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# taz.de -- Aufwachsen in Regenbogenfamilien: „Wir sind kein Experiment“
> Es gibt immer mehr Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern. Wie lebt es
> sich als Regenbogenfamilie? Drei Kinder und ihre Eltern erzählen.
Bild: Friderike Körner (l.) hat zwei Mütter: Constanze Körner (r.) und deren…
Gesellschaftlicher Fortschritt äußert sich manchmal im Schweigen. Dass
einer seiner Klassenkameraden zwei Mamas hat? Findet ein Neunjähriger aus
Berlin nicht der Rede wert. Erst auf Nachfrage erzählt er davon. Kinder aus
Regenbogenfamilien gehören – gerade in den großen Städten – in vielen Ki…
und Schulen inzwischen zum Alltag. Manche werden auch berühmt, wie etwa
Judith Holofernes, die Sängerin von Wir sind Helden. Oder Sanna Marin,
Ministerpräsidentin in Finnland. Beide sind mit lesbischen Müttern
aufgewachsen.
Familien mit homosexuellen Eltern gab es wahrscheinlich schon immer. Aber
erst seit zwei Jahrzehnten werden Regenbogenfamilien gesellschaftlich
sichtbarer. Sie treten offen auf, als ein Familienmodell neben anderen.
Und sie werden mehr: 2005 gab es laut Mikrozensus des Statistischen
Bundesamts hochgerechnet rund 3.000 Familien mit gleichgeschlechtlichen
Eltern in Deutschland, im [1][vergangenen Jahr] waren es 15.000, also
fünfmal so viele. Homosexuelle Alleinerziehende mit Kindern sind da noch
nicht mal mitgerechnet.
Eine Entwicklung, die mit einem Bewusstseinswandel einherging. Früher war
für viele Lesben und Schwule klar: Kinder sind keine Option. Mit der
Liberalisierung der Gesellschaft habe sich das geändert, sagt [2][Pia
Bergold], die am [3][Staatsinstitut] für Familienforschung in Bamberg zu
Regenbogenfamilien forscht. „Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt:
Homosexualität und Elternschaft müssen sich nicht ausschließen.“ Auch
Neuerungen in der Reproduktionsmedizin machten es Lesben und Schwulen
leichter, eine Familie zu gründen. Vor allem gab es seit den nuller Jahren
rechtliche Änderungen, die homosexuelle Paare zwar nicht vollständig mit
Heteropaaren gleichstellten, ihnen aber mehr Sicherheit boten.
Regenbogenfamilien werden selbstverständlicher. Und doch begegnet ihnen
immer noch die alte Denke: Ein Kind braucht Mutter und Vater. Zahlreiche
Studien widerlegen das. Kinder aus Regenbogenfamilien zeigen demnach sogar
weniger Verhaltensauffälligkeiten und emotionale Probleme als Gleichaltrige
mit heterosexuellen Eltern. Pia Bergold begründet das mit der Situation der
Eltern: Lesben und Schwule müssten – anders als Heteros – für eine Familie
biologische und rechtliche Hürden überwinden. „Wer das schafft, will
wirklich ein Kind.“
Eltern aus Regenbogenfamilien seien zudem häufiger AkademikerInnen, sie
verdienten besser als der Durchschnitt. Bergold sagt: „Ob es den Kindern
gut geht, hängt letztlich vor allem von der Qualität der familiären
Beziehungen ab.“
Deutschlandweit leben inzwischen rund 22.000 Kinder bei
gleichgeschlechtlichen Eltern. Kinder, die in den Neunziger oder Anfang
der nuller Jahre zur Welt kamen, sind heute erwachsen.
Wir haben drei von ihnen und ihre Eltern gefragt: Was heißt es, in einer
Regenbogenfamilie aufzuwachsen? Wie sind sie selbst damit umgegangen, wie
haben andere Menschen reagiert?
Sie waren schnell bereit, von sich zu erzählen. Sie wollen ja, dass ihre
Normalität für alle normal wird, nicht nur für neunjährige Jungen aus
Berlin.
