# taz.de -- Vaterschaftsanerkennung im Lockdown: Hoffnung auf Mr Holmes | |
> Termine beim Jugendamt können unangenehm sein. Nicht aber während des | |
> Lockdowns – da finden nämlich keine Termine statt. | |
Bild: Sperma-Inquisition durch Beamte in Sherlock-Holmes-Manier | |
„Und sind Sie auch ganz sicher, dass Sie der Vater sind?“, fragt der hagere | |
Mann hinter dem Schreibtisch ein zweites Mal. Seine Brille hängt nur noch | |
auf der Nasenspitze und er klingt wie Sherlock Holmes. Es riecht nach | |
Linoleumboden und Verwaltung. Sein Blick sagt: „Sprechen Sie jetzt oder | |
schweigen Sie für immer.“ Also nicht zu mir, sondern zu dem Mann neben mir, | |
der gerade versucht sich Rechte und Pflichten für das 3-Kilo-Kind in meinem | |
Bauch zu sichern. Wir [1][sind beim Jugendamt] zur Vaterschaftsanerkennung | |
und Sorgerechtserklärung, weil wir nicht verheiratet sind. | |
Zum einen muss das sein, damit das Kind den Nachnamen des Vaters bekommen | |
kann, wie ich das möchte – aber vor allem ist es nötig, damit der Vater | |
(medizinische) Entscheidungen treffen kann, sollte ich nach der Geburt | |
nicht in der Lage sein. Man weiß ja nie. | |
Nun, deshalb sitzen wir bei dieser Sperma-Inquisition und ich frage mich, | |
wieso der Ton so harsch ist, bevor ich kurz abwäge, ob es nur für meine | |
Belustigung okay wäre, ein „Ach, wer kann sich da schon sicher sein …“ in | |
den Raum zu seufzen. | |
Stattdessen wäge ich innerlich ab, ob es nicht die bessere Option gewesen | |
wäre, sich schnell im Standesamt das „Ja“ zu geben. „Ja“ sagt der Vate… | |
Also nicht zu mir, aber zu Mr Holmes. „Routine. Ich muss das fragen, das | |
ist immerhin eine sehr ernste Angelegenheit“, stellt der dann in meine | |
Richtung fest, er vermeidet Blickkontakt. Er muss gespürt haben, wie sich | |
mein Blick in seine Schläfe bohrt. | |
## Niemand weiß was | |
Das war im Sommer 2017 und ist in meinem Ordner für unangenehmste | |
Begegnungen mit Beamten direkt abgelegt hinter einem ganzen Packen von | |
anlasslosen Ausweiskontrollen durch die Wiener Polizei. Ich hätte nicht | |
gedacht, dass ich mir den hageren Mr Holmes eines Tages zurückwünschen | |
würde. Aber: here we are. Im Moment kommen wir nämlich für das zweite Kind | |
nicht in diesen Genuss. | |
Das Jugendamt beurkundet seit Dezember nicht und hat das wohl auch nicht | |
vor, [2][solange der Lockdown besteht]. Wir werden seither vertröstet. Nun | |
ist es aber allerhöchste Eisenbahn. Ich hab in meiner Verzweiflung sogar | |
schon beim Bürgertelefon angerufen. Die Computerstimme eröffnete mir die | |
Warteschleifenposition 33. Es ging dann aber recht schnell und die sehr | |
freundliche Dame am Telefon war sehr ahnungslos. „Die sagen uns hier | |
nichts, tut mir leid“, sagt sie, und ich bedanke mich artig für nichts. | |
Auch die Sachbearbeiterin im Jugendamt antwortete sehr freundlich auf meine | |
drölfzig Mails. Ich könne mir ja einen kostenpflichtigen Termin bei einem | |
Notar machen. Oder die Vaterschaft nach der Geburt anerkennen lassen. Das | |
stimmt. Nur als ich das letzte Mal nachgesehen hab, hab ich Steuern bezahlt | |
und ein Termin beim Notar ist auch ein Kontakt. Und nach der Geburt möchte | |
ich andere Dinge machen, als das Neugeborene in Ämter schleifen, in denen | |
es sich anstecken könnte. Aber gut, wir hoffen weiter auf Mr Holmes. | |
15 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Saskia Hödl | |
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