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# taz.de -- Die Wahrheit: Fahrtwind gegen Corona
> Mehr Mautokratie wagen! Den Bundesverkehrsminister gibt es noch: Der
> Scheuer-Andi ist aus der großen Krise zurück.
Bild: Besucher von einem anderen Planeten auf der deutschen Autobahn: der Bunde…
Groß war die Aufregung im Bundestag am Montag. Dort erschien in der
Regierungsbefragung des Parlaments der Bundesverkehrsminister, um den
Abgeordneten Rechenschaft abzulegen über die aktuelle Politik der
Bundesregierung. „Aktuell“ sollte heißen: Alles über Corona. Denn ein
anders Thema gibt es derzeit nicht. Und da tauchte ausgerechnet der
Scheuer-Andi zum Rapport auf! Die Grünen waren empört: In die
Regierungsbefragung werde der Verkehrsminister geschickt, der keines der
Schlüsselministerien beim Kampf gegen Corona vertrete. Den Scheuer-Andi, so
der Tenor des Bundestages, braucht keiner und will erst recht niemand
sehen.
Bundesverkehrsminister Andreas „Andi“ Scheuer hat es in diesen Tagen nicht
leicht. Nach dem desaströsen Scheitern seine Mautpläne verdrängt nun die
Coronakrise den niederbayerischen Mobilitätsexperten komplett aus den
Schlagzeilen. Ein Stillstand, den der umtriebige Minister nicht auf sich
beruhen lassen kann. Deutschland muss auch in diesen schweren Tagen über
den aktuellen Stand seiner Mautvisionen auf dem Laufenden gehalten werden.
Deshalb will Scheuer von sofort an und aus purem Trotz ein tägliches
Maut-Update aus dem Berliner Verkehrsministerium geben.
Heute steht aber erst einmal ein Ortstermin an. Der feierliche erste
Spatenstich für den Ausbau des Autobahnkreuzes Altötting ist ein
willkommener Feel-good-Termin nach den vehementen Anfeindungen der
Vergangenheit.
Hier kann der mautgebeutelte Minister endlich mal wieder frei durchatmen
und unter den Klängen der örtlichen Blaskapelle routiniert den Spaten in
den vorbereiteten Erdhügel stechen und damit den ersten Bauabschnitt
einleiten.
In der idyllischen Hügellandschaft soll eine Autobahn völlig neuen Typs
entstehen. „Der Andi“, gibt Bürgermeister Alois Brunnhammer zu Protokoll,
„der Andi hats ned leicht ghabt die letzte Zeit. Auf der einen Seitn die
Gschicht mit der Maut, auf der andern Seitn die Diskussion um ein
Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Des hat ihn fast zerrieben, den Andi.“
## Lobbys Liebling
Fast alle hier nennen den jungenhaften Minister Andi – bis auf diejenigen,
die ihn Audi nennen. Audi Scheuer, Lobbys Liebling. Aber Scheuer wäre nicht
der Mann mit Benzin im Blut, wenn er nicht auch für diese außergewöhnliche
Herausforderung eine Lösung in der „Pipeline“ gehabt hätte.
Sein Plan: eine Hybridautobahn mit Tempolimit 130 auf der rechten Fahrbahn
und grenzenlosem Rasen auf der Überholspur – allerdings nur gegen Bezahlung
einer Tempomaut. „Es ist doch gegen jeden gesunden Menschenverstand“,
doziert der bekennende Mautokrat Scheuer, „Mitbürgern, die es eilig haben,
Schnellfahren zu verbieten.“ Mit der Zwei-Klassengesellschaft auf
Autobahnen – einer Gesellschaft der zwei Geschwindigkeiten! – hätte der
Minister sein Herzensprojekt durch die Hintertür wenigstens teilweise
verwirklicht.
Wird es in Zukunft also so sein, dass auf der linken Spur die
Leistungsträger mit ihren Premium-Boliden unbeschränkt auf die Tube
drücken, während der sprichwörtliche kleine Mann von der Straße auf der
rechten Spur, eingezwängt in endlosen Lkw-Kolonnen, durch die Lande
tuckert? Und auch nicht überholen kann, ohne auf der Mautspur zur Kasse
gebeten zu werden?
## Abbuchen für die Überholspur
So würde es Rentner Siegmund Wobalske ergehen, wenn er mit seinem
altersschwachen Opel Ascona einen bulgarischen Viehtransporter überholen
wollte. „Da mein Opel nur noch 135 schafft, brauche ich ziemlich lange für
den Überholvorgang“, beklagt sich der rüstige Senior, „und am Ende würde
mir die Mautgesellschaft für die Benutzung der Überholspur mindestens 25
Euro abbuchen“. Sein Fazit: „In Zukunft werde ich schön brav hinter den
Trucks bleiben und die Überholspur den Rasern und Dränglern überlassen!“
Seine Stimme kann die Union bei den nächsten Wahlen jedenfalls vergessen.
Mit derlei Petitessen kann sich Andi Scheuer natürlich nicht befassen. Kaum
hat er Skylla Maut und Charybdis Tempolimit gewohnt elegant umschifft,
drängt es den ehrgeizigen Verkehrsprofi zu neuen Horizonten. Seine Vision:
Die deutsche Autobahn als Abwehrbollwerk gegen Viren aller Art. Deutsche
Straßen stehen für Freiheit und frische Luft, und beides zwingt jeden
Erreger in die Knie, davon ist der Bundes-Andi felsenfest überzeugt.
„Fahren ohne Tempolimit dient der Abhärtung gegen jede Krankheit. Der
Fahrtwind bei Tempo 200 weht Viren gnadenlos fort.“
Wahrscheinlich habe genau diese flotte Fortbewegungsart für die geringe
Mortalitätsrate bei der akuten Pandemie in Deutschland gesorgt, weiß der
Minister. „Die ganze Welt beneidet uns darum – und wir lassen uns von den
notorischen Miesmachern und Nörglern unser wunderbares Land und unsere
robuste Gesundheit madig machen.“ Deshalb hat der Verkehrsminister bei der
Weltgesundheitsorganisation WHO eine Zulassung der deutschen Autobahnen als
Heilmittel und Impfstoff gegen Corona beantragt.
Zwar ist es auch jetzt schon so, dass sich die internationale
Bleifuß-Community in München trifft, um auf der A 95 Richtung
Garmisch-Partenkirchen kostenlos ihrer Leidenschaft zu frönen. Doch mit dem
Gütesiegel der WHO könnte die touristische Vermarktung der legalen Raserei
auf ein ganz neues Level gehoben werden. Und je schneller der arabische
Jungscheich mit dem Porsche durch deutsche Lande brettert, desto teurer
wird es. Oder um es mit Scheuer zu sagen: „Wir müssen endlich mehr
Mautokratie wagen!“
22 Apr 2020
## AUTOREN
Rüdiger Kind
## TAGS
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