Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Essays über die USA: Die Abgründe Amerikas
> Der New Yorker Essayist Eliot Weinberger hat mit stoischer Sachlichkeit
> den Irrwitz der republikanischen Politikerkaste dokumentiert.
Bild: Eine Flagge, geteiltes Land
Der [1][New Yorker Eliot Weinberger] ist im Hauptberuf Übersetzer aus dem
Chinesischen und Spanischen, vor allem aber ein universell interessierter
Essayist. Anders als beim konventionellen Essay mit meinungsstarker
Ich-Persona lässt er sein Ego weitgehend aus dem Spiel und lässt
stattdessen das Material sprechen. Er schreibt über den Nacktmull, über die
kulturhistorisch diversen Bedeutungen des Wortes „blau“, über den
Zombiemythos als zentralen Bestandteil der Weltreligionen oder über die
Menschen, die Chang heißen.
„Serielle Essays“ nennt er diese grundgelehrten Collagen, die aus der
Kombination und dem artifiziellen Arrangement entlegener Lektürefrüchte und
Wissensfunde poetische Funken schlagen. Sein politischer wie ästhetischer
Kosmopolitismus ist sicher die Ursache dafür, dass er außerhalb der USA
mindestens genauso viele Leser findet, nicht wenige davon in Deutschland.
Als intellektueller Weltbürger wählt er naturgemäß die Demokraten.
Entsprechend glaubt er in der Amtszeit Clintons und Obamas getrost seinen
literarischen Studien nachgehen zu dürfen. Wenn er sich da mal nicht
getäuscht hat! Republikanische Präsidenten hingegen treiben ihn regelmäßig
in die Niederungen der Tagespolitik. Das zeigen seine politischen
Schriften, die jetzt erstmals in einer schönen Auswahl auf Deutsch
vorliegen. Auch hier macht er seine Collagemethode fruchtbar, und sie
erweist sich auf diesem Feld als genauso effizient.
Weinbergers Texte sind im Kern Polemiken, die allerdings ganz ohne
stilistische Outriertheiten auskommen, sondern sich deshalb so vernichtend
lesen, weil er mit stoischer Sachlichkeit den ideologischen Irrwitz der
republikanischen Politikerkaste, ihre dubiosen Machenschaften und nicht
zuletzt ihr groteskes Gerede auf den Tisch bringt. Weinberger muss das kaum
kommentieren, in der Regel entlarvt sich ihre Verlogenheit, machtpolitische
Skrupellosigkeit und Inhumanität von ganz allein.
## Scharfsinnige Abrechnung
Wie in seinem berühmten [2][Prosagedicht „Was ich hörte vom Irak“], dieser
bitteren, scharfsinnigen Abrechnung mit George W. Bush und seinem Krieg
gegen den Irak. „Ich hörte, Fotografien von den fahnengeschmückten Särgen,
die zurückkehrten, seien verboten. Ich hörte, das Pentagon habe,body bags'
[Leichensäcke] in,transfer tubes' [Überführungsröhren] umbenannt […]Ich
hörte die Mutter des Präsidenten sagen:,Warum sollen wir von Leichensäcken
und Todesopfern hören? Warum soll ich meinen schönen Verstand an so etwas
verschwenden?' “
Weinberger wird Karl Kraus nicht gelesen haben, aber wie Kraus vor 1914 in
der [3][„Fackel“] die deutsch-österreichischen Kriegstreiber bloßstellt,
indem er ihren hurrapatriotischen, sich am eigenen Pathos berauschenden
Phrasendrusch kompiliert, so spießt Weinberger ein Jahrhundert später auf
der anderen Seite des Atlantiks die Verlautbarungen des republikanischen
Lagers auf. Vor allem in seinen neueren Texten zur Administration Trump
hangelt er sich an dem täglichen Irrsinn entlang, den der Präsident bei
seinen öffentlichen Auftritten oder Nacht für Nacht via Twitter raushaute.
So entsteht eine Chronique scandaleuse, die das Desaster in allen Details
mitschreibt, in der Außen-, Asyl-, Bildungs- und Sozialpolitik, beim
Umweltschutz und zuletzt eben auch im Umgang mit der Coronakrise.
„Derjenige aus dem riesigen Beamtenapparat des Gesundheitsministeriums, der
die Pandemiebekämpfung in dessen zahlreichen Behörden überwacht, war
zuletzt als Züchter australischer Labradoodles tätig.“
Je näher Weinberger der Gegenwart kommt, umso schwerer zu ertragen ist
diese Akkumulation der Idiotie. Das liegt nicht zuletzt daran, dass
angesichts ihres Ausmaßes selbst dieser gewiefte Collageur irgendwann das
Maß verliert. Es wird einem nicht nur angst und bange, es ist schlicht
frustrierend, weil man bei aller stilistischen Brillanz und intellektuellen
Überlegenheit eine Ahnung von der absoluten Wirkungslosigkeit solcher
Literatur bekommt. Das war schon bei Karl Kraus so.
Weinberger weiß das auch. Er schreibt für seine New Yorker Eggheads und die
Zeit danach. Wer später mal wissen will, wie hilflos sich die
US-Intelligenzija in der Ära des bösen Clowns gefühlt hat, muss dieses Buch
lesen.
24 Jan 2021
## LINKS
[1] /Eliot-Weinbergers-neuer-Essayband/!5105560
[2] http://www.worldwide-reading.com/archiv/20.-maerz-2006-weltweite-lesung-von…
[3] https://fackel.oeaw.ac.at/
## AUTOREN
Frank Schäfer
## TAGS
USA
Republikaner
Donald Trump
New York
US-Wahl 2024
Schwerpunkt USA unter Donald Trump
USA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Amtsenthebungsverfahren gegen Trump: Beginn in zweiter Februarwoche
Im US-Senat startet das Impeachment doch früher als von den Republikanern
gewünscht. Mit Ex-General Austin ist nun der erste Schwarze Pentagon-Chef
vereidigt worden.
Sachbuch zu Spaltung in den USA: It’s the Gemeinwohl, stupid!
Der US-Philosoph Michael Sandel skizziert, warum der Rechtspopulismus in
den USA so erfolgreich werden konnte – und zeigt, wie es anders gehen
könnte.
Verhältnis zu den USA nach den Wahlen: Keine Liebe, aber größer als du
Die USA sind ein nahes, fernes Land – als Supermacht und als
Projektionsfläche. Dazu sechs Anmerkungen aus der Kulturredaktion der taz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.