Friderike Körner und Constanze Körner
Friderike Körner, 22, studiert in Berlin-Marzahn das Fach Erziehung und
Bildung in der Kindheit. Beim Treffen im Café erzählt sie freundlich, aber
bestimmt. Von den umherschwirrenden Wespen lässt sie sich nicht irritieren.
„Ich weiß nicht mehr, wann mir überhaupt aufgefallen ist, dass unsere
Familie anders ist als andere. Eine Freundin hat mir neulich erzählt, dass
ich und mein Zwillingsbruder uns in der Grundschule mal vor die Klasse
gestellt und unsere Konstellation erklärt haben. Daran kann ich mich gar
nicht erinnern.
Ich bin groß geworden mit Mama und Claudi und mit meinem Zwillingsbruder.
Claudi ist die Frau von Mama. Mama war früher mit meinem Vater verheiratet,
aber als wir ganz klein waren, hat sie sich in Claudi verliebt und hat sich
von ihm getrennt. Später kamen dann noch meine zwei kleinen Geschwister
dazu, die hat Claudi auf die Welt gebracht. Wir haben zusammen in einer
Wohnung mit Garten im Südosten von Berlin gelebt. Inzwischen wohne ich in
einer WG mit meinem Bruder.
Ich habe auch eine große Schwester, sie ist bei meinem Vater in Cottbus
aufgewachsen, wir haben sie dort besucht. Außenstehenden erscheint das
alles vielleicht verwirrend, für mich war es immer normal.
Meine kleinen Geschwister sagen „Mama“ und „Mami“ zu unseren Eltern, me…
Zwillingsbruder und ich nicht. Nach der Trennung von meinem Vater gab es am
Anfang viel Stress um das Sorgerecht. Claudi wollte sich in die
Konstellation nicht noch mehr einmischen, wir sollten sie deshalb besser
nicht Mami nennen.
Wie wir sie rufen, ist am Ende nicht wichtig, Mama und Claudi sind meine
engsten Bezugspersonen. Bei meinem Vater waren wir vielleicht jedes zweite
Wochenende. Ich finde schade, dass nur zwei Eltern das Sorgerecht haben
können. Wenn ich eine Unterschrift für irgendetwas brauchte, konnte Claudi
das nie machen, es musste immer Mama unterschreiben, Papa war ja nicht da.
Warum können Kinder nicht auch rechtlich zwei, drei oder vier Eltern haben?
Uns hätte das den Alltag erleichtert.
In der Grundschule war unsere Familie eigentlich kein Thema. Später war es
schwieriger, da wurde jeder mal gemobbt, „schwul“ war da ein gängiger
Ausdruck. Auch mein Bruder wurde gehänselt: Er sei verweichlicht, weil er
nur mit Frauen zusammenwohne. Manchmal habe ich mich eingemischt.
Als ich vielleicht 12 war, hat ein älterer Junge einen Schwulenwitz
erzählt. Ich habe gefragt: „Was soll das? Weißt du überhaupt, was das
bedeutet?“ Danach waren alle still. Ich habe mich mit dem Jungen getroffen,
bei einem Spaziergang wollte er ganz genau wissen, wie das ist mit meinen
Eltern, ob ich lesbisch bin, weil meine Mütter lesbisch sind und solche
Sachen. Ich habe ihm erklärt, dass das nicht miteinander zusammenhängt.
Ich merke, dass die klassischen Familienbilder aus der Werbung Einfluss auf
mich haben, auch wenn ich es zu Hause anders erlebe. Ich versuche, mich
dagegen zu wehren, vor allem gegen dieses Bild, Frauen seien schwach und
müssten gerettet werden.
Einmal sagte unsere Lehrerin in der Schule: „Ich brauche drei starke Männer
zum Tischetragen.“ Ich habe gefragt: „Warum Männer? Ich habe auch Muskeln.…
Irgendwann durfte ich dann auch Tische tragen.
Nach dem Abi war ich für ein freiwilliges soziales Jahr in Paraguay. Ich
habe mit Jungs von der Straße gearbeitet, die nicht lesen und schreiben
konnten. Ein Mitarbeiter dort sagte, sie würden Schwule oder Lesben sofort
verprügeln. Denen habe ich lieber nicht von meinen zwei Müttern erzählt.
