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# taz.de -- Die Wahrheit: Weiches aus der Steckdose
> Vergesst Wasserstoff! Oder Windräder! Der neueste Trend in der
> Energiewirtschaft ist der Strom, der von der grünen Weide kommt.
Bild: Quelle der neuartigen Energie: die Stromkuh
In Hipster-Kaffeebars ist er Kult, Slow-Food-Köche kochen nicht mehr ohne
ihn, und vollelektrische Autofahrer sind ganz verrückt nach ihm.
Deutschlands Nachhaltigkeits-Community schwört auf den heißesten Trend auf
dem Feld der erneuerbaren Energien: Weidestrom. Ob Kaffeemühle,
Induktionsherd oder E-Mobil – alle wollen die Geräte des modernen Lebens
mit dem Strom betreiben, der von der Weide kommt. Konventionell erzeugte
oder gar Atomenergie ist natürlich schon lange out, aber auch Strom von
Windrädern, Wasserkraftwerken oder Biogasanlagen ist in der Ökoszene nur
noch zweite Wahl.
Doch wo kommt er her, der Strom, den alle haben wollen? Besuch beim
Erfinder des revolutionären Projekts, das die Welt der erneuerbaren
Energien gehörig durcheinanderwirbelt. Alois Wolfhammer ist ein bayerisches
Mannsbild wie aus dem Bilderbuch – Lederhose, passionsspieltauglicher
Vollbart, Ganzkörper-Tattoo mit Bibelmotiven. Der 36-jährige „Strombauer“,
wie er sich selbst bezeichnet, führt den Besucher auf die Wiese hinter
seinem Bauernhof im oberbayerischen Aberding. Sieht alles genauso aus wie
auf tausend anderen Wiesen auch, auf denen friedlich weidende Kühe den
lieben langen Tag wiederkäuen. Doch Wolfhammers Tiere haben einen anderen
Daseinszweck, als nur Milch und Fleisch zu produzieren. Er hat in endlosen
Versuchsreihen eine millimeterdünne Solarfolie entwickelt, die auf die Kühe
aufgesprüht wird und sie in wandelnde Solarkollektoren verwandelt. Seine
„Stromkühe“, wie er sie liebevoll nennt, erzeugen den Weidestrom, der
momentan alle aus dem Häuschen geraten lässt.
„Was die Resi hier produziert“, erklärt er dem Reporter, während er einer
braun-weiß gefleckten Kuh den Rücken tätschelt, „ist die nachhaltigste
Energie, die Sie heute kriegen können. Natürlich, friedvoll, regional,
direkt von der Weide.“ Strombauer Wolfhammer scheint mit seiner Erfindung
ein altes Problem der erneuerbaren Energie in Bayern gelöst zu haben.
Anders als in Norddeutschland gibt es hier viel zu wenig Windräder, die
Genehmigungen sind rückläufig, und ein großer Teil der Bevölkerung ist
gegen die „Verspargelung“ der Landschaft. Wolfhammers Idee war es, diesen
Standortnachteil mit der im Alpenvorland verbreiteten Weidehaltung der
Rinder auszugleichen. Kühe als mobile Solarkollektoren können hier
wesentlich dazu beitragen, den erneuerbaren Anteil der Energiegewinnung zu
vergrößern.
## Gekoppelte Kühe auf Kontaktplatten
Schön und gut, wird sich mancher fragen, doch wie kommt der Strom von der
Kuh ins Netz? Hier kommt Wolfhammers zweite Erfindung ins Spiel: seine
Tiere speisen die gesammelte Energie mit Hilfe der induktiven
Kuh-Mast-Kopplung (KMK) noch auf der Weide direkt ins Stromnetz ein.
Ähnlich dem Wireless Charging bei Handys müssen sich die Kühe dazu nur mit
allen vier Hufen auf eine Kontaktplatte stellen, die im Betonfundament der
Strommasten eingelassen ist, und schon fließt die Energie ungehindert in
die Hochspannungsleitung und von dort in die nahegelegene Strom-„Molkerei“
des umtriebigen Familienvaters.
Doch es regen sich Gegenstimmen: Tierschützer lehnen diese Form des
Strom-Farming vehement ab und haben auch schon eine Protestaktion vor
Wolfhammers Weide durchgeführt. Andere halten das ganze Projekt für
esoterischen Quatsch und üble Abzocke, verbreitet mit Hilfe ausgebuffter
Marketing- und Werbeprofis, die ahnungslosen Weicheiern stinknormalen Strom
zu Premiumpreisen verhökern wollen.
Dem widersprechen Wolfhammers Kunden. Sie sind von der Idee und der
unvergleichlichen Qualität des Weidestroms restlos überzeugt. Sven Rupp,
Betreiber des Münchner Cafés Filterwerk und Erstkunde, schwärmt etwa vom
unvergleichlich sanften Ansprechverhalten seiner Kaffeemühle: „Schauen Sie
nur, wie wunderbar weich der Weidestrom aus der Steckdose strömt. Da kann
Atomstrom nicht mithalten. Mit Weidestrom werden die Bohnen ganz achtsam
durchs Mahlwerk geleitet und die vielschichtigen Aromen dadurch perfekt
herausgearbeitet.“
## Stromraritäten für anspruchsvolle Genießer
Ein anderer „glühender“ Verfechter ist Slow-Food-Koch Michael Zink. Für i…
ist Weidestrom unverzichtbarer Bestandteil seiner ganzheitlichen
Küchenphilosophie: „Wer in seiner Küche ein Rind from nose to tail
verarbeitet, für den ist Weidestrom alternativlos.“ Sein Wunsch für die
Zukunft ist rassereiner Strom von alten Rinderrassen. Auf seine Anregung
hin experimentiert Landwirt Wolfhammer schon mit diversen
Stromspezialitäten und will mit „Black Angus Energy“ und
„Murnau-Werdenfelser-Weidestrom“ ab nächstem Jahr die Sternegastronomie und
auch den anspruchsvollen Genießer ansprechen. „Diese exklusiven
Stromraritäten sind natürlich nichts für den Massenmarkt. Die braucht
natürlich niemand, der nur seine Waschmaschine betreiben will“, weiß
Wolfhammer, „aber für delikate Aufgaben bieten sie die perfekte Lösung.“
Wolfhammer wäre nicht der ideensprühende Macher, wenn er nicht schon wieder
ein neues Projekt in der Pipeline hätte. Wie kann er die vielen
Interessenten bedienen, die keine Möglichkeit haben, Weidestrom zu
beziehen, entweder weil sie zu weit entfernt wohnen oder weil ihr
abgelegenes Grundstück überhaupt nicht ans Stromnetz angeschlossen ist? Für
diese Klientel arbeitet er mit Hochdruck an einer wahrhaft dezentralen
Energiegewinnung.
„Die Stromkuh der Zukunft muss auch die Möglichkeit haben, den von ihr
gesammelten Strom selbst zu speichern. Dann kann jeder seine eigene kleine
Energieversorgung im Garten stehen haben.“ Den Namen für diese
Weiterentwicklung hat er – gewitzt, wie er ist – schon markenrechtlich
schützen lassen: die Akkuh.
12 Jun 2020
## AUTOREN
Rüdiger Kind
## TAGS
Ökostrom
Energieversorgung
Kühe
Die Wahrheit
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