| # taz.de -- Initiative „Zero Covid“: Zeit für Stunde null | |
| > Die Wirtschaft herunterfahren, und das in ganz Europa. Eine Initiative | |
| > fordert radikale Schritte gegen die Pandemie und Solidarität. | |
| Bild: Solidarität in Zeiten von Corona ist oft von Freiwilligkeit gekennzeichn… | |
| Hamburg taz | Die Lage ist katastrophal: Weltweit sind knapp 2 Millionen | |
| Menschen [1][an den Folgen einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben], | |
| und in vielen Ländern steigen die täglichen Zahlen weiter an. Obwohl in | |
| Deutschland weite Teile des öffentlichen Lebens lahmgelegt sind, infizieren | |
| sich nach wie vor fast 20.000 Menschen täglich, in vielen anderen | |
| europäischen Ländern sieht es genauso schlecht aus. | |
| Am Mittwoch veröffentlichte eine Initiative aus Wissenschaftler*innen, | |
| Autor*innen und Mitarbeiter*innen des Gesundheitssektors deshalb einen | |
| Appell: Unter dem Stichwort [2][„Zero Covid“] fordern sie einen „radikalen | |
| Strategiewechsel“ und europaweiten sofortigen Lockdown in allen Bereichen | |
| der Wirtschaft. „Wir brauchen kein kontrolliertes Weiterlaufen der | |
| Pandemie, sondern ihre Beendigung“, heißt es in dem Appell der Gruppe um | |
| die Philosophin und Autorin Bini Adamczak. | |
| [3][Dabei sei es wichtig, dass die „Maßnahmen gesellschaftlich solidarisch“ | |
| gestaltet würden.] Die Unterstützer*innen, darunter auch | |
| Schriftsteller*innen Margarete Stokowski, Raul Zelik und Sharon Dodua Otoo, | |
| attestieren den europäischen Regierungen Totalversagen in ihren | |
| Interventionen gegen die Pandemie. | |
| Für die Trendwende, so die Gruppe, sei eine sofortige, mehrwöchige | |
| Stilllegung aller Wirtschaftsbereiche bis auf wenige Ausnahmen notwendig. | |
| Welche das genau seien, blieb unklar. Büros, Baustellen und Fabriken | |
| müssten jedoch geschlossen und die Arbeitspflicht ausgesetzt werden, bis | |
| die Infektionszahlen den Nullpunkt erreicht hätten, heißt es in dem Appell. | |
| „Mit diesem Aufruf fordern wir auch die Gewerkschaften auf, sich | |
| entschlossen für die Gesundheit der Beschäftigten einzusetzen.“ | |
| Für die Lohneinbußen soll nach dem Willen der Initiative ein umfassendes | |
| Rettungspaket verabschiedet werden, das Entschädigungen und Fortzahlungen | |
| garantiert, aber auch Prekäre, informell Beschäftigte, Obdachlose und | |
| Menschen in Sammelunterkünften absichert. Wer im totalen Shutdown besonders | |
| viel Sorgearbeit leiste, solle durch Gemeinschaftseinrichtungen entlastet | |
| und Kinder digital, notfalls in Kleingruppen unterrichtet werden. | |
| [4][Das Geld für eine solche Intervention sei vorhanden], argumentiert die | |
| Initiative. „Die Gesellschaften in Europa haben enormen Reichtum angehäuft, | |
| den sich allerdings einige wenige Vermögende angeeignet haben.“ Diese | |
| müssten über Abgaben auf hohe Einkommen und Vermögen, Unternehmensgewinne | |
| und Finanztransaktionen in die Pflicht genommen werden. „Mit diesem | |
| Reichtum sind die Arbeitspause und alle solidarischen Maßnahmen problemlos | |
| finanzierbar“, sind sich die Autor*innen sicher. | |
| ## Manche Ideen sind gar nicht neu | |
| „Wir müssen weg von dem Schlingerkurs, bei dem die Regierungen immer erst | |
| im Nachhinein auf Vorhersehbares reagieren“, sagte Adamczak zur taz. Die | |
