| # taz.de -- Feministische Performance in Hamburg: Gescheiterte Heldinnen | |
| > Mit vier Fäusten durch Legenden und Comics: Die Performance „She Legend“ | |
| > verknüpft Klischees vom Superheldentum mit feministischen Fragen. | |
| Bild: Kämpfende Frauen als Projektionsfläche: Lisa Rykena breitbeinig auf ein… | |
| Hamburg taz | Sie machen sich warm, bereit für den Kampf. Noch während die | |
| Zuschauer auf der Tribüne Platz nehmen, tigern die beiden Tänzerinnen um | |
| ein großes, weißes Podest. In kurzen Sporthosen und glänzenden Daunenjacken | |
| ist jede für sich. Tänzelnd, federnd. Wie Rivalinnen vor dem Ringkampf. | |
| [1][Lisa Rykena] auf der einen Seite, [2][Carolin Jüngst] auf der anderen. | |
| Sie boxen in die Luft, krümmen sich und werfen sich auffordernde, | |
| abschätzende Blicke zu. Die beiden Performerinnen sind unablässig in | |
| Bewegung. Mit schmatzenden, schnalzenden, schmetternden Comic-Sounds | |
| untermalen sie ihre Bewegungen, Sounddesigner Konstantin Bessonov steuert | |
| triumphale und geschickt ausgebremste Synthetik-Akkorde dazu. Spielerisch | |
| kombinieren die Tänzerinnen Kickboxen mit zarten Chassé-Sprüngen und | |
| gezielten Hieben in die Luft, tänzeln mit gebündelter Energie auf der | |
| Stelle und werfen sich bald mit fechtenden Gesten durch den ganzen Raum. | |
| „The world is in trouble“, ruft eine mit ernster Stimme. „Let’s face it… | |
| reagiert die andere. Also wirft Lisa Rykena ihre Beine hoch in die Luft, | |
| tritt und tanzt energiegeladen und zerstörungswütig quer über das Podest. | |
| Schnell, aggressiv und vollkommen ziellos. Kollateralschäden werden | |
| mutwillig in Kauf genommen. Da reckt Carolin Jüngst – hinter dem Podest | |
| liegend – zart ihre Hand in die Luft. Eine unvermittelte Hilfe suchende | |
| Geste und aus Lisa Rykena wird eine heldenhafte Retterin. | |
| Man denkt an Actionhelden aus Endzeitfilmen, an Comichelden wie Super- oder | |
| Spiderman, aber vor allem – schließlich agieren auf der Bühne zwei Frauen �… | |
| auch an an deren weibliches Pendant: die Batman-Feindin Poison Ivy etwa, | |
| Lara Croft, Wonder Woman oder Catwoman. | |
| ## Fetisch Superkräfte | |
| Der Abend ist voller Zitate, Anspielungen und Verweise. Auf Filme, Comics | |
| und Legenden, von Hollywood über Mangas bis zur Antike. Wenn sie nicht | |
| gerade raumgreifend die imaginierte Welt retten (und dabei ausreichend | |
| verbrannte Erde hinterlassen) verweilen die Performerinnen in reduzierten | |
| Posen und Gesten, reihen assoziativ rettende Reiter, Martial-Arts-Abfolgen | |
| und Westerndialoge aneinander, sind mal stolze Amazonen, mal auch listige | |
| Kämpferinnen, die ihre langen, geflochtenen Zöpfe als wirbelnde Superwaffe | |
| erproben. Meist pfeift über die Lautsprecher ungemütlicher Wind dazu. | |
| Carolin Jüngst und Lisa Rykena haben mit „She Legend“ ein Tanzstück | |
| entwickelt, das die Klischees und Darstellungen von Heldentum untersucht. | |
| Im Rahmen des [3][„Nordwind“-Festivals] wird es nun aufgeführt. | |
| Unter der Überschrift „[4][Exploring Blankness]“ widmet sich das Festival | |
| noch bis zum kommenden Samstag den Konsequenzen und Potenzialen der vierten | |
| Welle des Feminismus für die Geschichte und Praxis eines Feminismus in | |
| Europa, und versucht eine kritische Re-Lektüre der Bewegung der vergangenen | |
| Jahrzehnte. In „She Legends“ wollen die Performerinnen die fetischisierte | |
| Projektionsfläche von Superheldinnen hinterfragen und die damit | |
| einhergehenden Rollenmuster und Geschlechterstereotypen. Die Fragestellung | |
| ist interessant genug, sie ermöglicht Bilder und feministische Debatten, | |
| ist theorie- und bühnentauglich. | |
| ## Spannungsarmer Abend | |
| In der Umsetzung allerdings bleibt der Ansatz vor allem buchstabendick im | |
| Programmheft kleben, auf der Bühne findet er kaum Ausdruck. Da blitzt in | |
| mancher Szene heitere Pose und kluge Persiflage auf, auch schon in den | |
| ironisch gesetzten Kurzhosen-Retro-Sport-Outfits von Hanna Scherwinski. | |
| Doch insgesamt wirkt der Abend in seiner dramaturgischen Abfolge, in seiner | |
| szenischen Reihung von Gesten, Posen und Weltkatastrophen allzu wahllos: | |
| Faustschläge, Tritte, imaginierte Schüsse, wirbelnde, sich krümmende | |
| Körper. Und alles noch mal von vorn. | |
| Die theatralen Mittel – das geräuschvolle, comichafte Illustrieren der | |
| Bewegungen, die wiederkehrenden robotergleichen Sequenzen, die | |
| pantomimische Darstellung übermenschlicher Kräfte – folgen keinem Narrativ, | |
| keiner Logik und letztlich auch keiner Dringlichkeit. Spannungsarm perlt | |
| der Abend mit gleichbleibender Energie vorüber, heiter und charmant, und | |
| auf tänzerisch hohem Niveau. | |
| Tatsächlich aber hinterlässt er eine unbefriedigende Unschärfe. Wenn gegen | |
| Ende die Soundkulisse bedrohliches Feuer und prasselnden Regen suggeriert, | |
| dann kommt kurzzeitig Endzeitstimmung auf, sprechen die Performerinnen | |
| grabestief von „Rain, Blood, Fire“ und reißt eine der anderen das Herz aus. | |
| Schließlich sterben die Überwesen einen dramatischen Bühnentod. Ein Chor in | |
| weißem Tennis-Outfit joggt auf die Bühne, singt den Sterbenden einen | |
| herzzerreißenden Choral. Herrlicher Pathos – und große Geste. Endlich. Aber | |
| zu spät für einen Abend über Superheldinnen und Retterinnen, über Macht, | |
| Erfolg und Scheitern. | |
| 6 Dec 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.christoph-winkler.com/taenzerinnen/Lisa--Rykena/ | |
| [2] https://www.k3-hamburg.de/k3/kuenstler-innen/detail/110 | |
| [3] http://nordwind-festival.de | |
| [4] https://www.kampnagel.de/nordwind-festival-2019/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Ullmann | |
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