# taz.de -- Obdachlose besetzen Haus in Berlin: Das Gegenteil von Menschlichkeit | |
> Die Aktion und die schnelle Räumung des von Obdachlosen besetzten Hauses | |
> steht stellvertretend für vieles, was in Berlin schiefläuft. | |
Bild: Die Besetzung war nur von kurzer Dauer: Am Abend räumte die Polizei | |
Am Donnerstagnachmittag besetzte eine Gruppe obdach- und wohnungsloser | |
Menschen ein seit Jahren größtenteils leerstehendes Haus in der | |
Habersaathstraße in Berlin-Mitte. Trotz stundenlanger Verhandlungen mit dem | |
Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) wurde das Haus am Abend | |
[1][von der Polizei geräumt] und die Besetzer*innen wurden zurück auf die | |
Straße geschickt. | |
Die Aktion steht stellvertretend für vieles, was falsch läuft in Berlin. Da | |
ist zunächst das Haus, welches 2006 im Zuge des neoliberalen Ausverkaufs | |
der Stadt von dem damaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin für nur 2 | |
Millionen Euro verkauft worden ist. Ohne viel investiert zu haben, | |
verkaufte der Besitzer das Haus 2017 für den zehnfachen Preis weiter. | |
Da sich mit Neubau viel mehr Geld machen lässt, hätte der neue Investor den | |
schmucklosen DDR-Plattenbau am liebsten abreißen lassen, wären da nicht | |
noch ein paar lästige Mieter, die einfach nicht ausziehen wollen. Seitdem | |
lässt der Besitzer das Haus verwahrlosen und schikaniert die verbliebenen | |
Bewohner*innen. | |
Dann die Besetzer*innen, die mit der Aktion nicht nur ein Zeichen setzen, | |
sondern tatsächlich hofften, für den Winter eine würdevolle Bleibe finden | |
zu können. Die zweite Welle und der neue Lockdown wird die Obdachlosen | |
dieser Stadt am härtesten treffen. Im Gegensatz zur ersten Welle wird die | |
Situation durch den herannahenden Winter noch verschlimmert. | |
Sozialarbeiter*innen warnen schon lange, dass das Konzept der Kältehilfe in | |
der Pandemie nicht funktioniert: Die Menschen brauchen einen Ort, an dem | |
sie sich auch tagsüber aufhalten können, ohne Gefahr zu laufen, sich | |
anzustecken. | |
Gleichzeitig stehen Hunderte Gebäude leer in Berlin. Das Gebot der Stunde | |
wäre also, schnell und unbürokratisch den Menschen eine Bleibe zu | |
verschaffen – zumindest für den Zeitraum der Pandemie. | |
Dazu bräuchte es eine mutige Politik, für die Menschlichkeit höher wiegt | |
als die bedingungslose Verteidigung des Eigentumsrechts. Leider wurde hier | |
mal wieder bewiesen, dass in Berlin das Gegenteil der Fall ist. Rechtlich | |
gibt es sogar die Möglichkeit, Wohnraum für die Unterbringung von | |
Obdachlosen zu beschlagnahmen. Die Besetzer*innen erreichten eine Zusage | |
des Bezirks, diese Möglichkeit zu prüfen. Doch von Dassel kündigte bereits | |
auf Twitter an, dass der Prozess „zäh“ sei und nur Menschen Anspruch | |
hätten, die sich beim Sozialamt in Mitte obdachlos gemeldet hätten. | |
Auch die brutale Räumung am Abend war unnötig. Entgegen der Absprache mit | |
dem Bezirksbürgermeister setzte die Polizei die „Berliner Linie“ durch, | |
nach der Besetzungen nach spätestens 24 Stunden geräumt werden müssen. Für | |
Innensenator Geisel (SPD) wäre es ein Leichtes gewesen, die aus den | |
achtziger Jahren stammende Direktive auszusetzen und den Besetzer*innen ein | |
paar Nächte im Warmen zu ermöglichen, bis die rechtlichen Verhältnisse | |