Vor einigen Jahren wurde ich in einem Zeitungsinterview gefragt, wer von
meinen beiden Müttern die Vater- und wer die Mutterrolle übernehme. Ich
habe überlegt: Mama arbeitet mehr, aber Claudi kennt sich mit Handwerken
besser aus … Irgendwann wurde mir klar: Diese Zuordnung ist totaler Müll,
jeder ist, wie er ist. Kinder brauchen ja vor allem feste Bezugspersonen,
das können zwei Mütter, aber auch eine Oma oder eine Tante sein. Es geht um
die Qualität der Beziehungen, und die ist bei mir super.“
Constanze Körner, 47, leitet den Verein „[4][LesLeFam] – Lesben Leben
Familie“ in Berlin-Lichtenberg und ist die Mutter von Friderike. Als sie
von der Idee der Protokolle hört, ist sie sofort zu einem Gespräch bereit
und vermittelt auch Kontakte zu weiteren Familien.
„Als ich mich von Friderikes Vater getrennt habe, war ich 25 und hatte
schon drei Kinder. Ich hatte große Ängste, aber war mir sicher: Ich muss
das jetzt machen. Ich war sehr verliebt in meine heutige Frau Claudia, das
hat mir Kraft gegeben. Ich dachte, die Kinder bleiben bei mir, der Vater
war wegen der Arbeit eh kaum da. Aber er hat gekämpft. Das gab ein
Riesendrama über Jahre, die große Tochter kam schließlich zu ihm, damit
hatte ich nicht gerechnet.
Die Anwältin meines Ex-Mannes hat vor Gericht sogar infrage gestellt, ob
Lesben erziehungsfähig sind. Das ging gar nicht. Aber Anfang der nuller
Jahre, da gab es noch dieses alte konservative Denken. In der
Bundesrepublik war [5][Sorgerechtsentzug] bei lesbischen Müttern ja gang
und gäbe, und auch in der DDR war es schwierig. Heute würde ich gegen
solche Argumente vorgehen, aber damals hatte ich keine Ahnung, keinen
Rechtsbeistand und einfach nur Angst, alle Kinder zu verlieren.
Claudia und ich, wir haben damals lange diskutiert, wie uns die Zwillinge
nennen sollen, die haben da gerade erst sprechen gelernt. Zwei Mamas, diese
Provokation wollten wir nicht bringen. Unsere Familien waren sehr
skeptisch. Meine Mutter meinte: „Claudia ist nicht die Mutter, du bist die
Mutter.“ Es hat uns keiner geglaubt, dass wir zusammenbleiben. Auch für uns
selbst gab es keine Vorbilder. Dass sich zwei Mütter „Mama“ und „Mami“
nennen können, wie das heute üblich ist, das kannten wir nicht.
Es war eine schöne, aber auch harte Zeit. Wir hatten keinerlei Netzwerke.
Ich komme aus einer Pfarrersfamilie, bin sehr heteronormativ groß
geworden. Wir haben damals gedacht: Wir können doch nicht das einzige
Frauenpaar mit Kindern in Berlin sein?
Wir haben eine Annonce aufgegeben für Freizeitaktivitäten mit anderen
lesbischen Müttern mit Kindern, das hat gut geklappt. Mit diesen Familien
sind wir heute noch befreundet. Mich hat die Situation politisiert. Ich
habe die Beratung von lesbischen und schwulen Eltern zu meinem Job gemacht
und 2013 das erste deutsche Regenbogenfamilienzentrum in Berlin mit
gegründet.
Friderike ist quasi mit der Regenbogenfahne in der Hand groß geworden. Was
wir uns erst erkämpfen mussten, war für sie selbstverständlich. In der
S-Bahn hat sie sich als kleines Kind mal gewundert, dass sich ein Mann und
eine Frau küssen. Das kannte sie ja nicht.
Sie findet Ungerechtigkeiten ganz furchtbar und sagt dann auch was. Ihr
Bruder bleibt lieber im Hintergrund. Sie hat ihn teilweise in der Schule in
Schutz genommen, wenn er als schwul abgestempelt wurde, weil er zwei Mütter
hat.
