| # taz.de -- Konversion des Bremer Stahlwerks: Immer dieser Wasserstoff-Hype | |
| > Wenn Bremen seine Klimaziele erreichen will, muss das Stahlwerk deutlich | |
| > CO2 einsparen. Was Arcelor Mittal plant und warum Experten das nicht | |
| > reicht. | |
| Bild: Arbeit an einem Hochofen im Stahlwerk 1997. Seither hat sich viel getan �… | |
| Bremen taz | Ein Industriestandort hat es beim Klimaschutz nicht leicht. | |
| Schon gar nicht mit einem Stahlwerk im Portfolio. Denn für vier Millionen | |
| Tonnen der jährlichen CO2-Emmissionen des Landes ist die Stahlproduktion | |
| verantwortlich – Spitzenwert unter den Industriesektoren. Allein die | |
| Hochöfen des Bremer Werks von Arcelor Mittal pusten davon zwei bis drei | |
| Millionen Tonnen in die Luft. Das Stahlwerk war Sitzungsort der | |
| [1][Klimaschutz-Enquete], die am Freitag [2][zum fünften Mal] zusammen kam. | |
| Mit großem Abstand auf den Stahlsektor folgen der Ernährungssektor mit | |
| 130.000 Tonnen, erklärt [3][Enquete-Experte] Felix Matthes (Öko-Institut), | |
| dann das Glas- und Keramikgewerbe und die Autoindustrie. Der Umbau des | |
| Stahlwerks ist aber der dickste Brocken. Laut Matthes seien die relevanten | |
| Fragen dabei: „Wann endet ein Hochofen-Zyklus und eine Modernisierung steht | |
| an?“ Und: „Wer zahlt in Bremen die rund drei Milliarden Euro | |
| Investitionskosten?“ | |
| Reiner Blaschek, Vorstandsvorsitzender von Arcelor Mittal, erklärt der | |
| Enquete den Plan des weltweit größten Stahlherstellers. „Wir wollen bis | |
| 2050 klimaneutral produzieren. Und bis 2030 den Stahl bereits mit 30 | |
| Prozent weniger Emissionen herstellen.“ | |
| In Bremen stehen zwei Hochöfen; der kleinere von ihnen wird diese Woche | |
| wieder in Betrieb genommen. Er ist, Stand jetzt, bis 2027 im Einsatz und | |
| soll durch eine Elektroschrottschmelze ersetzt werden. Diese muss nicht | |
| mehr den energieintensiven Prozess der Verarbeitung des Eisenerzes | |
| vornehmen, sondern nur recyclen – und das geht mit Stahl zu hundert Prozent | |
| und unendlich oft, sagt Blaschek. | |
| Der zweite, größere Hochofen hat eine Lebensdauer bis 2032. Wie es danach | |
| weitergeht, ist unklar. Aber Ideen hat der Konzern: Ab nächstem Jahr wird | |
| neben der klimaschädlichen Kohle auch Erdgas zum Antrieb der Öfen genutzt. | |
| „Grauer Wasserstoff“, so nennt Blaschek diesen Antrieb. Der „grüne“, a… | |
| hergestellt mit erneuerbaren Energien, ist auch eine Option. Aber alles | |
| abhängig von verfügbaren Technologien, der Wirtschaftlichkeit – und der | |
| Politik. | |
| Der entscheidende Faktor liegt dabei aber gar nicht in Bremer Hand. Auf | |
| EU-Ebene müssten gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen geschaffen werden, | |
| fordert Blaschek. „Wir in Europa zahlen CO2-Abgaben – aber Importe von | |
| außerhalb nicht.“ 50 Millionen Euro muss der Konzern jährlich beim | |
| europäischen Emissionshandel blechen. Blaschek will auch für Importe | |
| Gebühren. Er fordert zudem mehr Geld für die Forschung und Hilfe bei der | |
| Beantragung von Genehmigungen. Zum Beispiel für einen neuen Stromanschluss | |
| – Voraussetzung für die Schrottschmelze. | |
| [4][Den Experten der Kommission] reicht der Plan von Arcelor Mittal nicht. | |
| „Nett gerechnet müsste Bremen für das 1,5 Grad-Ziel bis 2035 klimaneutral | |
| sein“, sagt Bernhard Stoevesandt (Fraunhofer-Institut). Entsprechend | |
| fordert Patrick Graichen (Agora Energiewende): „Das erste Ziel muss fünf | |
| Jahre, das zweite zehn Jahre vorgezogen werden.“ | |
| Dass sich der Konzern mehr Planungssicherheit und eine durchsichtigere | |
| Förderlandschaft von der Politik wünscht, versteht er – aber appeliert an | |
| Blaschek, nicht auf politische Rahmenbedingungen zu warten: „Nach der | |
| Bundestagswahl nächstes Jahr müssen Ihre Projekte investitionsreif sein.“ | |
| Graichen geht davon aus, dass in einem neuen Koalitionsvertrag Programme | |
| für eine klimaneutrale Industrie enthalten sein werden. Die Frage sei dann: | |
| Welche Standorte sind bei der ersten Förderwelle dabei? Blaschek will | |
| loslegen, aber realistisch bleiben. „Es kann ja auch sein, dass wir in zwei | |
| Jahren pleite sind, weil importierter Stahl keine Beschränkungen erfährt.“ | |
| Universität und das Energieunternehmen SWB sorgen in einem gemeinsamen | |
| Projekt derweil dafür, dass nächstes Jahr im Kraftwerk Mittelsbüren ein | |
| Elektrolyseur mit bis zu 24 Megawatt Leistung entsteht, der Arcelor Mittal | |
| mit Wasserstoff versorgen soll. Bis 2028 wird auf bis zu 300 Megawatt | |
| ausgebaut. Ein Anfang. Und auch dafür braucht es den neuen Stromanschluss. | |
| SWB-Vorstandsvorsitzender Torsten Köhne fürchtet, dass so eine sechseinhalb | |
| Kilometer lange Leitung quer durch einen niedervieländischen Acker aber | |
| nicht die nötige öffentliche Akzeptanz findet. Daher will Graichen, dass | |
| sich Regierung und Opposition versprechen, auch die negativen Aspekte | |
| dieser Projekte durchzuziehen. | |
| Matthes sorgt indes [5][der Wasserstoff-Hype]: „Ich sehe, dass das überall | |
| zum Joker wird.“ Es brauche auch andere Perspektiven wie Elektrifizierung. | |
| Auch bei den im Vergleich zum Stahlwerk kleineren, aber dennoch wichtigen | |
| Akteuren Airbus und dem Fliesenhersteller Nord Ceram, die Freitag auch ihre | |
| Klimaschutzpläne vorstellten. | |
| „Wir haben nicht die grüne Energie zur Verfügung, die wir beim aktuellen | |
| Verbrauch bräuchten“, sagt Philine Gaffron von der TU Hamburg am Ende der | |
| Sitzung. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es um ein Weniger gehen muss.“ | |
| 21 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Bremer-Enquete-Kommission-Klimaschutz/!5683750 | |
| [2] https://sd.bremische-buergerschaft.de/sdnetrim/UGhVM0hpd2NXNFdFcExjZTWEakNB… | |
| [3] https://www.bremische-buergerschaft.de/index.php?id=722 | |
| [4] /Besetzung-der-Bremer-Klima-Enquete/!5710555 | |
| [5] /Der-Norden-pusht-den-Wasserstoff/!5700679 | |
| ## AUTOREN | |
| Alina Götz | |
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