| Maßnahmen, die dann beschlossen würden, schränkten das Leben genauso stark | |
| ein, müssten dann aber zusätzlich länger bestehen bleiben, um zu wirken, so | |
| die Autorin. Viele Menschen verstünden nicht, warum sie ihr Privatleben | |
| einschränken müssten, aber der Arbeitsbereich weitgehend unbehelligt | |
| bleibe. Stattdessen werde dauernd über Schulschließungen geredet, | |
| kritisiert Adamczak. „Aber man kann die Schulen nicht schließen, wenn die | |
| Eltern weiter arbeiten müssen.“ Das Hin und Her von halbherzigen Maßnahmen | |
| und anschließenden Lockerungen samt dem daraufhin unvermeidlichen | |
| Wiederanstieg der Infektionszahlen habe viele Leben gekostet, so könne es | |
| nicht weitergehen. | |
| Die Verfasser*innen des Aufrufs fordern deshalb auch einen massiven Ausbau | |
| des Gesundheitswesens und die Rekommunalisierung privater Krankenhäuser. | |
| Der gesamte Sektor inklusive der Covid-Impfstoffe müsse der Profitlogik | |
| entzogen und allen zugänglich gemacht werden, heißt es in dem Appell. Dass | |
| das nicht von heute auf morgen ginge und gemeinsame Lösungen auf | |
| europäischer Ebene schwer zu erzielen seien, sei klar, sagt Adamczak. „Das | |
| ist aber kein Grund, nicht schon mal anzufangen.“ Für den Übergang schlägt | |
| die Initiative das Konzept von Grünen Zonen vor, in denen man sich frei | |
| bewegen und alles öffnen kann, sobald die Infektionszahlen dort auf null | |
| seien. | |
| Ganz neu ist die Idee von „Zero Covid“ nicht. Die Verfasser*innen beziehen | |
| sich unter anderem auf die [5][in Großbritannien initiierte internationale | |
| Kampagne „End Coronavirus“], die seit Februar 2020 basisdemokratische | |
| Strategien entwickelt, an denen sich Politiker*innen, Unternehmen und | |
| Einzelpersonen orientieren könnten. Außerdem schließt sie sich dem Aufruf | |
| [6][„Contain Covid Pan-EU“ vom 19. Dezember 2020 an.] Darin wiesen | |
| internationale Wissenschaftler*innen, darunter auch Virologin Melanie | |
| Brinkmann und Physikerin Viola Priesemann, darauf hin, dass der Schutz | |
| durch den Impfstoff erst Ende 2021 greifen werde und die europäischen | |
| Regierungen deshalb sofort auf eine koordinierte Strategie umschwenken | |
| müssten. | |
| Adamczak und ihre Mitstreiter*innen stützen sich darüber hinaus auf eine | |
| Analyse der österreichischen und deutschen Wissenschaftler*innen Christian | |
| Zeller, Verena Kreilinger und Winfried Wolf, die den politisch | |
| Verantwortlichen ebenfalls ein umfassendes Versagen der Pandemiebekämpfung | |
| attestieren. „Die Regierungen stehen unter dem Diktat der kapitalistischen | |
| Wirtschaft“, kritisieren sie. Aber auch linken Parteien und Gewerkschaften | |
| werfen die Wissenschaftler*innen vor, in der Coronakrise versagt zu haben. | |
| Forderungen, die Reichen für die Krise zur Kasse zu bitten, seien kaum | |
| erhoben worden und der Gesundheitsschutz der Arbeiter*innen sei | |
| vernachlässigt worden. | |
| 14 Jan 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://ourworldindata.org/coronavirus | |
| [2] https://zero-covid.org | |
| [3] /Corona-macht-soziale-Unterschiede-groesser/!5673968 | |
| [4] /Kolonialgeschichte/!5396660 | |
| [5] https://de.endcoronavirus.org/ | |
| [6] https://www.containcovid-pan.eu/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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