| # taz.de -- Sachverständigenrat zu Wirtschaft und Corona: „Die Maßnahmen ha… | |
| > Achim Truger ist Mitglied im Sachverständigenrat und hält die | |
| > Konjunkturpakete der Regierung für angemessen. Das größte Risiko sei ein | |
| > globaler Lockdown. | |
| Bild: Ein Frachtschiff auf dem Rhein in Richtung der Überseehäfen Rotterdam u… | |
| taz: Herr Truger, der Sachverständigenrat hat vor zwei Monaten für 2021 | |
| noch ein Wachstum von 3,7 Prozent prognostiziert. Kommt es so? | |
| Achim Truger: Ich sehe bislang keinen Grund für große Korrekturen. Wir sind | |
| schon im November von einem etwas längeren Teil-Lockdown ausgegangen, | |
| allerdings nicht von dessen Verschärfung. Dafür haben wir jetzt die | |
| Perspektive Impfen. | |
| Also ein V – [1][steil runter, steil hoch]? | |
| Klar ist, dass es eine nachhaltige Erholung nur gibt, wenn wir die Pandemie | |
| in den Griff bekommen. Zwei Faktoren entwickeln sich jetzt aber viel | |
| günstiger als im Frühjahr: die Industrieproduktion und die Exporte. Die | |
| globalen Lieferketten sind nicht gestört. Es gibt daher im Frühjahr eine | |
| realistische Aufschwungperspektive. | |
| Klingt erfreulich. Wo sind die Risiken? | |
| Das größte Risiko wäre ein globaler Lockdown. Man muss daran erinnern: Die | |
| Rezession im Frühjahr war nicht so sehr ein Ergebnis der deutschen | |
| Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, sondern eben der gestörten Lieferketten | |
| und des einbrechenden Exportes. Allerdings ist absehbar, dass es 2021 mehr | |
| Insolvenzen geben wird – die bis jetzt wegen des veränderten | |
| Insolvenzrechts weitgehend ausgeblieben sind. | |
| Waren die Konjunkturpakete der Regierung richtig? | |
| Ja, die Hilfsmaßnahmen haben gut funktioniert. Das Kurzarbeitergeld hat | |
| Arbeitslosigkeit weitgehend verhindert. Die staatliche Reaktion war schnell | |
| und groß – das war das Wichtigste. Am Anfang fehlte noch viel: Geld für | |
| Europa, für die Kommunen, Hilfen für Soloselbstständige. Die | |
| Bundesregierung hat da systematisch nachgebessert. Das ist ein großes Plus. | |
| Alles war richtig? Auch [2][die Mehrwertsteuersenkung]? | |
| Das sind Details, über die man streiten kann. Die Mehrwertsteuersenkung ist | |
| ein teurer Posten, und soweit wir bisher absehen können, hatte sie nicht | |
| die erhofften positiven Effekte auf den privaten Konsum. Der richtige Wumms | |
| war das nicht. | |
| Was wäre ein besseres Mittel gewesen? | |
| Ein höherer Kinderbonus zum Beispiel. Denn den bekommen alle – außer den | |
| sehr Reichen, bei denen er über die Steuern wieder abgezogen wird. Von | |
| diesem staatlichen Geld geht sehr viel direkt in den Konsum, daher waren | |
| 300 Euro Kinderbonus zu wenig. | |
| Der Staat gibt mehr als 600 Milliarden Euro für die Bewältigung der | |
| Coronakrise aus. Ist das nicht zu viel? | |
| Nein. Der Staat kann sich wegen der niedrigen Zinsen günstig mit Geld | |
| versorgen. Es wird daher kein Problem sein, diese Schulden zu tragen. Nach | |
| der Finanzkrise lag der Schuldenstand 2010 bei 82 Prozent des BIP. Diese | |
| Quote ist in neun Jahren auf unter 60 Prozent gesunken – und zwar wegen der | |
| guten Konjunktur. Ich halte es für realistisch, dass wir nun ähnlich aus | |
| den Schulden herauswachsen können. Der deutsche Staat bekommt ja bei | |
| negativen Zinsen sogar noch Geld. Schnelle Rückzahlung wäre falsch. | |
| Die Finanzkrise 2009 hat Deutschland insgesamt weniger als 200 Milliarden | |
| Euro gekostet. Die Coronaschulden liegen jetzt schon drei Mal so hoch. | |
| [3][Lösen die sich wirklich einfach auf]? | |
| Entscheidend ist nicht die absolute Höhe der Schulden. Sondern das | |
| Verhältnis von Schulden und wirtschaftlicher Leistung, das sich in der | |
