Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Norden pusht den Wasserstoff: Ein Stoff macht Karriere
> Um die Wirtschaft CO2-neutral zu machen, braucht es einen Energieträger,
> der erneuerbare Energien speichert. Das könnte Wasserstoff sein.
Bild: Futuristisch: Wasserstofftankstelle in der Hamburger Hafencity
Hamburg taz | Die Energiewende ist da. Seit Elon Musk mit seinem
Elektroauto Tesla Furore gemacht hat, ist klar: Die Umstellung auf eine
CO2-freie, klimaneutrale Wirtschaft muss kein Wunschtraum von Ökoträumern
sein, sondern geht auch als hippes Projekt eines Venture-Kapitalisten.
Allerdings rennt Deutschland bei den E-Autos hinterher, und so setzt die
Bundesregierung jetzt auf die
[1][Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technologie]: 9 Milliarden Euro
Staatshilfen hat sie für den großen Wurf vorgesehen, den
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am 10. Juni vorstellte. „Wir
wollen bei Wasserstoff die Nummer eins werden“, verkündete der Minister
öffentlich.
Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern werden vorne mit
dabei sein. Im Rahmen des „Norddeutschen [2][Reallabors]“ – eines von
bundesweit insgesamt 20 Laboren – wollen rund 50 Partner aus Wirtschaft,
Wissenschaft und Politik zeigen, dass Wasserstoff der Schlüssel zu einer
CO2-freien Energieversorgung sein kann. Geplant sind zwölf große
Demonstrationsanlagen und -projekte, in denen „grüner“ Wasserstoff erzeugt
und genutzt werden soll.
„Es geht um eine ganzheitliche Transformation des Energiesystems“, sagte
Werner Beba, Professor an der Hamburger Hochschule für Angewandte
Wissenschaften (HAW), bei der Vorstellung des Reallabors. Ziel sei es, zu
zeigen, wie bis 2035 in der Region 75 Prozent der CO2-Emissionen vermieden
werden können.
## Klimaneutrale Stromversorgung möglich
Das Vorgängerprojekt „[3][New 4.0]“ habe bereits gezeigt, dass Hamburg und
Schleswig-Holstein rein bilanziell CO2-neutral mit Strom versorgt werden
könnten, sagte Bebas Mitarbeiterin Deike Haase der taz. Bei dem neuen
Projekt soll es um die komplette Energieversorgung gehen.
Elon Musk hat die Chance ergriffen, die sich vor zehn Jahren aus der
technischen Entwicklung bei den wiederaufladbaren Batterien ergab. Die
Verwendung des Metalls Lithium machte die Akkumulatoren viel leichter und
ermöglichte so wesentlich größere Reichweiten der damit gespeisten E-Autos.
Musk verkürzte überdies die Ladezeiten, sodass die in Deutschland
halbherzig vorangetriebene Wasserstoff-Brennstoffzellen-Technologie
plötzlich alt aussah.
Dass es jetzt auch einen Schub für diese Technologie gibt, habe weniger mit
dem technischen Fortschritt zu tun, sagt Tom Smolinka vom
[4][Fraunhofer-Institut für Solare Energiesystem]. „Rein technisch hat sich
in vielen Punkten nicht viel getan, die Anlagen können auch heute schon im
großem Maßstab eingesetzt werden“, sagt der Forscher. „Man kitzelt ein pa…
Prozentpunkte raus.“
Entscheidend sei vielmehr der veränderte Markt. Durch das
Erneuerbare-Energien-Gesetz gebe es viel mehr grünen Strom im Netz. Die
Auflagen für CO2-Emissionen würden laufend verschärft – bis hin zu einem
absehbaren Verbot. „Das macht den Wasserstoff heute attraktiv“, sagt
Smolinka.
In der Folge würden die Erzeugungsanlagen größer und die Preise sänken.
„Bei einer Massenproduktion sind wir bei Weitem noch nicht“, schränkt er
allerdings ein. Die Lage sei mit der Situation der Photovoltaik Anfang der
2000er zu vergleichen.
Zu dem jetzt erwarteten Durchbruch dürfte auch beitragen, dass Wasserstoff
der Industrie helfen kann, ihren CO2-Fußabdruck zu verkleinern. Das gilt
für die chemische Industrie wie auch für die Stahlindustrie, wo Wasserstoff
anstelle von Koks in den Schmelzöfen genutzt werden kann. Entsprechende
Pläne hat der Stahlkonzern Salzgitter in Niedersachsen. Mit Wasserstoff und
Strom aus erneuerbaren Quellen lasse sich der CO2-Ausstoß des Stahlwerks um
bis zu 95 Prozent verringern, hieß es.
Auch der nordwestdeutsche Energieversorger EWE mit seiner Bremer Tochter
swb hat kürzlich gemeinsam mit dem Stahlhersteller Arcelor Mittal die
Absicht bekundet, grünen Wasserstoff zu erzeugen. In Bremen-Mittelsbüren
soll ein Elektrolyseur, so heißt die dafür benötigte Anlage, Windstrom in
Wasserstoff für das Stahlwerk verwandeln.
Bereits gestartet ist ein Projekt der [5][GP-Joule-Unternehmensgruppe] im
nordfriesischen Bosbüll. Gefördert aus dem Nationalen Innovationsprogramm
Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie entsteht dort eine komplette
Wasserstoffinfrastruktur. Anfang Juli hat GP Joule den ersten von fünf
Elektrolyseuren in Betrieb genommen, der aus überschüssigem Windstrom
Wasserstoff machen soll. Dieser soll dann über zwei neue Tankstellen an
zwei ebenfalls geförderte Brennstoffzellenbusse und fünf Pkw verfüttert
werden.
