verwandelt noch ihr anders weiterhilft. Die
Jagd nach dem Traumstein, der von dem zunehmend irren Maxwell gestohlen und
einverleibt wird, gerät zur Jagd nach einem MacGuffin, voller – selbst für
das Superheldengenre – logischer Denkfehler und mit einem arg
angestrengten, choreografisch (mit Dianas pendelndem Leuchtlasso) an
Cirque-du-Soleil-Nummern erinnernden Finale. Es geht letztlich darum, dass
das Wünschen eben doch nicht hilft, man doch nichts bekommt, ohne etwas
dafür zu geben.
Minerva gibt ihre Menschlichkeit – ihre Handlungsgründe stehen dem
feministischen Anspruch des ersten Wonder-Woman-Abenteuers aber diametral
entgegen: Minervas Motiv, aus dem sie ihren Wunsch ableitet und das sie
langsam zur Gegenspielerin Wonder Womans, dem „Villain“, werden lässt, ist
der Neid auf eine vermeintlich hübschere, erfolgreichere Konkurrentin und
damit das vielbeschworene Stereotyp der grauen Maus, die missgünstig auf
die Frau in High Heels schielt.
Weit entfernt ist Minerva von der racheglühenden Triebfeder etwa einer
Heldin wie Catwoman, die – im Original-DC-Comic und einigen filmischen
Adaptionen – tatsächlich die Hölle erlebt hat, bevor sie wutentbrannt in
den Catsuit sprang. Und ebenso weit von den beherzt jeglichen Kitsch
ignorierenden, schwesterliche und solidarische Liebe predigenden Szenen bei
den Amazonen.
## Actionsound von Hans Zimmer
Jenkins’ Entscheidung, den Film mit dem ordinär-brachialen Actionsound des
Komponisten Hans Zimmer zu überziehen und sich auch in der leicht
stolpernden Erzählstruktur an 80er-Jahre-Superhelden-Filmen zu orientieren
– eine Flugzeugszene zwischen Diana und Steve erinnert an
Superman-Lois-Lane-Sequenzen, in denen Lanes innere Stimme schmachtet
„Kannst du in meinem Herzen lesen?“ –, schieben den Film noch näher an j…
Vorbilder, die er, so dachte man, parodieren wollte.
Doch vielleicht will er das gar nicht. Vielleicht möchte „Wonder Woman
1984“ einfach nur einen nostalgischen 80er-Jahre-Eskapismus bedienen und
dem überkandidelten, viel comicaffineren, weißen Prä-MCU- und
DC-Superhelden-Kintopp mit all den „Mr. Freezes“, den grimassierend
überspielenden Jokern und den von Superman zu Eis gepusteten Seen ein
Denkmal setzen. Das gelingt ihm auch. Dabei hinterlässt er jedoch den
Nachgeschmack einer zu stark gebutterten XXL-Popcorntüte.
Was umso ärgerlicher ist, als der Film noch nicht mal mit echtem
Kino-Popcorn serviert werden kann: Warners Entscheidung, seinen Top-Titel
und potenziellen Blockbuster überraschend doch direkt auf VoD zu
veröffentlichen und ihn nicht nach sukzessiven Lockerungen den gebeutelten
Filmtheatern als Anreiz zur Verfügung zu stellen, ist ein weiterer
Dolchstoß mitten hinein ins Kinoherz. Wenn Diana das wüsste, ließe sie
hoffentlich an entsprechender Stelle das Lasso tanzen.
18 Feb 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
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Schwerpunkt Berlinale
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