Mein Coming-out müssen die Kinder mittragen, ihr Leben lang. Sie müssen
sich dafür rechtfertigen. Deshalb war mein Motto von Anfang an, mich
einzumischen, in der Kita, der Schule. Meine Kinder sollten sich diesen Weg
nicht selbst bahnen müssen, ich wollte mit breiten Schultern vorangehen. In
den nuller Jahren haben Eltern aus Regenbogenfamilien noch erzählt, dass
ihre Kinder auf dem Schulhof verkloppt wurden. So etwas höre ich zum Glück
gar nicht mehr.
Die Zeit hat viel zurecht geruckelt. Nach unserem Coming-out gab es viel
Unverständnis in unseren Familien. Heute haben wir wieder häufig Kontakt
und nette Treffen. Sie haben mit den Jahren akzeptiert, dass wir als
Frauenpaar keine Aliens sind und dass wir eine ernsthafte Beziehung führen.
Wir sind verheiratet, haben ein Haus, einen Garten, sind beruflich auf die
Beine gekommen. Wir sind kein Experiment.“
Simon F. und Frank Bruno Riebesell
Simon F., 18, geht in die 10. Klasse eines Oberstufenzentrums mit
Schwerpunkt Medien in Berlin. Von sich aus redet Simon nicht viel, man muss
schon fragen. Dann aber erzählt er.
„Ich bin 2003 zu meinen Eltern gekommen, da war ich anderthalb. Meine
leibliche Mutter hatte psychische Probleme. Sie ist weg, irgendwo auf der
Welt, keiner weiß wo. Ich kann mich nicht an sie erinnern. Mein leiblicher
Vater war schon vor der Geburt weg. Ich musste als Baby zu verschiedenen
Pflegefamilien, dann wurde ich von meinen Vätern aufgenommen. Für mich gab
es immer nur meine Eltern, bei denen ich jetzt lebe. Mein Bruder ist zwei
Jahre älter. Er ist vor mir in die Familie gekommen und hat andere
leibliche Eltern.
2008 wurde ich eingeschult, da gab es noch nicht so viele
Regenbogenfamilien, manche fanden das komisch. Ich wurde öfters gefragt,
wie das geht, zwei Väter zu haben, weil mich die ja nicht auf die Welt
bringen konnten. Ich habe dann erklärt, dass ich auch eine Mutter habe, die
aber nicht da ist.
Manchmal wurde ich in der Klasse mit meinen Eltern aufgezogen. Das habe ich
meistens einfach ignoriert. Sie dachten, meine Familie wäre mein wunder
Punkt, aber das war es nicht. Für mich war das nie ein Problem.
Vor zwei Jahren hatte ich Probleme mit der Schule, ich bin einfach nicht
hingegangen. Ich habe da nichts verstanden. Stattdessen hing ich zu Hause
ab. Das haben meine Eltern natürlich mitgekriegt. Sie haben mich in ein
Internat in Schleswig-Holstein geschickt. Da habe ich dann einen Abschluss
gemacht.
Im Internat haben sie ganz interessiert reagiert auf meine Familie. Manche
haben gefragt, ob es nicht komisch wäre, meine Eltern beim Sex zu
erwischen. Ich habe gesagt, bei normalen Eltern wäre das ja auch komisch.
Einen habe ich im Internat getroffen, der hat auch zwei schwule Väter.
Ich selbst interessiere mich ganz klar für Frauen. Ich hatte mal eine
Freundin, aber nur kurz. Mir ist es egal, ob die Leute schwul, lesbisch
oder heterosexuell sind. Gute Eltern sind für mich die, die ihr Kind
erziehen können. Sie sollten nicht mit der Situation überfordert sein und
total versagen, sondern es bei Problemen auch schaffen, das Kind zu
beruhigen, für es da zu sein. Meine Mutter hat das nicht hingekriegt. Die
konnte es, glaube ich, auch gar nicht hinkriegen.
Mein leiblicher Großvater war schwulenfeindlich, auch ein bisschen
rassistisch. Er fand es nicht gut, dass meine Mutter was mit einem
Schwarzen hatte. Er hat gesagt, er würde sich nicht mit mir treffen wollen,
wegen meiner schwulen Eltern. Das finde ich schon krass.