## In Hamburg gibt es alles, was es braucht
Noch besser zeigt das [6][Beispiel Hamburg], warum im Norden so große
Hoffnungen auf Wasserstoff ruhen. Hier gibt es alles, was es dazu braucht:
überschüssigen Windstrom, potente Entwickler und unterschiedlichste
Abnehmer. Nicht umsonst plant Hamburgs Wirtschaftssenator Michael
Westhagemann (parteilos) im Hafen die weltweit größte
Wasserstoffelektrolyse mit 100 Megawatt – das wäre zehnmal mehr, als
bestehende Anlagen leisten.
Den Wasserstoff macht so interessant, dass er besser im großen Stil
gespeichert werden kann als Strom. „Wir kommen zu einem Punkt, wo wir so
viel erneuerbaren Strom im Netz haben, dass Batterien beim Speichern an
ihre Grenzen stoßen oder aber Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen“,
sagt der Fraunhofer-Forscher Smolinka. Auch ein Dunkelflaute – wenn die
Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht – wäre mit Batterien nicht zu
überbrücken. Das ist ein Frage der Kosten und des Rohstoffeinsatzes.
Dafür geht bei der Elektrolyse, also der Aufspaltung von Wasser in
Wasserstoff und Sauerstoff, etwa dreimal soviel Energie verloren wie beim
Aufladen einer Batterie – 30 statt zehn Prozent. Und vereinfacht gesagt
kommt wiederum die Hälfte davon beim Reifen eines Autos an, während es beim
Akku 90 Prozent sind.
Bei der Wahl der Speichertechnik ist überdies die Energiedichte zu
beachten. Wasserstoff enthält zwar dreimal so viel Energie pro Kilo als
Benzin und Diesel, dafür braucht er aber viel mehr Platz und muss mit hohem
Aufwand komprimiert und gekühlt werden. Damit ergibt sich ein ähnliches
Gewichtsproblem wie bei der Batterie. Faustregel: Je größer die angestrebte
Reichweite und Flexibilität, desto eher empfiehlt sich die
Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie. Die Hamburger Hochbahn nennt das
als Grund, warum sie weiterhin auf Brennstoffzellenbusse setzt.
## Überschüssiger Strom
Mit Blick auf die Umwandlungsverluste betont Smolinka, dass es bei der
Produktion von Wasserstoff darum gehen muss, den überschüssigen Strom zu
nutzen, der dadurch entsteht, dass Wind- und Sonnenenergie nur schwankend
zur Verfügung stehen. „Solange ich den Strom als Strom nutzen kann, mache
ich das“, sagt er. Die Windkraftanlagen wie heute abzuriegeln, sei nicht
sinnvoll.
Wie Wasserstoff besser gespeichert werden kann, versuchen die Forscher
derzeit herauszufinden. Eine Möglichkeit sei die Speicherung in
Salzkavernen, sagt Smolinka, aber auch andere Materialien wie sehr poröse
Stoffe mit großer Oberfläche kämen infrage. Weitere Optionen seien die
Bindung an Metalle oder die Verwandlung in organische Flüssigkeiten wie
Methanol.
Eine vielversprechende Option ist auch die Einspeisung ins Gasnetz –
entweder als Beimischung zum Erdgas oder durch Umwandlung des Wasserstoffs
in Methan, den Hauptbestandteil von Erdgas. Audi betreibt eine
entsprechende Versuchsanlage in Werlte bei Cloppenburg. Hier wird mit Hilfe
von Windstrom und dem CO2 aus einer benachbarten Biogasanlage klimaneutral
Methan hergestellt, das entweder ins Gasnetz gepumpt werden kann oder in
den Gastank eines Audi. Dessen Fahrer kann dann wählen, ob er mit Benzin
oder Gas fahren will.
Mehr zum Thema Wasserstoff lesen Sie im nord-Schwerpunkt der taz am
wochenende oder am [7][E-Kiosk].
24 Jul 2020
## LINKS
[1] /Wasserstoffstrategie-der-Bundesregierung/!5697098
[2] /Programme-fuer-die-Buergerschaftswahl/!5640365
[3] https://www.gp-joule.de/
[4] https://www.ise.fraunhofer.de/
[5] https://www.gp-joule.de/
[6] https://www.h2hamburg.de/
[7] /Unser-eKiosk/!114771/
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
Energiespeicher
Wasserstoff
Erneuerbare Energien
Energiewende
Energie
Strukturwandel
Energiespeicher
Strukturwandel
Ökostrom
Wasserstoff
## ARTIKEL ZUM THEMA
Konversion des Bremer Stahlwerks: Immer dieser Wasserstoff-Hype
Wenn Bremen seine Klimaziele erreichen will, muss das Stahlwerk deutlich
CO2 einsparen. Was Arcelor Mittal plant und warum Experten das nicht
reicht.
Auf dem Weg zum emissionsfreien Bus: Ein Mann brennt für Wasserstoff
Heinrich Klingenberg hat bei der Hamburger Hochbahn fast zwei Jahrzehnte
lang das emissionsfreie Fahren vorangetrieben.
Bremer Enquete-Kommission Klimaschutz: Strategien für 2030 gesucht
Handelskammer, Gewerkschaften, Fridays for Future – bei der zweiten Sitzung
der Enquete-Kommission Klimaschutz gehört die Aufmerksamkeit den Gästen.
Die Wahrheit: Weiches aus der Steckdose
Vergesst Wasserstoff! Oder Windräder! Der neueste Trend in der
Energiewirtschaft ist der Strom, der von der grünen Weide kommt.
Wasserstoffstrategie der Regierung: Hundertmal mehr bis 2030
Die Regierung legt ihre lang erwartete Wasserstoffstrategie vor: Mit 9
Milliarden Euro will Deutschland Vorreiter bei der grünen Technik werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.