# taz.de -- Selbstbestimmte Vaterschaft: Noch eine Utopie | |
> Ein Mann sollte bei einer ungeplanten Schwangerschaft Nein zur | |
> Vaterschaft sagen können, sagen Männerrechtler. Im Jetzt wäre das | |
> misogyn. | |
Bild: Wieso ist es nicht möglich, dass ein Freund:innenkreis ein Kind gemeinsa… | |
Es sollte einfach ein lustiger Abend werden. Ayla und Peter hatten sich in | |
einer Bar kennengelernt und die Nacht miteinander verbracht. Ein | |
Wiedersehen war nicht geplant, doch Wochen später meldet sich Ayla bei | |
Peter: Sie ist schwanger. Peter möchte nicht Vater werden. Zumindest nicht | |
jetzt, wo er doch gerade seine Ausbildung begonnen hat. Doch ob er Vater | |
werden möchte oder nicht, ist nicht mehr seine Entscheidung. | |
Die Geschichte ist frei erfunden und trotzdem nah an der Realität. Ob die | |
Verhütung schlicht vergessen wurde, das Kondom unbemerkt ein Loch hatte | |
oder die Pille wegen unregelmäßiger Einnahme nicht gewirkt hat: Gründe für | |
eine ungeplante oder ungewollte Schwangerschaft gibt es viele. Und wenn die | |
schwangere Person entscheidet, das Kind auszutragen, kann der Samengeber | |
seiner Unterhalts- und Umgangspflicht nicht mehr entkommen. Unfair finden | |
das einige. Väterrechtler fordern schon lange, dass sie selbstbestimmt | |
entscheiden dürfen, ob sie Vater werden oder nicht. | |
Und nicht nur die, auch Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer äußerte sich | |
[1][im Interview mit dem Spiegel ] vergangene Woche ähnlich. Anlass war das | |
50-jährige Jubiläum des Stern-Covers „Wir haben abgetrieben!“, was sie 19… | |
nach französischem Vorbild initiiert hatte. Gemeinsam mit zwei | |
Mitstreiter:innen, der Soziologin Silvia Kontos und der ehemaligen | |
Studiendirektorin Molli Hiesinger, wurden sie zur Abschaffung des | |
Paragrafen 218, der Frauenbewegung von damals und feministischem Wandel | |
befragt – es herrschte weitestgehend Einigkeit unter den dreien, bis es um | |
die Frage ging, ob auch Väter im Fall einer ungewollten Schwangerschaft | |
Rechte haben sollten. | |
„In der Tat kann ein Mann heute von einer Frau zumindest rechtlich | |
gezwungen werden, Vater zu werden und zu sein“, fasste Schwarzer den Status | |
quo zusammen. Sie führte weiter aus: „Wenn ein Mann, der nicht allein | |
verantwortlich ist für die Schwangerschaft, nicht einsteigen will, sollte | |
er in den ersten drei Monaten die Möglichkeit haben, Ja zu der Vaterschaft | |
zu sagen oder Nein. Innerhalb einer engen Frist, sagen wir eine Woche. Dann | |
kann die Frau sich überlegen: Ziehe ich das trotzdem auch alleine durch? | |
Das wäre dann ihre Entscheidung.“ | |
## Kampf um den Unterhalt | |
Kontos widersprach und auch Feminist:innen in Sozialen Medien übten | |
Kritik an Schwarzers Aussage. Und das zu Recht, denn die Forderung von | |
selbstbestimmter Vaterschaft hat eine gefährliche Schlagseite: Gesteht man | |
Männern das Recht zu, eine Vaterschaft abzulehnen, ist auch der Gedanke | |
nicht fern, ihnen ein Mitbestimmungsrecht bei einer möglichen Abtreibung | |
zuzugestehen. Solange aber nur Menschen mit Gebärmutter Kinder austragen | |
können, muss diese Entscheidung auch in der Hand dieser Menschen bleiben. | |
„My Body, My Choice“ ist nicht ohne Grund einer der wichtigsten Slogans von | |
Feminist:innen. Denn Männern das Recht zu geben, über den Körper der Frau | |
zu entscheiden, ist ein gewaltvoller misogyner Akt. | |
Doch auch ohne dieses Gedankenexperiment ist die Forderung nach einem | |
Rücktrittsrecht für Väter in unserer Gesellschaft keine, die Gerechtigkeit | |
herstellen würde – im Gegenteil. Denn nach jetziger Gesetzeslage wären die | |
Mütter erst einmal Alleinerziehende. Die staatliche Unterstützung, die es | |
für Alleinerziehende gibt, reicht bislang nicht aus und lässt viele in | |
einer prekären Situation zurück. Sie, in 90 Prozent der Fälle sind es | |
Frauen, sind einem großen Armutsrisiko ausgesetzt – und dieses Risiko stieg | |
in den vergangenen Jahren an. Viele Alleinerziehende müssen Haus-, | |
Fürsorge- und Lohnarbeit vereinen und sind dadurch einer besonderen | |
psychischen Belastung ausgesetzt. Durch fehlende Kinderbetreuung, | |
Homeoffice, Homeschooling, Jobverlust und Einkommenseinbußen hat sich die | |
Situation in der Pandemie sogar noch einmal verschlechtert. | |
Denn auch wenn Väter laut Gesetz zu Umgang und Unterhalt verpflichtet sind, | |
sieht die Realität etwas anders aus. Eine Umgangspflicht, wie es so schön | |
bürokratisch heißt, die von unregelmäßigen Treffen mit dem eigenen Kind bis | |
hin zu gleichberechtigter Betreuung reicht, darf nicht erzwungen werden. | |
Eine Unterhaltspflicht eigentlich schon. Diese richtet sich nach dem | |
Einkommen, muss an die Mutter des Kindes gezahlt werden oder über das | |
zuständige Jugendamt geregelt werden. Doch trotzdem erhalten | |
