| # taz.de -- Jutta Allmendinger über Frauenpolitik: „Ich kämpfe für Optione… | |
| > Gerade Frauen verlangt die Bewältigung der Pandemie viel ab. Bezahlte und | |
| > unbezahlte Arbeit müssen nach Ansicht der Soziologin fairer verteilt | |
| > werden. | |
| taz: Frau Allmendinger, kurz nach der ersten Welle der Pandemie haben Sie | |
| prophezeit, [1][Frauen würden durch Corona eine „entsetzliche | |
| Retraditionalisierung“ erfahren.] Sehen Sie das fast acht Monate später | |
| noch immer so? | |
| Jutta Allmendinger: Sogar stärker als damals. | |
| Warum? | |
| In vielen Disziplinen liegen nun Studien über den ersten Lockdown vor. | |
| Gerade ist ein Artikel über den sogenannten „Mental Load“ erschienen, der | |
| aus einer psychologischen Sicht zeigt, dass die Stressfaktoren bei Frauen – | |
| und nur bei Frauen – in dem Maß zunehmen, in dem Schulschließungen und | |
| Doppelbelastungen auftreten. Währenddessen zeigt sich bei Männern über die | |
| Phase des Lockdowns hinweg keine große Veränderung. Zudem haben Frauen viel | |
| stärker ihre Arbeitszeit reduziert und haben nach dem ersten Lockdown viel | |
| schwerer wieder in den Arbeitsmarkt zurückgefunden. | |
| Jetzt haben Sie ein Buch veröffentlicht, in dem Sie beschreiben, was anders | |
| hätte laufen müssen. Was wäre das? | |
| Ich zeichne in meinem Buch aus meiner persönlichen Sicht und über die | |
| Jahrzehnte nach, was hierzulande eigentlich passiert. Mein Großvater, mein | |
| Vater, der Vater meines Sohnes: bei ihnen war und ist die Vollzeitarbeit | |
| die Norm. Frauen haben ihre Lebensverläufe immer mehr denen der Männer | |
| angepasst und tun das auch heute noch. Sie übernehmen immer mehr bezahlte | |
| Arbeit. Männer hingegen haben ihre Lebensverläufe nicht verändert. | |
| Wie müssten die Lebensläufe konkret verändert werden? | |
| Ich bin Verfechterin einer Erwerbstätigkeit einer durchschnittlichen | |
| 32-Stunden-Woche, also unterhalb der jetzigen Vollzeit. Aber der zentrale | |
| Punkt für mich ist, die unbezahlte Arbeit gleichmäßiger zwischen Männern | |
| und Frauen aufzuteilen. Denn die Ungleichheit, die wir hier seit Langem | |
| haben, ist der Grund dafür, dass es enorme Unterschiede im Monatseinkommen | |
| gibt. Das wiederum resultiert bei den Frauen in äußerst geringen Renten, | |
| mit denen sie oft 20 oder 30 Jahre leben müssen. | |
| In Sachen Erwerbstätigkeit sollten sich also nicht Frauen Männern, sondern | |
| Männer Frauen anpassen? | |
| Es ist ein Irrweg, Frauen einfach die Erwerbsbiografien von Männern | |
| annehmen zu lassen. Wir leben in einer Gesellschaft, die wesentlich mehr | |
| Engagement für andere braucht. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem | |
| Männer, wenn sie Väter werden, nicht mehr ihr Arbeitsvolumen hochschrauben | |
| – und Frauen in Teilzeit gehen müssen. Bezahlte und unbezahlte Arbeit muss | |
| endlich fairer verteilt werden. | |
| [2][Es gibt Studien, die zeigen, dass zumindest die Mehrarbeit durch Corona | |
| in heterosexuellen Paarbeziehungen] annähernd gleich zwischen Männern und | |
| Frauen verteilt wurde. | |
| In diesen Studien geht es um proportionale Zuwächse. Die können von einem | |
| niedrigen Niveau aus natürlich höher ausfallen als von einem sehr hohen | |
