| # taz.de -- Verhältnis zu den USA nach den Wahlen: Keine Liebe, aber größer … | |
| > Die USA sind ein nahes, fernes Land – als Supermacht und als | |
| > Projektionsfläche. Dazu sechs Anmerkungen aus der Kulturredaktion der | |
| > taz. | |
| Bild: Um sie herum sieht es dramatisch aus: New Yorker Freiheitsstatue | |
| ## Die amerikanische Krise fängt erst an | |
| Amerika, also die Vereinigten Staaten zu lieben, das gelingt im Moment wohl | |
| am wenigsten den Amerikanern selbst, und zwar den Trump- wie den | |
| Biden-Anhängern. Sie sehen sich von der jeweils anderen Fraktion ihres | |
| Landes und seiner Tugenden beraubt. | |
| In Anti-Amerikanismus brauchen sie keine Nachhilfe. Sie brauchen Trost. | |
| Meine Freunde und Freundinnen. Die persönlich sämtlich Trump abgewählt | |
| haben. Und die meinten, jetzt nach all den schrecklichen Erfahrungen mit | |
| den bankrotten Immobilien-Mogul, müssten das doch die große Mehrheit ihrer | |
| Landsleute ebenfalls getan haben. Aber das war ersichtlich nicht der Fall. | |
| Sie weinen buchstäblich, meine Freunde, über das Wahlergebnis, vor Scham | |
| und vor Wut. Sie brauchen Unterstützung, Rückhalt. Besserwisserei ist | |
| unangebracht. Und tatsächlich sind sie und ich in unserer Ratlosigkeit | |
| vereint. Welchen Reim soll wir uns auch auf eine Latina in Florida machen, | |
| die sagt, sie habe Trump gewählt, weil er der ehrlichste Mensch sei, den | |
| sie kenne? | |
| Wo eine solche Aussage möglich ist, muss ein Wahlkampf scheitern, dessen | |
| oberste, wenn nicht einzige Priorität es jenseits des Trump-Lagers war, den | |
| Idioten im Weißen Haus los zu werden. Auch wenn am Ende Joe Biden das | |
| Rennen gemacht hat. Die amerikanische Krise, sie ist nicht zu Ende, sie hat | |
| wahrlich gerade erst so richtig angefangen. Es braucht Solidarität mit den | |
| USA. Brigitte Werneburg | |
| ## Am Ende der White Supremacy | |
| Die Jahre mit Trump waren ermüdend, frustrierend, oftmals irrational, aber | |
| in der medialen Dauererregungsschleife zugleich bizarr unterhaltsam; „die | |
| USA zerschmelzen in der Apokalypse“, so empfand es der kalifornische | |
| Singer-Songwriter [1][Devendra Banhart] gegenüber der taz 2019. | |
| Weniger filmisch formulierte diesen Sommer der US-Verfassungsrechtler | |
| [2][Ken Katkin] in der taz: „Soziale Ungleichheit und diskriminierende | |
| Praktiken haben die Bewältigung des Alltags für viele BürgerInnen schlicht | |
| unerträglich werden lassen.“ In der Hauptstadt Washington regierte | |
| SUPERLATIVE IN GROSSBUCHSTABEN Make America Great Again. Nur steht die Gier | |
| der imaginierten MAGA entgegen. | |
| Was bleibt von Trump und der republikanischen Partei, ist nackte Angst. | |
| Angst ist das Prinzip, das nicht versagt, wenn alle anderen Prinzipien | |
| versagen, hat Niklas Luhmann postuliert: „Lock her Up“, „Build A Wall“, | |
| „Stop the Count“, die Parolen von Trump verfangen am Ende seiner Amtszeit | |
| nicht mehr, weil darin kein Platz mehr bleibt für Optimismus. Optimismus | |
| ist der Dynamo der US-Gesellschaft, so gespalten sie auch sein mag. | |
| Der Detroiter [3][Technoproduzent Waajeed] hat der taz 2018 gesagt, trotz | |
| einer düsteren Gegenwart sähe er der Zukunft mit viel Optimismus entgegen. | |
| „Momentan erleben wir das Ende von White Supremacy. Eine Weltsicht, die | |
| über 400 Jahre Bestand hatte, läuft allmählich aus und jetzt faucht und | |
| zuckt das Monster noch ein letztes Mal, bevor es verendet.“ | |
| Um 2.30 Uhr Donnerstagnacht twitterte Trump: „Es kursieren viele | |
| Geschichten über die Auszählung der Stimmen nach der Wahl, | |