hunderttausende Kinder jährlich keinen Unterhalt, Ende 2018 waren es | |
800.000. Und in den meisten Fällen sind die | |
Unterhaltsverweiger:innen die Väter. | |
Die Mutter hat zwar das Recht, den Unterhalt einzuklagen, doch auch das ist | |
eine zusätzlicher finanzielle und psychische Belastung. Obwohl die | |
Verletzung der Unterhaltspflicht eine Straftat ist, lässt sie sich umgehen. | |
Denn die Väter müssen zwar einen Arbeitsvertrag und Informationen über ihr | |
Einkommen vorlegen, doch Abfragen des Kontostands oder des Vermögens dürfen | |
nicht vollzogen werden. Im Falle eines nicht zahlenden Vaters springt der | |
Staat ein, doch auch hier berichten Alleinerziehende von bürokratischen | |
Hürden, die das Verfahren stark verkomplizieren und verlangsamen. | |
## Gemeinsam entscheiden | |
All das sind Argumente, die dagegen sprechen, es Vätern noch leichter zu | |
machen, sich im Falle einer ungeplanten Schwangerschaft aus der Affäre zu | |
ziehen. | |
Auch wenn die Forderung nach selbstbestimmter Vaterschaft sich nach einer | |
gerechten anhört, wäre sie dies eben auch nur dann, wenn wir in einer | |
geschlechtergerechten Welt leben würden. | |
Wäre das der Fall, wäre es nur fair, Männern das Recht zu geben, sich aktiv | |
für oder gegen ein Kind zu entscheiden – und zwar auch nach dem | |
Geschlechtsverkehr. Denn Elternschaft ist ja nicht nur das Ergebnis, das | |
auf eine befruchtete Eizelle folgt, sondern, wie die | |
Politikwissenschaftlerin Antje Schrupp es [2][im Blogartikel] „Elternschaft | |
muss freiwillig sein! Warum es für Väter ein Opt-Out geben sollte“ aus dem | |
Jahr 2016 benennt, „eine soziale Vereinbarung“. Weiter schreibt sie: | |
„Positiv und für alle Beteiligten (speziell auch das Kind) fruchtbar wird | |
eine gemeinsame Elternschaft nur verlaufen, wenn alle Beteiligten sich | |
freiwillig und mit guten Absichten dafür entscheiden – und selbst dann kann | |
hinterher noch vieles schief laufen.“ | |
## Gleiche Rechte für alle Familienmodelle | |
Eine Aussage, die einleuchtet. Denn wie gut kann eine Person denn die | |
verantwortungsvolle Aufgabe als Elternteil ausführen, wenn er oder sie | |
diese gar nicht haben möchte? Um dieser Utopie der männlichen | |
Entscheidungsfreiheit einen Schritt näherzukommen, muss das Konzept der | |
Elternschaft komplett über den Haufen geworfen werden: Statt biologischer | |
müssen die sozialen Aspekte in den Vordergrund gestellt werden. Nicht | |
umsonst gibt es den Spruch: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind | |
großzuziehen. | |
Und dieses Dorf fehlt vielen. Dabei könnte es so vielfältige Lösungen dafür | |
geben, wie ein solches Dorf aussehen könnte. Einerseits kann es der Staat | |
sein, der für gewollt Alleinerziehende beispielsweise durch kostenfreie und | |
flächendeckende Kinderbetreuung und höhere finanzielle Zuschüsse | |
menschenwürdige Lebensbedingungen schafft. | |
Andererseits sollten politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit | |
diejenigen, die es möchten, gemeinsam für ein Kind Sorge tragen können. | |
Wieso wird beispielsweise einem Freund:innenkreis aus sechs Personen, | |
einem lesbischen Pärchen und ihrem besten Freund oder einer Frau und ihrer | |
Mutter nicht ermöglicht, ein Kind gemeinsam großzuziehen, mit all den | |
dazugehörigen staatlichen Vorzügen? Ihnen allen könnten demnach Elterngeld, | |
bezahlte Elternzeit und Kinderkrankentage zustehen; dafür dass sie | |
gemeinsam die Sorge für das Kind tragen. | |
## Utopie leben | |
Ein Großteil unserer gesellschaftlich und staatlich geförderten | |
Vorstellungen von Elternschaft beruft sich noch immer auf heterosexuelle | |
Paare – dabei zeichnet die Realität ein anderes Bild. Als heterosexuelles | |
oder queeres Paar, alleine, im Freund:innen- oder Familienkreis: | |
Elternschaft kann so vielfältig sein und sollte auch so politisch gelebt | |
werden. Obwohl Co-Parenting als Konzept immer gefragter ist, ist es in | |
unserer politischen Landschaft noch immer eine Utopie. | |
Wenn man diese Utopie leben würde, würde dies Müttern, Vätern und anderen | |
Sorgeberechtigten ermöglichen, selbstbestimmt zu entscheiden, ob sie die | |
Rolle eines Elternteils mit all ihren Pflichten eingehen möchten oder eben | |
nicht. Alleinerziehend zu sein wäre dann kein Armutsrisiko mehr. Und | |
selbstbestimmte Vaterschaft wäre dann auch keine misogyne Forderung mehr, | |
sondern letztlich nur gerecht. Wer für diese Forderung kämpfen möchte, muss | |
deshalb auch dafür kämpfen, dass sich die Strukturen ändern. | |
11 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/consent-a-?targetUrl=https%3A%2F%2Fwww.spiegel.de%2F… | |
[2] https://antjeschrupp.com/2016/05/31/elternschaft-muss-freiwillig-sein-warum… | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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