# taz.de -- Pflegebedürftiger über Corona-Schutz: „Mein Fall kommt nicht vo… | |
> Constantin Grosch gehört wegen einer Muskeldystrophie zur | |
> Corona-Risikogruppe. Junge Pflegebedürftige würden beim Schutz vergessen, | |
> sagt er. | |
Bild: Lebt seit März letzten Jahres in dauerhafter Isolation: Constantin Grosch | |
taz: Herr Grosch, warum fühlen Sie sich beim Schutz vor dem Coronavirus | |
vergessen? | |
Constantin Grosch: Das hat viele Dimensionen. Es geht los beim passiven | |
Schutz, den die Behörden bereitstellen. Denken Sie an die Schutzausrüstung | |
für Pflegepersonal. In Pflegeeinrichtungen wird dieser Schutz | |
bereitgestellt, aber im ambulanten Bereich gibt es diese Ansprüche nicht. | |
Zumindest dann nicht, wenn man sich die Pflege selbst beschafft. | |
Das heißt, das Sie pflegende Personal hat keine ausreichende | |
Schutzausrüstung? | |
Richtig, ich organisiere mein Pflegepersonal selbst, aber im Unterschied zu | |
Pflegediensten oder Pflegeeinrichtungen gibt es keine Unterstützung der | |
Behörden für die Schutzausrüstung meiner Pfleger:innen. Und das betrifft | |
sehr viele, etwa auch diejenigen, die von Angehörigen gepflegt oder | |
mitbetreut werden. Auch hier gibt es kaum Schutz für deren Pfleger:innen. | |
Ganz besonders problematisch ist, dass es auch keine Antigentests gibt. | |
Warum ist das so? | |
Das ist einerseits eine Frage der Finanzierung: Die Krankenkassen zahlen | |
die Antigentests nicht, weil ich nicht von einem ambulanten Pflegedienst | |
gepflegt werde und mein Fall nicht in den Verordnungen vorkommt. Der andere | |
Grund ist, dass dieser Test bislang nur von medizinischem Personal | |
durchgeführt werden darf. Das heißt, ich komme auch nicht an diese Tests, | |
wenn ich nicht nachweisen kann, dass ich medizinisch geschult bin. Und | |
zuletzt liegt es sicherlich auch daran, dass wir derzeit in den | |
öffentlichen Debatten um den Schutz der Pflegebedürftigen vor allem an | |
Ältere in Pflegeheimen denken. | |
Da fühlen Sie sich ignoriert? | |
Es ist gewissermaßen verständlich, weil es auch die größere Zahl an | |
Menschen ist. Zugleich ist es problematisch, weil jüngere Pflegebedürftige | |
bei diesen Fragen des Infektionsschutzes herausfallen. Das gilt nun auch | |
für den aktiven Schutz. | |
Sie meinen die langsam angelaufenen Impfungen. | |
Da haben wir exakt dasselbe Problem – bei Pflegebedürftigen wie bei den | |
Pfleger:innen. In den Pflegeeinrichtungen werden die Pflegekräfte prioritär | |
geimpft. Die Pfleger:innen aber, die Menschen zu Hause pflegen, werden | |
nicht prioritär geimpft. Das gilt übrigens auch für die stationäre | |
Behindertenhilfe, in der nun geimpft wird, wohingegen es bei der | |
ambulanten, selbst beschafften Hilfe nicht der Fall ist. | |
Fällt noch jemand raus? | |
Aus den ersten beiden Prioritätsgruppen fallen noch diejenigen | |
grundsätzlich heraus, die sich ambulant selbst versorgen, egal wie sehr sie | |
medizinisch zur Risikogruppe zählen. Auch in der dritten Gruppe fehlen | |
viele wichtige Diagnosen. Das ist zwar verständlich, weil es sehr viele | |
Diagnosen gibt, aber das Problem ist: Die Impfverordnung des Bundes sieht | |
keine Öffnung der Liste vor, sodass ich befürchten muss, auch nicht in | |
dieser Gruppe zu landen. Die lokalen Behörden haben keine Möglichkeit, | |
diese Liste zu erweitern. | |
Heißt das, Sie haben als Pflegebedürftiger noch keine Ahnung, wann Sie mit | |
der Impfung an der Reihe sind? | |
Wenn ich das wüsste, wäre ich schon viel beruhigter. Ich bin mir nicht | |
sicher, ob ich es überhaupt in die dritte Impfgruppe schaffe. Dabei kann | |
ich verstehen, dass die Verteilung wegen der geringen Menge an derzeit | |
vorhandenen Impfdosen eine große Herausforderung ist. Mir geht es auch | |
nicht darum zu sagen, dass ich wichtiger als andere bin und früher geimpft | |
werden sollte. Aber ich wäre viel beruhigter, wenn ich mein Pflegepersonal | |
mit Schutzausrüstung ausstatten könnte oder es sich regelmäßig testen | |
lassen könnte. | |
Wie haben Sie die Entscheidungsfindung bei der Priorisierung der Gruppen | |
wahrgenommen? | |
Menschen wie ich leben seit März letzten Jahres in dauerhafter | |
Selbstisolation. Im Spätsommer, als die ersten Debatten um die Impfungen | |
begonnen hatten, war ich frohen Mutes, dass ich als jemand, der zur | |
Risikogruppe gehört, relativ zeitig mit dem Impfen dran sein werde. Als ich | |
hörte, in welcher Gruppe Menschen wie ich gelandet sind und was das | |
zeitlich bedeutet, war ich erschrocken. Ich halte mich für eine psychisch | |
stabile Person, aber das geht an die Substanz. Gerade Menschen mit | |
Behinderung haben nicht unbedingt das soziale Netz, wie es andere haben. | |
Und da ist eine komplette Isolation eine große Herausforderung. | |
Wie sieht Ihr Alltag derzeit denn konkret aus? | |
Er ist geprägt von einer Minimierung auf das absolut Notwendigste. Ich gehe | |
eigentlich nur noch zwei Mal pro Woche aus dem Haus zur Physiotherapie. Und | |
selbst das mit einem schlechten Gefühl. Die Frage, ob ich in dieser Lage | |
dort hingehen sollte oder nicht, wird in meinem Fall zu einer | |
existenziellen Entscheidung. | |
Wie meinen Sie das? | |
Ich habe eine neuromuskuläre Erkrankung. Das bedeutet, dass die gesamte | |
Muskulatur geschwächt ist und sich weiter abbaut. Würde ich also nicht zur | |
Physiotherapie gehen, schwächt das meinen Körper unwiederbringlich. | |
Gleichzeitig ist durch diese Erkrankung die Wahrscheinlichkeit höher, dass | |
ich mich mit dem Virus anstecken kann. | |
14 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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