| Horrorgeschichten.“ Die Fake-News-Gespenster, die er gerufen hat, jetzt | |
| suchen sie ihn heim. Julian Weber | |
| ## Wie tapfer man sein muss, um frei zu sein | |
| Max Frisch und Uwe Johnson, Wim Wenders und Peter Handke, Kathrin Röggla | |
| und Rainald Goetz, sie alle haben sich ihre Dosis USA-Ambivalenz abgeholt. | |
| So überwältigend wie die Erfahrungen von Größe, Weite und popkultureller | |
| Lebendigkeit war immer auch die von Fremdheit. Auch für die | |
| US-Amerikaner*innen selbst. | |
| Bildmächtig eingefangen hat das 1980 Michael Cimino in seinem Epos | |
| „Heaven’s Gate“, Schlussstein des New Cinema und feiernder Abgesang auf d… | |
| land of the free zugleich. Der gradlinigen Bewegung immer weiter nach | |
| Westen, ins gelobte Land (das sich dann, siehe Film Noir, Charles Manson | |
| oder „The Watchmen“, als Albtraum erweist), setzt Cimino Kreisbewegungen | |
| entgegen. | |
| Dreimal lässt er Dutzende Figuren so vehement Kreise beschreiben, dass | |
| einem beim Zusehen ganz schwindelig wird. Am Anfang beim traditionellen | |
| Abschlussritual der noch idealistischen Elite-Bürgersöhne in Harvard. In | |
| der Mitte des Films bei einem Rollschuhtanz der Einwanderer aus Osteuropa | |
| und Russland in einer lichtdurchfluteten Scheune. Und dann am Schluss, beim | |
| blutigen Kampf dieser Einwanderer gegen die gedungenen Söldner der | |
| US-amerikanischen Viehbarone, die zuerst da waren, längst eine Art | |
| Oligarchie etabliert haben und nicht gewillt sind, von ihrem Kuchen auch | |
| nur einen Krümel abzugeben. | |
| Ein Kreisen, dem man sich nicht entziehen kann, das aus den Vielen ein | |
| Eines macht – und das mal als Verlebendigung eines Rituals, mal als ein | |
| Tanz und mal als ein blutiger Kampf erscheint. Die USA geben einem immer | |
| auch eindringliche Bilder davon, wie tapfer man sein muss, um frei zu sein. | |
| Dirk Knipphals | |
| ## Absolument moderne | |
| Das schönste Buch, das über die USA geschrieben wurde, ist Jean | |
| Baudrillards „Amerika“. | |
| Baudrillard bewundert und verachtet dieses Land gleichermaßen. Wo er | |
| zugeneigt sich zeigt, lauert die Ablehnung, wo der Argwohn sich seiner zu | |
| bemächtigen droht, findet er plötzlich die zärtlichsten Töne. Das ist kein | |
| Spiel, sondern Dokumentation einer Annäherung, die davon auszugehen | |
| scheint, dass es Erkenntnis stets nur vorläufig gibt. | |
| Er behauptet und irrt, er mutmaßt und analysiert und setzt sich diesem Land | |
| wie einem Therapeuten aus, um seinen Herkunftskontinent Europa klarer zu | |
| sehen. | |
| Flüchtige Gesten in unmerklichen Räumen, Oberflächen oder bloß eine | |
| beobachtete Bewegung am Strand genügen ihm, um eine ganze Zivilisationsform | |
| ans Licht zu zerren. L'Amérique est absolument moderne und noch immer | |
| geschichtslos. | |
| Unendliche Ketten von Träumen, die alle gleichermaßen Freiheit meinen. Und | |
| trotzdem ist alles immer nur das, was es sowieso ist. Amerika als | |
| verwirklichte Utopie. Amerika als Hologramm. Baudrillard zieht alles in | |
| Erwägung. Amerika, so Baudrillard, entspringt dem Obszönen, und dennoch: | |
| „Selbst wenn jedes Detail Amerikas unbedeutend wäre, bleibt Amerika doch | |
| etwas, das uns alle übertrifft.“ Warum? Weil es nicht nur ein Land, sondern | |
| ein Modell ist. | |
| Das macht die Reibungsfläche so groß – und die deutsche Häme, | |
| Besserwisserei und Überlegenheitsfantasie angesichts des amerikanischen | |
| Dramas so unerträglich kleinbürgerlich. Tania Martini | |
| ## If I was a Rich Girl | |