Seit einiger Zeit habe ich Kontakt zur Familie meiner Mutter. Ich habe
sieben leibliche Geschwister. Mein Großvater ist vor einem Jahr gestorben.
Meine Großmutter wollte mich danach unbedingt kennenlernen.
Letztes Jahr gab es kurz vor Weihnachten ein Familientreffen bei meiner
Cousine, sie haben mich eingeladen, das hat mich gefreut. Da hat meine
Großmutter ganz viel gefragt, wie mein Leben war, wie meine schwulen Eltern
sind, wie es mir da geht.
Ich kenne keine anderen Familien mit schwulen Eltern in Berlin. Aber ich
fühle mich nicht als Außenseiter. Dieses Gefühl hat man glaube ich nur,
wenn man es haben will.
Alle wissen ja, dass es schwule Familien gibt. Wenn mein Vater über seinen
Mann redet, zum Beispiel an der Kasse im Supermarkt, dann fragt auch nie
jemand nach. Mein Vater zeigt sich, dem ist vieles nicht so peinlich.
Seit den Sommerferien bin ich wieder in Berlin. In drei Jahren will ich
mein Fachabi machen. Ich mag Filme, vor allem Superheldenfilme. Mein Traum
ist es, Regisseur zu werden.“
Frank Bruno Riebesell, 55, leitet eine Grundschule in Berlin-Wedding und
ist der Vater von Simon. Am Tag des Gesprächs ist er sehr in Eile, lässt es
sich aber nicht nehmen, im Café ein Stück Marzipantorte zu bestellen.
„Mein Partner und ich, wir haben vor 20 Jahren beschlossen, Pflegeeltern zu
werden. Ich komme aus einer großen Familie, für mich war klar, dass ich
gern Kinder haben möchte. Dieser Wunsch geriet zwischenzeitlich etwas
durcheinander mit der Erkenntnis, dass ich schwul bin. Damals war
Familienplanung bei Schwulen nicht selbstverständlich. Ich dachte: Das wird
dann wohl nichts.
Bis wir über Pflegekinder nachgedacht haben. 2002 haben wir uns erkundigt
und waren überrascht, wie offen der Bezirk Berlin-Mitte auf unsere Anfrage
reagierte. Es gab Gespräche, ein Bewerbungs- und Prüfverfahren. Dem
Jugendamt ging es vor allem darum festzustellen, ob wir das nachhaltig
wollen. [6][Pflegekinder] sind schon etwas Besonderes.
Man muss bereit sein, die Biografie des Kindes anzunehmen, es hat ja einen
Grund, warum es aus der Herkunftsfamilie herausgenommen wurde. Wir waren
bereit, das zu schultern, auch eine andere Hautfarbe war für uns kein
Problem. So bekamen wir zwei schwarze Kinder mit psychisch kranken Eltern,
erst Raphael, zwei Jahre später den Simon.
Raphael ging in eine Kindergruppe bei uns um die Ecke, wir haben die
gesamte Nachbarschaft kennengelernt. Egal ob Mann, Frau, Hetero oder nicht:
In dem Moment, in dem man Kinder hat, geht es vor allem darum, sie gut
großzuziehen.
Für uns bedeutete die Elternschaft einen fast vollständigen Wechsel unseres
Freundeskreises. Vorher waren wir viel mit Schwulen zusammen, die haben
sich sehr für uns gefreut, aber die Lebensentwürfe waren zu
unterschiedlich. Für uns war halt erst mal nicht mehr CSD und Party
angesagt, sondern Familie.
Im Kindergarten waren sie wohl ganz aufgeregt, weil zwei schwule Väter
kamen. Die Erzieherin hat uns später erzählt, sie hatte von der Kitaleitung
den Auftrag erhalten, ganz viel Fachliteratur zu lesen, um ja alles richtig
zu machen. Sie haben dann bald gemerkt, dass wir auch ganz normale Leute
sind.
Es gab in der Öffentlichkeit schon mal diskriminierende Sprüche, aber da
ging es um die Hautfarbe der Jungen. Ich habe ein paar Mal Leute in der
Bahn gemaßregelt deshalb. Raphael und Simon fanden peinlich, dass ich mich
so aufrege. Für die Jungs ist das nicht schön. Aber ich denke, es gehört
als Demokrat dazu, Leute in die Schranken zu weisen, die andere rassistisch
beleidigen.