| Niveau. Ich nutze da den Begriff der Grenzlast: Frauen können mit zu ihrer | |
| ohnehin hohen Belastung einfach nicht mehr schultern. | |
| [3][Viele arbeiten momentan im Homeoffice.] Sie schreiben, das erleichtere | |
| zwar die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – gleichzeitig aber sei es | |
| eine Falle für Frauen. Inwiefern? | |
| Vom Homeoffice gehen keine Impulse zur Veränderung aus. Und es wird nicht | |
| zu einer bleibenden Reorganisation der unbezahlten Arbeit beitragen. | |
| Diejenigen, die im Arbeitsmarkt momentan in besseren Positionen sind, | |
| können sich das Homeoffice zwar leisten, weil sie vorher am Arbeitsplatz | |
| präsent und damit sichtbar waren und so in gute Positionen kamen. Aber den | |
| anderen, vor allem Frauen, fehlt durch das Homeoffice momentan diese | |
| wichtige Sichtbarkeit, um in Leitungspositionen zu kommen. | |
| Wie ist das in der Elternzeit? | |
| Männer sollten von den bisherigen 2 Elternmonaten auf 4 hochgehen und | |
| Frauen von 12 auf 8 Monate runter. Männer hätten dann über eine gewisse | |
| Zeit die alleinige organisatorische und mentale Verantwortung für die | |
| Kinder. Das hätte längerfristige Auswirkungen auf die | |
| Verantwortungsübernahme. | |
| Dann würden sich doch wieder Frauen Männern anpassen, ihre Elternzeit | |
| verkürzen und dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung stehen. | |
| Ich mache keinen Vorschlag, wie lange die Elternzeit sein soll. Ich sage | |
| nur, dass sie gleich zwischen Müttern und Vätern verteilt sein soll. | |
| Solange nur die Frauen die lange Auszeit nehmen, wird sich wenig daran | |
| ändern, dass Frauen in Führungspositionen weniger vertreten sind. | |
| Arbeitgeber werden immer die Personen bevorzugen, die dem Arbeitsmarkt | |
| stärker zur Verfügung stehen. | |
| Die Devise Ihres Buchs ist: Wir schaffen es nur gemeinsam. Wer ist „wir“? | |
| Zum einen Paare selbst. Ich kann mir eine gleichere Verteilung – ich rede | |
| in diesem Buch tatsächlich vor allem über heterosexuelle Paare – nur | |
| dadurch vorstellen, dass die Paare, die vor der Geburt von Kindern sagen, | |
| dass sie eine partnerschaftliche Beziehung führen möchten, auch gemeinsam | |
| daran arbeiten, dieses Ziel auch umzusetzen. Ich kann mir da keinen Kampf | |
| der Mütter gegen die Väter oder so was vorstellen. | |
| Und zum anderen? | |
| Zum anderen muss die Politik Optionsräume öffnen und die staatlichen | |
| Anreize, Frauenarbeit gering zu halten, massiv zurückfahren: | |
| Ehegattensplitting abschaffen, Quote und Elternzeit erhöhen. Dann können | |
| Frauen und Männer immer noch sagen, sie möchten ein anderes Modell leben, | |
| das ist in Ordnung. Aber ich kämpfe für Optionen. | |
| Setzen Sie da nicht voraus, dass es ein gemeinsames Ziel der Politik ist, | |
| Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen? Viele wollen genau das verhindern, | |
| das Ehegattensplitting etwa ist überhaupt kein Thema. | |
| Genau daran müssen wir arbeiten. Ich bin nicht nur gegen das | |
| Ehegattensplitting, sondern will eine konkrete Alternative erarbeiten und | |
| zu einem Familiensplitting, das gerechter ist, kommen. Da braucht es jetzt | |
| Druck. | |
| Wie sähe so ein Familiensplitting aus? | |
| Die steuerlichen Erleichterungen werden nicht nur dann angewendet, wenn | |