| Schuldenstandsquote ausdrückt. Sie ist derzeit zehn Prozentpunkte niedriger | |
| als 2010. Selbst wenn es ökonomisch wesentlich schlechter laufen sollte als | |
| nach 2010, würde diese Quote wieder sinken – nur langsamer. | |
| Und was, wenn die Zinsen in fünf Jahren steigen? Das ängstigt viele. | |
| Die Zinsen sind kein Grund, Angst zu haben. Wenn die Konjunktur anzieht, | |
| müssen die Zinsen sogar steigen, damit die Wirtschaft nicht überhitzt und | |
| die Inflation zulegt. Wenn wir aber ein so starkes Wachstum haben, sinkt | |
| wiederum die Schuldenquote automatisch. Insofern sind steigende Zinsen kein | |
| Szenario, in dem Überschuldung drohen würde. | |
| Viele Sparer fühlen sich derzeit als Opfer, weil die Zinsen so niedrig | |
| sind. Zu Recht? | |
| Nein. Die Zinsen müssen derzeit niedrig sein. Würden sie jetzt steigen, | |
| würde das die Konjunktur abwürgen. Insofern lautet die Wahl: Wollt ihr | |
| lieber keine Zinsen für eure Ersparnisse bekommen – oder arbeitslos werden? | |
| Die Frage beantwortet sich von selbst. | |
| Und was ist mit der Inflationsgefahr? Viele kaufen derzeit Gold oder | |
| Bitcoins, weil sie fürchten, dass zu viel Geld im Umlauf sei. Welche | |
| Anlagen würden Sie kaufen? | |
| Ich gebe keine Anlagetipps. Die Inflationsängste werden schon seit zehn | |
| Jahren geschürt. Passiert ist nichts. Aktuell fallen die Preise sogar. | |
| Aber die Preise für Immobilien steigen deutlich. Viele Mieter haben Angst, | |
| dass sie sich demnächst ihre Wohnung nicht mehr leisten können. | |
| Der Staat sollte Wohnungen bauen oder den Wohnungsbau stärker unterstützen. | |
| Übrigens auch eine gute Möglichkeit, um das billige Geld zu investieren. | |
| Berlin hat inzwischen eine Mietpreisbremse verhängt. Eine gute Idee? | |
| Die Mietpreisbremse ist temporär ein sinnvolles Instrument, weil es die | |
| Preisspitzen kappt. Es betrifft ja nicht den Neubau, sondern nur Altbauten, | |
| und verhindert so, dass die Vermieter leistungslose Gewinne mitnehmen. | |
| Aber, wie gesagt, die Mietpreisbremse ist nur temporär sinnvoll. Der Staat | |
| muss dafür sorgen, dass in dieser Zeit kräftig gebaut wird. | |
| Die Union drängt nun darauf, die Coronaschulden schnell wieder | |
| zurückzuzahlen und die Schuldenbremse wieder zu betätigen. Ist das nötig? | |
| Nein. Bei der Union gibt es aber verschiedene Stimmen. In dem | |
| Impuls-21-Papier von Laschet und Spahn tauchen die Worte schwarze Null und | |
| Schuldenbremse nicht auf. Ich erinnere an 2009, als Schwarz-Gelb regierte. | |
| Da war die Schuldenbremse erst ein paar Monate alt, und Schwarz-Gelb fand | |
| Tricks, um sie zu umgehen und nicht sparen zu müssen. | |
| Die Finanzpolitiker der Union klingen jetzt anders. | |
| Wenn die Union die schnelle Rückkehr zur schwarzen Null in ihr Wahlprogramm | |
| schreibt und das auch noch umsetzt, wäre das ein schwerer Fehler. Die | |
| Schuldenquote sinkt ja automatisch, wenn das Wachstum anzieht. Die | |
| Schuldenbremse 2022 wieder in Gang zu setzen, würde bedeuten, dass Bund und | |
| Länder entweder Steuern erhöhen oder Ausgaben streichen müssen. Dieses | |
| Dilemma wäre aber politisch erzeugt und kein ökonomischer Zwang. Eigentlich | |
| könnten wir die Schuldenfrage sogar umdrehen: Haben wir uns zu wenig | |
| verschuldet? | |
| Aha. Keine Angst vor neuen Schulden. Wieso? | |
| Weil wir uns mit den Negativzinsen extrem billig verschulden können und | |
| Investitionen in die sozialökologische Transformation brauchen. Das wäre | |
| gut angelegtes Geld. Bisher erschwert die Schuldenbremse das allerdings. | |
| 18 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
| Stefan Reinecke | |
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