Simon ist unser Ruhiger. Er tut sich mit sozialen Kontakten manchmal
schwer. Das liegt auch an seiner Geschichte. Seine Mutter war früher
Lehrerin, wurde psychisch krank, sie verließ ihre Familie und zog durch
Europa. Irgendwann landete sie in Spanien, da hat sie Simon bekommen.
Nach der Geburt strandete sie in Berlin, in einem Frauenhaus. Simon hatte
sie immer an der Brust, unter vielen Mänteln. Man hatte Angst, dass er
erstickt. Wegen der psychischen Krankheit wurden Mutter und Kind getrennt.
Simon war damals stark unterversorgt. Er hatte kaum Muskeln, lief ganz
schräg. Er leidet bis heute unter dem, was passiert ist.
Wir hatten vor einigen Jahren eine schwierige Zeit mit Simon, er wollte
nicht zur Schule gehen, hat sich allem verweigert. Wir mussten ihn in ein
Internat schicken. Ich glaube, das hat mit der Situation als
Regenbogenfamilie nichts zu tun, eher mit seiner Geschichte als
traumatisiertes Pflegekind.
Lange Zeit wollte Simon nicht über seine leibliche Familie sprechen. Das
Jugendamt legt aber Wert auf Biografiearbeit. Ich habe dann gegoogelt – und
Simons Oma ausfindig gemacht. Seine Großeltern hatten vier Kinder, alle
wurden getrieben, Leistung zu bringen. Auch Simons Mutter, die das schwarze
Schaf wurde, weil sie nicht so funktioniert hat, wie sie sollte.
Das Jugendamt hat den Großeltern geschrieben, dass es Simon gibt, das achte
Kind der Tochter. Sie schrieben einen harten Brief zurück, wie das
Jugendamt es verantworten könne, solchen Menschen wie uns das Kind zu
geben, der deutsche Staat würde sich versündigen. Ich hätte es Simon
trotzdem gewünscht, dass er die Großeltern kennenlernen kann, doch das
Jugendamt wollte das unter diesen Umständen nicht.
Aber es hat ja ein gutes Ende genommen. Zwei seiner Schwestern haben sich
gemeldet, die sind total herzlich. Dadurch hat Simon Zugang zum Rest der
Familie bekommen. Nach dem Tod des Großvaters war das möglich.
Mein Mann und ich, wir haben Anfang Oktober geheiratet. Jetzt können wir
Raphael und Simon auch adoptieren. Für uns ist das ein wichtiges Recht. Das
müssen wir mit den Jungs demnächst mal besprechen.“
Malte Czarnetzki und Heike Czarnetzki
Malte Czarnetzki, 26, studiert Medizin in Witten. Er tritt im Gespräch per
Videochat sehr eloquent auf. Man merkt, er hat sich schon viel mit dem
Thema beschäftigt.
„Seit ich mich erinnern kann, ist mir klar, dass meine Mütter nicht meine
beiden biologischen Eltern sind und dass es einen Samenspender gibt. Das
habe ich als kleines Kind gefragt und eine Antwort darauf bekommen. Unsere
Familie, das sind zwei Mütter und drei Kinder. Für mich ist das eine totale
Selbstverständlichkeit.
Meinen Vater kenne ich nicht. Meine Eltern waren überzeugt: Sie sind zwei
vollwertige Elternteile, mehr braucht es nicht. Ich kann dem nur
zustimmen. Klar, es gibt eine gewisse Neugierde, aber mehr auch nicht. Ich
für meinen Teil bin happy, dass es mich gibt und ich zwei liebende Eltern
habe.
Sie haben uns sehr früh an das Thema herangeführt. Ich kann nur allen
empfehlen, die mit einer Samenspende Kinder kriegen: Seid knallhart ehrlich
zu ihnen. Wenn man Kindern so elementare Punkte wie die Herkunft
verheimlicht, fühlen sie sich später betrogen.