| eine der zwei Personen wenig und die andere Person viel verdient. Sondern | |
| die Anzahl der Personen im Haushalt muss berücksichtigt werden. Dann muss | |
| aus dem Kindergeld, den Freistellungsbeträgen und dem Ehegattensplitting | |
| das neue Familiensplitting entwickelt werden. | |
| Sehen Sie in der nächsten Legislatur eine Chance dafür, das Splitting | |
| abzuschaffen? | |
| Ja. Ich sehe bei den Frauen der CDU ein maximales Verständnis, dass das | |
| Ehegattensplitting sehr hinderlich für innerfamiliäre Aushandlungsprozesse | |
| ist, bei SPD und Grünen ohnehin. | |
| Das Problem dürften die Unionsmänner sein. | |
| Die Männer haben auch die Quote für Frauen in Führungspositionen nicht für | |
| nötig erachtet, und jetzt gibt es sie trotzdem. Vergangenes Jahr bin ich | |
| dafür zum ersten Mal in meinem Leben tatsächlich aktivistisch aufgetreten. | |
| Ich habe gelernt, dass man Frauen aus unterschiedlichen Sektoren und | |
| Altersgruppen hinweg zusammenbringen muss, um wirklich etwas zu wuppen. | |
| Die Quote für Frauen in Führungspositionen heißt: Eine Frau im Vorstand, | |
| wenn dieser aus mindestens drei Personen besteht. Wem nützt das? | |
| Das nützt in der Tat Frauen, die schon weit gekommen sind. Am wichtigsten | |
| ist für mich aber, dass erfolgreiche Frauen eine Selbstverständlichkeit | |
| werden müssen. Wir brauchen viel mehr Vorbilder, damit junge Frauen sehen, | |
| dass auch Frauen in der Wirtschaft oder im öffentlichen Dienst | |
| Führungsverantwortung haben. | |
| Dass Frauen Vorbilder sein können, heißt nicht, dass sie für eine sozial | |
| gerechtere Frauenpolitik kämpfen. | |
| Das stimmt, deswegen habe ich das eben auch nicht gesagt. Frauen stellen | |
| nicht nur Frauen ein, und ich möchte auch keiner Frau vorschreiben, das zu | |
| tun. Aber zu sehen, dass es geht, ist in einer Gesellschaft wie der | |
| deutschen extrem wichtig. | |
| [4][Wäre es in der aktuellen Situation nicht wichtiger, für eine bessere | |
| Bezahlung und fairere Arbeitsbedingungen] in der Pflege zu kämpfen statt | |
| für Frauen in Führungspositionen? | |
| Ich möchte das nicht gegeneinander aufwiegen. Das war ein pragmatischer | |
| erster Ansatz, den wir gegangen sind – einfach deshalb, weil er im | |
| Koalitionsvertrag stand. Jetzt muss es gelingen, die Dinge, die Sie | |
| ansprechen, in die nächsten Koalitionsverträge einzubringen. Dazu gehört | |
| selbstverständlich die bessere Bezahlung systemrelevanter Berufe, die | |
| mehrheitlich Frauen stemmen. | |
| Sie schließen Ihr Buch mit den Worten „Wir werden siegen“. Wann ist das der | |
| Fall? | |
| Für mich ist das Ziel, dass Frauen frei wählen können, wie sie ihre | |
| Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit gestalten. Die ungleiche Verteilung der | |
| unbezahlten Arbeit ist eine Hauptantriebskraft für unterschiedliche | |
| Lebensgehälter und Renten. Um das zu ändern, müssen Fehlanreize wegfallen: | |
| die kostenlose Mitversicherung der geringfügig Beschäftigten, das | |
| Ehegattensplitting, die Normierung dessen, was eine gute Mutter ist. Dann | |
| wäre dieses Ziel erreicht. | |
| 14 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
| Carolina Schwarz | |
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