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# taz.de -- Frauenpolitik im Wahlkampf: Die Unsichtbaren
> Einerseits zu nischig, andererseits zu kontrovers: Im Wahlkampf spielt
> Frauenpolitik keine Rolle. Und was tun SPD und Grüne dagegen? Nichts.
Bild: Auch sie erweckt nicht den Eindruck, als brenne sie für feministische Th…
Berlin taz | Wie beginnt man einen Text, der von etwas handelt, das es
nicht gibt? Der nichts beschreiben kann, weil nichts passiert ist, und
keine Aussage kritisieren, weil niemand etwas gesagt hat? Vielleicht damit,
die Konsequenz dieser Leerstellen zu benennen: Der Wahlkampf in Deutschland
2021 macht [1][42 Millionen Mädchen und Frauen], die hierzulande leben,
unsichtbar.
Dass Frauenpolitik im Tagesgeschäft selten eine Rolle spielt, sind
Wählerinnen gewohnt. Im Wahlkampf aber, aus der Pandemie heraus
gestartet, [2][in der Frauen die Hauptlast schultern] – Homeschooling,
Pflege, Kasse, alleinerziehend, gewaltbetroffen, Job gekündigt – war die
Hoffnung da, diesmal könnte es anders sein.
Gerade, weil es eine weibliche Kanzlerkandidatin gibt, die sich selbst
Feministin nennt. Und trotzdem werden Lohnlücke, Sorgearbeit, reproduktive
Rechte, Quoten und Gewalt so totgeschwiegen, als ob es sie nicht gäbe.
Das liegt zum einen an einer ungünstigen Konstellation. Frau zu sein ist im
Wahlkampf ein massives Hindernis, eher jung zu sein noch dazu. Sich Macht
nehmen zu wollen, wie Annalena Baerbock es gerade versucht, wird
abgestraft. Zwar führt sie die Trielle an, was Faktensicherheit betrifft.
Als kompetent jedoch nehmen die befragten Zuschauer:innen sie nicht
wahr. Obwohl sie die kürzeste Redezeit hatte, wurde sie zuletzt sogar
ermahnt, sich kürzer zu fassen. Es fällt auf, wenn Frauen was zu sagen
haben – unangenehm.
## Nur die Union spricht übers Gendern
Würde Baerbock nun noch Frauenthemen pushen, sich gar offensiv als
Feministin geben, könnte sie vollends einpacken. Das ist die Hypothek als
weibliche Wahlkämpferin: Das Geschlecht ist eine so große Bürde, dass nicht
auch noch darauf aufmerksam gemacht werden darf. Und Laschet und Scholz
haben an Frauenpolitik so wenig Interesse wie ihre Parteien.
Pflege ist Thema im Wahlkampf, das ja, ein bisschen – und Pflegekräfte sind
in der Mehrheit Frauen. Auch Mütter gehen nicht vollends unter, und nun ja,
auch Mütter sind in der Mehrheit Frauen. Um andere kümmern also dürfen sich
Frauen, ob bezahlt oder unbezahlt. Wer sich kümmert, ist ungefährlich, und
wer sich nicht kümmert, so als Frau, mit der stimmt was nicht. Weshalb über
Frauen, die weder Pflegerin noch Mutter sind, auch besser nicht gesprochen
wird.
Und wenn, dann interessanterweise vonseiten der Union, die mit dem
ständigen Geifern übers Gendern versucht, Wähler:innen zu fischen und
durch die Abschaffung des Ehegattensplittings das kommunistische
Schreckgespenst nahen sieht – eines Instruments also, das strukturelle
Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wie kaum ein anderes fördert und
zementiert. „Belastungs- und Steuerorgien“ planten SPD und Grüne mit der
Abschaffung, versuchen die Konservativen gerade die immergleiche Leier. Und
was machen SPD und Grüne?
Nichts. Anstatt die Abschaffung des Splittings nach gefühlten Jahrhunderten
endlich als Wahlkampfthema zu pushen und auf Mehrheiten zu setzen, die ja
da wären, lassen sie selbst dieses Thema verschämt unter den Tisch fallen.
Nicht aus der Deckung kommen, bloß nicht Farbe bekennen, keine
konservativen Wähler:innen verprellen. So wenig sagen wie Scholz, und
über Frauen am besten gar nichts.
## Nur mit spitzen Fingern
Einerseits zu nischig, andererseits zu kontrovers: Das ist Frauenpolitik im
21. Jahrhundert. Themen wie die Abschaffung des Paragrafen 218 im
Wahlkampf? Undenkbar. Problematisieren, dass deutsche Männer gewalttätig
sind? Auf keinen Fall. Fordern, dass Väter mehr Sorgearbeit übernehmen? Da
würden Wähler:innen verprellt – und sicher nicht nur männliche.
Dass also die Parteien Geschlechterpolitik nur mit spitzen Fingern
anfassen, mag aus wahlkampftaktischer Sicht wenn auch frustrierend, dann
doch zumindest nachvollziehbar sein. Auch für Journalist:innen aber
scheint das Thema schlicht nicht zu existieren. Eine einzige Frage in drei
Triellen ist den Moderator:innen der Gewaltschutz wert – die einzige
Frage tatsächlich, die überhaupt konkret Frauen betrifft. Die einzige
Frage. In drei Triellen.
Wo also fühlen sich Frauen am unsichersten? Laschet überlegt wie ein
Schüler, der die Antwort nicht kennt. „Wahrscheinlich in Unterführungen,
Tunneln und Parks“, rätselt er dann. Die Antwort spricht Bände. Denn sie
entspricht nicht der Realität. Der gefährlichste Ort für Frauen, stellt
Baerbock richtig, ist ihr eigenes Zuhause. Dass dieser Umstand beim
CDU-Chef und Kanzlerkandidaten noch nicht einmal als Tatsache angekommen
ist, ist nichts weniger als dramatisch.
Die Berührungsängste, Themen wie dieses so groß zu machen, wie sie
tatsächlich sind, führen nicht nur dazu, dass die Realität der Hälfte der
im Land lebenden Menschen ignoriert wird. Sie verweisen auch auf den
Stellenwert der Frauenpolitik in der nächsten Legislatur. Und sofern die
Konservativen in führender Rolle beteiligt sein werden, wird Frauenpolitik
bleiben, was sie ist: Verhandlungsmasse.
22 Sep 2021
## LINKS
[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/161868/umfrage/entwicklung-d…
[2] /Corona-ist-weiblich/!5670768
## AUTOREN
Patricia Hecht
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