Es gibt immer wieder diesen Aha-Moment, wenn man neue Leute kennenlernt und
davon erzählt. Gerade in der Schulzeit. Viele fanden das interessant, ein
paar wenige doof. Das Standardding waren Jungs, die dann so eine
sexualisierte Lesbenfantasie hatten.
Manche Kinder aus Regenbogenfamilien erleben sicherlich Diskriminierung bis
hin zu Mobbing. Ich selber hatte das zum Glück fast gar nicht. Einmal in
der Grundschulzeit hat einer aus der Nachbarschule einen doofen Kommentar
zu meinen Müttern abgegeben. Das war sauunangenehm: Ein Fremder erdreistet
sich, abfällig über mein Leben zu sprechen.
Wenn man so ein Thema hat im Lebenslauf, entwickelt man ein Gespür dafür,
wann man wie damit umgeht. Über die Jahre bin ich entschlossener geworden,
Situationen im Alltag zu kommentieren, die nicht in Ordnung sind. Ich rede
gern auch öffentlich über unsere Familie. Aber es gibt auch Momente, wo ich
von Eltern spreche statt von Müttern.
Klar, ich will Kritik an homosexuellen Familien richtigstellen. Aber Leute,
die so denken, sind oft dogmatisch. Wenn ich abends ein Bier in der Kneipe
trinke, muss ich mich nicht zwei Stunden mit Manfred an die Bar setzen, um
gegen sein Weltbild anzurennen. Ich formuliere dann manchmal eine
Gegenposition. So was wie: „Das denken auch nicht alle.“ Das muss im
Vorbeigehen auch mal reichen.
Ich bin zwar in einer Regenbogenfamilie aufgewachsen, meine
Rollenvorstellungen sind trotzdem heteronormativ. Für mich war immer klar,
ich bin heterosexuell. Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber für einen
jungen Mann ist ein lesbisches Paar bei der sexuellen Ausrichtung kein
Rollenvorbild. Was soll ich für mich daraus ableiten? Das kann ich ja nicht
sein. Ich habe eine Freundin. Ich hatte bisher auch nur Freundinnen, nix
mit einem Mann, nur mal aus Quatsch rumgeknutscht mit einem Freund.
Als Familie sind wir meistens offen aufgetreten. Die Leute nehmen nur eben
gern an, dass meine Mütter zwei befreundete Frauen sind, die Kinder haben.
Wenn wir im Restaurant bezahlen, müssen wir oft klarstellen, dass wir
zusammengehören. Im Schwimmbad mussten wir diskutieren, ob wir eine
Familienkarte bekommen. Das ist jetzt keine Katastrophe, aber man kann
schon wütend werden, wenn sich solche Erlebnisse über die Jahre ansammeln.
Ich dachte früher, die Vorurteile seien ein Generationending. Doch auch
manche junge Leute denken so. Dabei wissen wir heute definitiv, dass es
überhaupt nichts mit der sexuellen Orientierung der Eltern zu tun hat, ob
ein Kind glücklich ist oder gut erzogen.“
Heike Czarnetzki, 56, ist Biologin aus der Nähe von Stuttgart und eine der
Mütter von Malte. Während des Gesprächs per Videochat sitzt sie im
Wohnmobil, sie machen gerade Urlaub in Bayern. Czarnetzki erzählt mit
schwäbischem Akzent.
„Ich habe meine heutige Frau im Studium kennengelernt. Nach einigen Jahren
als Paar haben wir entschieden, eine Familie zu gründen. Anfang der
Neunziger war das ungewöhnlich, aber das war uns egal. Wir wollten einfach
Kinder.
Wir haben kurz darüber nachgedacht, einen privaten Spender zu suchen. Aber
der hätte sich auch später noch überlegen können, ob er nicht doch eine
Vaterrolle will, er hätte sich einklagen können. Familie wurde und wird
immer vom Mann her gedacht, nicht von der Frau.
Die andere Möglichkeit war eine anonyme Samenspende aus einer Samenbank.
Die Ärztekammern in Deutschland haben Medizinern allerdings vorgegeben, nur
Frauen mit Ehemann zu behandeln. Wir haben zum Glück einen Arzt gefunden,
der jeder Frau das Recht auf Familiengründung zugestand.
