Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Die Spur des Goldes
> Ein recht kleiner Autounfall in Bayern und seine gar weitreichenden
> Folgen bis in die hohe Politik des Freistaats hinein.
Bild: Goldauto vom Feinsten in Bayerisch-Schwaben
Hubert Stoll ist noch völlig verstört, als er von dem Verkehrsunfall
berichtet, in den er vor zwei Tagen verwickelt war: „Ich fuhr mit meinem
Golf zur Post in Günzburg. In unserem Wohngebiet gilt eigentlich rechts vor
links. Aber an der Kreuzung Blüten- und Flechtenstraße, gleich bei Moni’s
Häkelstube am Eck, ist es trotzdem passiert! Von links kam plötzlich einer
herangerauscht, missachtet meine Vorfahrt und kracht in meinen linken
vorderen Kotflügel. Da hab ich noch mal Glück gehabt, dass es nur ein
Blechschaden war und mir nichts passiert ist.“
Der Unfall, der den gelernten Werkzeugmacher so erregt, passiert in
Deutschland jeden Tag tausendfach – und doch ereignete sich in Hubert
Stolls Fall etwas Besonderes: Der Unfallverursacher fuhr einen
goldglänzenden Porsche Cayenne S und durch den Aufprall hatte sich eine
goldfarbene Spur am Kotflügel des Golfs abgelagert. In der
Reparaturwerkstatt bemerkte der Mechaniker aber sofort, dass es sich dabei
nicht um normalen Autolack handelte.
Er nahm eine Probe und ließ sie nebenan bei Goldankauf Pawlicek
untersuchen. Das Ergebnis: Gold der höchsten Reinheitsstufe! „Wir haben 38
Gramm Gold vom Kotflügel gekratzt. Mein 18 Jahre alter Golf war nach dem
Unfall plötzlich mehr wert als vorher“, schmunzelt Hubert Stoll.
Während der Goldschürfer wider Willen mit seinem unverhofften Gewinn
zufrieden war, machte sich der Goldhändler Sascha Pawlicek weiterführende
Gedanken. Was treibt einen Menschen an, seinen Protz-SUV zusätzlich mit
einer Echtgold-Schicht zu überziehen? Der uralte Menschheitstraum der
Mächtigen und Reichen? Oder doch eher das Angebergehabe eines
Bling-Bling-versessenen Gangsta-Rappers?
## Zehn Kilo Gold
Und, grübelte Pawlicek weiter, wenn schon ein kleiner „Goldschaden“
annähernd 40 Gramm kostete, wie viel Gold musste dann auf der ganzen
Karosserie verteilt sein? Bei einer Überschlagrechnung kam er auf
geschätzte 10 Kilo. Bei einem aktuellen Kilopreis von fast 47.000 Euro wäre
die „Lackierung“ des Porsche knapp eine halbe Million wert.
Wer konnte sich so etwas leisten? Ein russischer Oligarch? Ein saudischer
Prinz? Oder jemand, der sich eine Menge Gold aus illegaler Quelle
verschafft hatte. Zum Beispiel ein Berliner Clan-Chef, der seinen
prächtigen Reichtum gern vor den staunenden Augen der Öffentlichkeit
spazieren fährt?
Hier war der Gedanke an den Diebstahl der „Big Maple Leaf“-Goldmünze aus
dem Berliner Bode-Museum nicht mehr fern. Vor vier Jahren, am 27. März
2017, war die mehr als 100 Kilogramm schwere Münze gestohlen worden,
mehrere Jungmänner wurden mittlerweile vor Gericht gestellt und verurteilt.
Doch die Münze selbst blieb verschwunden.
Nach dem Diebstahl brodelte die Gerüchteküche. Mal hieß es, ein
chinesischer Milliardär habe sie neben der Ming-Vase in der
Ikea-Schrankwand stehen, mal hieß es, sie sei als massiv goldener Klodeckel
in Putins Palast gelandet. Alles denkbare Szenarien, doch die meisten
Beobachter glaubten, dass die Münze längst zerteilt, eingeschmolzen und
verkauft worden war. War so ein Teil des Goldes auch auf der Karosserie des
Porsche gelandet? Führte die Spur des Goldes nach Bayerisch-Schwaben?
## Schaden von 500 Euro
Als Hubert Stoll seinen Unfall hatte, saß jedenfalls kein Clan-Prinz am
Steuer des Porsche, sondern ein äußerst nervös wirkender älterer Herr, der
es offenbar sehr eilig hatte. Deshalb versuchte er zunächst, den Schaden an
Ort und Stelle unbürokratisch zu regeln, indem er Hubert Stoll 500 Euro in
bar für die Reparatur des Kotflügels anbot. Doch Stoll lehnte ab und ließ
den Unfall von der Polizei aufnehmen. Nur so wurde der Name des
Porschefahrers aktenkundig: Alfred Sauter, seines Zeichens Anwalt und
CSU-Abgeordneter im Bayerischen Landtag.
Rechts vor links sollte für den früheren bayerischen Justizminister
eigentlich tief verinnerlichte Lebensmaxime sein, doch die Aufregungen der
letzten Wochen ließen die graue Eminenz der CSU unkonzentriert am Steuer
werden. Als die endlose Prozedur der Unfallaufnahme durch die Polizei
beendet, Adressen und Versicherungsnummern ausgetauscht waren, konnte
Sauter endlich weiter zu seinem wichtigen Termin bei einem örtlichen
Maskenhändler.
Da war es fast schon zu spät, also musste er noch schneller fahren, die
Vertragsverhandlungen duldeten keinen Aufschub. Gottlob war der Porsche
ausreichend motorisiert! Doch am Günzburger Scheideweg, gleich bei der
Bürgerstiftung, war dann endgültig Schluss. Sauter krachte mit stark
überhöhter Geschwindigkeit frontal gegen ein Müllauto, er wurde, da nicht
angeschnallt, aus dem Porsche geschleudert, der sofort Feuer fing und
komplett ausbrannte.
Alfred Sauter überlebte mit leichten Verletzungen, doch das Gold, das hart
verdiente, schöne und glänzende Gold, es war dahin, dahin für immer.
30 Mar 2021
## AUTOREN
Rüdiger Kind
## TAGS
Bayern
CSU
Gold
Wohnungsnot
Wladimir Putin
Die Wahrheit
Schweine
Ökostrom
Andreas Scheuer
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Wohnen auf dem Pfahl
Das Problem der Wohnungsnot ist endlich gelöst. Die allerneueste Version
der Tiny Homes: Leben auf engstem Raum mitten im See.
Die Wahrheit: Mariupoly mit Wladi
Party bei Putin: Russlands großer Führer feiert seinen 70. Geburtstag mit
jeder Menge ehrenwerter Gäste aus aller Welt.
Die Wahrheit: Backen wir’s an
Die gesamtgesellschaftliche Kuchenlage ist bei Weitem besser als gedacht.
Es folgt ein leckerer Schmandbericht in karg bewegten Zeiten.
Die Wahrheit: Schweinestau im Wurstparadies
Die Pest geht um und das Borstenvieh braucht mit einer Gemeinsinn
stiftenden Aktion dringend Hilfe von aufrechten deutschen Kotelettfreunden.
Die Wahrheit: Weiches aus der Steckdose
Vergesst Wasserstoff! Oder Windräder! Der neueste Trend in der
Energiewirtschaft ist der Strom, der von der grünen Weide kommt.
Die Wahrheit: Fahrtwind gegen Corona
Mehr Mautokratie wagen! Den Bundesverkehrsminister gibt es noch: Der
Scheuer-Andi ist aus der großen Krise zurück.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.