| # taz.de -- Ökonomin über Resilienz in Lieferketten: „Ausfallrisiko besser … | |
| > Wegen Corona drohen Lieferausfälle. Ob das den Trend zur „Fabrik Europa“ | |
| > verstärkt, sei nicht sicher, sagt Ökonomin Lisandra Flach. | |
| Bild: Verwundbare Stelle für den globalen Warenverkehr sind die Grenzübergän… | |
| taz: Vergangenes Jahr blieben plötzlich die Lieferungen von Atemmasken aus | |
| China und Autoteilen aus Italien aus. Corona hat vorgeführt, wie abhängig | |
| voneinander und damit auch verletzlich die nationalen Wirtschaften sind. | |
| Reagieren viele hiesige Unternehmen nun darauf, indem sie ihre Produktion | |
| nach Hause holen? | |
| Lisandra Flach: Einige Firmen überlegen in diese Richtung. Welche | |
| praktischen Konsequenzen das auslöst, wird sich aber erst mittelfristig | |
| zeigen. Plausibel erscheint, die Lieferketten zu diversifizieren, um das | |
| Risiko von Lieferausfällen besser zu verteilen. Wenn man mehrere | |
| Vorproduzenten in verschiedenen Ländern oder Weltregionen beauftragt, ist | |
| man weniger abhängig von nur einer Quelle. Das bedeutet allerdings auch, | |
| dass es keinen Vorteil bringt, nur in Deutschland zu produzieren. Müsste | |
| die hiesige Fabrik etwa wegen Corona geschlossen werden, fiele ja die | |
| gesamte Zulieferung aus. | |
| Mit Millionenbeträgen fördert Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier die | |
| einheimische Produktion von Atemmasken. Gibt es mehr solcher Beispiele? | |
| Die Bundesregierung finanziert drei Unternehmen, die Impfstoffe entwickeln. | |
| Da verlässt sich die Politik jetzt nicht darauf, dass der Markt es schon | |
| richtet. Auch bei anderen sensiblen Gütern wie beispielsweise Medikamenten | |
| kann es sinnvoll sein, die Lagerhaltung zu verbessern, um die Versorgung im | |
| Krisenfall sicherzustellen. Der Medizinsektor stellt jedoch eine Ausnahme | |
| dar. | |
| Wegen der Pandemie ging das Realeinkommen Deutschlands im Jahr 2020 um etwa | |
| neun Prozent zurück. Was sind die Ursachen – eher die Probleme in den | |
| Lieferketten oder die politisch verfügten Kontaktbeschränkungen? | |
| Die Lieferausfälle spielten eine Rolle. Stärker bemerkbar machen sich | |
| freilich die durch Corona notwendigen Kontaktbeschränkungen, die die | |
| Politik verhängt. Diese machten zwei Drittel der Schäden aus. Deshalb | |
| kommen Firmen besser durch die Krise, wenn sie die Möglichkeit haben, | |
| Arbeiten ins Homeoffice auszulagern. | |
| Laut einer Umfrage des Kreditversicherers Euler Hermes planen etwa zehn | |
| Prozent der Unternehmen in Deutschland, den USA, Großbritannien, Frankreich | |
| und Italien, ihre Produktion zurückzuholen. Ein Drittel der Firmen will die | |
| Fertigung mehr in der Nähe ansiedeln. | |
| Einen Trend zu regionaleren Lieferketten beobachten wir allerdings seit | |
| Jahren. Mancher Fertigungsschritt, der früher in China angesiedelt war, | |
| findet nun in Osteuropa statt. Wir bezeichnen dieses Phänomen als „Fabrik | |
| Europa“. | |
| Was ist denn der Grund für diese Entwicklung? | |
| Da machen sich verschiedene Ursachen bemerkbar. Mit steigenden Löhnen in | |
| Asien nimmt der dortige Kostenvorteil ab. Die geografische Nähe kann die | |
| Lieferzeiten verkürzen. Für manche Unternehmensvorstände mag auch eine | |
| Rolle spielen, dass sie Handelskonflikten aus dem Weg gehen wollen. Ob | |
| Corona diese Entwicklung verstärkt, bleibt abzuwarten. | |
| Sehen Sie einen Trend zur Renationalisierung, der die Globalisierung in | |
| Frage stellt? | |
| Die Skepsis gegenüber der Globalisierung hat massiv zugenommen – vor allem | |
| in der Bevölkerung. In der Wirtschaft sieht es anders aus. Denn viele | |
| Manager:innen stellen auch fest, dass der Schock der Pandemie die | |
| Lieferketten nicht synchron traf. Manche Importe aus Vietnam liefen | |
| stabiler als die aus Italien. Die räumliche Nähe macht die Lieferungen also | |
| nicht unbedingt krisenfester. | |
| Ein gewisser Teil der Bevölkerung, Rechte wie Linke, aber auch manche | |
| Wissenschaftler:innen sehen eine Chance in der Deglobalisierung. Was halten | |
| Sie davon? | |
| Wir sollten die Globalisierung nicht in Frage stellen. Corona beschleunigt | |
| die Digitalisierung – und damit wohl auch den globalen Handel mit | |
| Dienstleistungen. Firmen kaufen Software in Indien oder lagern | |
| Serviceabteilungen dorthin aus. Student:innen können Online-Vorlesungen an | |
| US-Universitäten hören, Ärzt:innen bieten digitale Sprechstunden an. Der | |
| internationale Handel mit solchen Produkten und Lösungen wird stark | |
| zunehmen. | |
| Sie argumentieren, mehr internationale Wirtschaftsverflechtungen brächten | |
| auch mehr Wohlstand. Wie funktioniert das genau? | |
| Beispielsweise die deutsche Autoindustrie ist weltweit so erfolgreich, weil | |
| sie extrem konkurrenzfähige Produkte anbietet. Forschung, Entwicklung, | |
| technische Konzepte und Design der Fahrzeuge sind in Deutschland | |
| angesiedelt, viele Teile werden jedoch zugekauft. Es handelt sich um eine | |
| Kombination aus kostengünstigen, externen Fertigungsschritten mit einer | |
| starken Spezialisierung hierzulande. Gerade wegen letzterer sind die | |
| Produkte so gut – und begehrt. Davon leben wir alle. | |
| Die Arbeitsbedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern sind oft | |
| schlechter als hier. Produktion zurückzuholen könnte sozialen und | |
| ökologischen Fortschritt bedeuten. | |
| Aber Deutschland verlöre dadurch Einkommen – im Übrigen auch die | |
| Entwicklungsländer, die Arbeitsplätze einbüßten. Besser ist es, den Versuch | |
| zu unternehmen, die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern zu | |
| verbessern. | |
| 12 Jan 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Koch | |
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