| Die Deutschen lieben die Coolness des schwarzen Amerika und den jüdischen | |
| Witz von Hollywood und Punk. Sie würden sich gern so bewegen und so | |
| sprechen wie die Amerikaner. Wenn nur der oberflächliche Konsumismus nicht | |
| wäre! Die Emotionen, die Amerika in den Deutschen hervorruft, sind | |
| zwiespältig. | |
| Wie immer bei starken Gefühlen darf man davon ausgehen, dass Projektionen | |
| im Spiel sind. Wer sich ein Bild machen will, wie Deutschland tickt, muss | |
| nur beobachten, wie es auf die USA reagiert. Es zeigt sich eine | |
| ungebrochene Autoritätsgläubigkeit. Donald Trump braucht sich bloß | |
| hinzustellen und sagen, er habe gewonnen, schon hört man von deutschen | |
| Journalisten, Trump habe gewonnen. Dass die konservativen Fox News dessen | |
| Zorn erregt hatten, weil sie Joe Biden in Arizona vorne sahen, interessiert | |
| nicht. | |
| Dann folgte die Verwunderung darüber, dass eine signifikante Minderheit der | |
| Minderheiten für Trump votiert hatte. „Huch, wie kann das sein?“ Daran kann | |
| man sehen, was passiert, wenn Identitätspolitik zur alleinigen politischen | |
| Perspektive wird. Dass auch Angehörige von Minderheiten konservativ denken, | |
| gar rassistische Stereotype pflegen können, ist in der Identity-Matrix | |
| nicht vorgesehen. | |
| Noch desaströser für das analytische Denken wirkt sich aus, dass die | |
| Identitätsbrille ökonomische Motive ausblendet. Wer schwarz ist, | |
| chinesische Eltern hat oder aus Venezuela eingewandert ist und zur Upper | |
| Middle Class zählt, hat einen simplen Grund, Trump zu wählen. Niedrigere | |
| Steuern. Money schlägt Hautfarbe und Herkunft. Das ist das Versprechen von | |
| Amerika. Ulrich Gutmair | |
| ## Patriotismus und Verfahren | |
| Nach dem Abitur bin ich durch die USA gereist. Eine Station war der | |
| Gettysburg National Military Park inklusive Führung. In Erinnerung | |
| geblieben sind zahllose martialisch anmutende Statuen von Soldaten. Und | |
| dass der freundliche junge Mann, der uns über das Gelände der | |
| Bürgerkriegsgedenkstätte begleitete, mich fragte, was ich darüber denke. | |
| Unvorsichtigerweise sagte ich ihm, dass ich als Deutscher mit so viel | |
| kämpferischem Patriotismus meine Schwierigkeiten habe. Worauf er | |
| entgegnete, die Sache sei wohl „zu hoch“ für mich. | |
| Ein paar Jahr später meinte ein US-amerikanischer Historiker zu mir: | |
| „Americans are the no. 1 ideological people in the world. They believe.“ | |
| Eine Einschätzung, die nicht bloß mit der psychopathischen „And strike, and | |
| strike“-Performance der evangelikalen Trump-Unterstützerin Paula White-Cain | |
| vor Augen eine höchst unheimliche Dimension bekommt. | |
| Solch ein unerschütterlicher Glaube dürfte auch die nach wie vor | |
| zahlreichen Anhänger des amtierenden Präsidenten der USA dazu bewogen | |
| haben, trotz dessen immer demokratiefeindlicheren Gebarens weiter in ihm | |
| einen Garanten für ihre individuelle Freiheit zu sehen. Das Recht auf | |
| Waffenbesitz etwa. | |
| Die Trump-Wähler, die jetzt mit Gewehren auf die Straße gehen, um das | |
| „Stehlen“ der Stimmen zu stoppen, meinen es daher im Zweifel ernst. In | |
| Philadelphia musste die Polizei einschreiten, um einen Angriff auf das | |
| Wahlzentrum zu verhindern. Zum Glück sind da ja noch die Amerikaner, die an | |
| demokratische Verfahren glauben. Und sie sind, wie es aussieht, in der | |
| Mehrheit.Tim Caspar Boehme | |
| 8 Nov 2020 | |
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| Ulrich Gutmair | |
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