1994 haben wir die Zwillinge bekommen – Malte und seinen Bruder –, 1997
unser drittes Kind. Die Familie fand es toll, für unsere Eltern waren es
die ersten Enkelkinder.
Wir haben die Kinder in der evangelischen Kirche taufen lassen und haben
die jeweils andere zur Taufpatin gemacht. Das bisschen, was wir tun
konnten, um uns und die Kinder abzusichern, das wollten wir machen. Die
Taufe war auch das erste Mal, dass alle zusammenkamen, um unsere Familie
zu feiern. Das hat sich ganz toll angefühlt. Eine große Hochzeit wie bei
unseren Geschwistern, wo sich alle für sie freuten, gab es bei uns ja
damals nicht.
Schon vor der Geburt war für uns klar: Wenn wir Kinder haben, müssen wir
offen über unsere Konstellation reden. Wir haben immer schnell ein
Elterngespräch bei den Lehrerinnen und Erzieherinnen ausgemacht.
Und erklärt: „Wir sind ein Paar, wir betrachten Malte und seine Geschwister
als unsere gemeinsamen Kinder.“ Das Modell war damals sehr unbekannt. Schon
für den ersten Elternabend im Kindergarten mussten die Zwillinge ihre
Familie malen, es war gut, dass wir vorher mit den Erzieherinnen geredet
hatten.
Die Zwillinge waren zwei oder drei, als sie sagten, sie werden später auch
Mama. Da haben wir erklärt: „Nein, ihr werdet nicht Mama, aber Papa.“ Stü…
für Stück haben wir ihnen unsere Familiengeschichte erzählt. „Natürlich
habt ihr auch einen Vater, das war ein Mann, der so nett war, sein Sperma
zu spenden.“ So ging das voran.
Wir haben uns 2002 verpartnert, das haben wir gefeiert. Vorher hatten wir
einen kleinen Ordner mit Vollmachten für die Partnerin, für den Kinderarzt,
für den Kindergarten, die Schule. Mit der Lebenspartnerschaft kam das
kleine Sorgerecht für diese alltäglichen Dinge.
2005 wurde die Stiefkindadoption eingeführt. Wir konnten nun unsere Kinder
gegenseitig adoptieren. Am ersten Werktag des Jahres 2005 habe ich mit dem
Jugendamt und dem Familiengericht telefoniert und habe uns einen Notar
gesucht. Im März waren unsere Kinder gegenseitig adoptiert.
Das war toll: Endlich hatten sie ein zweites Elternteil, falls einer von
uns etwas passiert wäre. Erbrecht, Sorgerecht, Familienzuschläge,
Kindergeld – es war das erste Mal, dass wir rechtlich fast als Familie
gedacht wurden. Nur nicht im Steuer- und im Abstammungsrecht.
Wir waren seit den Neunzigern vernetzt mit anderen lesbischen Familien aus
ganz Süddeutschland, das waren noch nicht so viele. In dieser Gruppe haben
wir jede Stiefkindadoption gefeiert. Wir haben schön gekocht, haben
angestoßen, es gab ein kleines Geschenk fürs Kind.
Was uns die ganze Zeit begleitet hat, ist die politische Diskussion. Wir
konnten da nicht unpolitisch bleiben. Ich bin Biologin, aber rechne der
biologischen Abstammung nicht so viel Bedeutung zu wie der sozialen
Bindung. Alle Beteiligten müssten sich vor der Zeugung durch eine
Elternschaftsvereinbarung absichern können, wer die zweite Elternstelle
einnimmt.
2018 haben wir dann noch mal Hochzeit gefeiert. In Esslingen durften
gleichgeschlechtliche Paare 2002 nur in einem kleinen Büro oder im Foyer
des Landratsamts heiraten, das war eine gezielte Diskriminierung. 2018
konnten wir endlich ins Standesamt.“
11 Oct 2020
## LINKS
[1] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/07/PD20_269_122.h…
[2] https://www.ifb.bayern.de/ueber/mitarbeiter/bergold.php
[3] https://www.ifb.bayern.de/index.php
[4] https://leslefam.de/
[5] /Aufarbeitung-homophober-Gerichtspraxis/!5657318
[6] https://www.pflegekinder-berlin.de/index.php?article_id=10
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
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