geklärt sind. | |
Was bleibt ist die Enttäuschung über einen Politikbetrieb Berlins, der es | |
entgegen seinen Lippenbekenntnissen nicht schafft, das „Recht auf Stadt“ | |
der Bewohner*innen durchzusetzen. | |
Jonas Wahmkow | |
30 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Hausbesetzung-in-Berlin/!5724839 | |
## AUTOREN | |
Jonas Wahmkow | |
## TAGS | |
Obdachlosigkeit | |
Hausbesetzung | |
Räumung | |
Obdachlose | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
[tazze]IG | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Wohnungslose | |
Wohnungslose | |
Stephan von Dassel | |
Hausbesetzung | |
Polizei Berlin | |
Die Linke Berlin | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Elke Breitenbach | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prozess um Besetzung leerer Wohnungen: Verfahren eingestellt | |
Initiative wollte Leerstand von Wohnungen anprangern: Einer der Besetzer | |
der Habersaathstraße 46 wurde zu 360 Sozialstunden verdonnert. | |
Habersaathstraße in Berlin-Mitte: Aktion gegen Abriss | |
Wohnungslose kämpfen um ein Haus in der Habersaathstraße. Der Abriss | |
scheint unausweichlich, bis dahin könnten Pandemiewohnungen entstehen. | |
Kampf gegen Obdachlosigkeit in Hannover: Heimliche Hausbesetzung | |
In der niedersächsischen Landeshauptstadt haben Aktivist*innen gemeinsam | |
mit Betroffenen leer stehenden Wohnraum besetzt. Der Ort ist geheim. | |
Obdachlosigkeit in Berlin: Tiersorge ist auch Selbstfürsorge | |
Jeanette Klemmt versorgt Tiere von wohnungslosen Menschen. Wer einen Termin | |
möchte, muss aber bereit sein, auch für sich selbst Hilfe anzunehmen. | |
Selbstvertretung wohnungsloser Menschen: Politisch sichtbar bleiben | |
Selbst ohne Wohnung, setzt sich Dirk Dymarski für Obdachlose ein. Er ist | |
aktiv in der Selbstvertretung wohnungsloser Menschen. | |
Kältehilfe in Pandemiezeiten: Corona lässt frösteln | |
Die Pandemie erschwert die Bedingungen in der Kältehilfe: Die Zahl der | |
Schlafplätze ist dabei weniger das Problem als fehlende Angebote tagsüber. | |
Protest nach Räumung: Zurück im ganz großen Wohnzimmer | |
Die geräumten, überwiegend obdachlosen Kurzzeitbesetzer eines Hauses in | |
Mitte fordern bei einem öffentlichen Mittagessen Unterbringung in | |
Coronazeiten. | |
Soli-Demo in Friedrichshain: Heiße Liebe für die Liebig | |
„Gegen die Stadt der Reichen“ demonstrierten am Samstagabend gut 1.000 | |
Menschen. Kurzzeitig drangen sie in die kürzlich geräumte Liebig34 ein. | |
Hausbesetzung in Berlin: Obdachlose geräumt | |
Kurz schien eine politische Lösung für die besetzte Habersaathstraße 46 | |
greifbar. Aber der Bezirk Mitte ruderte zurück und die Polizei räumte. | |
Berlins Linksparteichefin zu Lockdown: „Wir müssen nicht alles mitmachen“ | |
Katina Schubert hält einen erneuten Lockdown für einen Irrweg. Sie plädiert | |
für „evidenzbasierte Maßnahmen“ und will Kulturangebote offen lassen. | |
Safe Places in Berlin: Keine Sicherheit für Obdachlose | |
Die Idee der „Safe Places“ weckte 2019 die Hoffnung, Obdachlosen etwa an | |
der Rummelsburger Bucht helfen zu können. Die Pandemie macht das unsicher. | |
Homeless in Berlin: Corona hilft gegen Obdachlosigkeit | |
400 Wohnungslose werden ab Mai rund um die Uhr untergebracht. Auch eine | |
Obdachlosen-Lotsen-Taskforce wird eingerichtet. |