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# taz.de -- Auf dem Weg zum emissionsfreien Bus: Ein Mann brennt für Wassersto…
> Heinrich Klingenberg hat bei der Hamburger Hochbahn fast zwei Jahrzehnte
> lang das emissionsfreie Fahren vorangetrieben.
Bild: Fan der Brennstoffzelle: Heinrich Klingenberg
Hamburg taz | Die Zukunft der Energie ist dort zu sehen, wo vor 140 Jahren
schon einmal die Zukunft begonnen hat: in Hamburgs Speicherstadt. Wo zu
Kaisers Zeiten einmal Lagerei fortschrittlichster Art praktiziert wurde,
steht heute eine [1][Wasserstofftankstelle], deren Glasarchitektur sich
aufs Schönste abhebt vom historisierenden Backsteingewand der Speicher.
Auch die Barkassenführer, die Touristen durch die engen Fleete zwischen den
Speichern schippern, versäumen nicht, darauf hinzuweisen, bevor sie mit
lautem Tuten in den nächsten Kanal einbiegen.
Die Tankstelle, eine von vieren in Hamburg, gehört zu einem bundesweiten
Netz und wird vor allem von Bussen der Hamburger Hochbahn angefahren, die
sich seit zwei Jahrzehnten damit befasst, wie Wasserstoff ins
Mobilitätssystem der Zukunft eingepasst werden könnte. Der Mann, der das
für das städtische Verkehrsunternehmen vorangetrieben hat, heißt Heinrich
Klingenberg und ist vor vier Wochen in Rente gegangen. Wenn man wissen
will, wie man so eine Technologie durchsetzt, ist er der richtige Mann.
An der Tankstelle steht ein Gelenkbus der polnischen Firma Solaris. Es ist
ein Batteriebus mit Brennstoffzelle als Range-Extender. Will heißen: Die
erste Geige spielt hier die wiederaufladbare Batterie. Die Brennstoffzelle,
die ebenfalls Strom liefert, aber eben aus Wasserstoff, dient nur dazu, die
mangelnde Reichweite der Batterie zu strecken. Daneben hat die Hochbahn
Brennstoffzellenbusse erprobt, die eine Batterie nur als Ergänzung
brauchen, etwa zum Starten.
2003 habe die Hochbahn die ersten drei, später neun, dieser Busse in Dienst
genommen, erzählt Klingenberg. „Das war fast ein wissenschaftlicher
Versuch“, sagt er, ein Feldversuch innerhalb eines europäischen
Verbundprojekts. Seitdem habe die Hochbahn technologische Entwickungen
immer mitgemacht. Erst vor gut einem Jahr beendete sie das Nachfolgeprojekt
mit drei Bussen einer Nachfolgegeneration, die nur 8 bis 10 statt 22
Kilogramm Wasserstoff auf 100 Kilometer brauchten.
## Hochbahn kauft nur noch emissionsfreie Busse
Ebenfalls von Anfang an dabei war der Busfahrer Joachim Will, der am
Wandrahmsfleet gegenüber dem Spiegel-Gebäude Wasserstoff zapft, das Kilo zu
9,26 Euro. Volltanken dauert länger als beim Diesel, aber wesentlich kürzer
als bei der Batterie. Neben dem Schlauch zum Tankstutzen führt ein
gelb-grünes Kabel zu einer Autobatterie am Boden des Busses – „zur Erdung�…
wie Will sagt. Das sollen Funkenschlag und die Entzündung des extrem
flüchtigen Wasserstoffs verhindern.
Meldungen aus dem vergangenen Jahr, die Hochbahn werde aus der
Wasserstofftechnologie aussteigen und stattdessen auf Batterien setzen,
seien falsch, sagt der Vorstandsvorsitzende der Hochbahn, Henrik Falk.
Vielmehr habe das Unternehmen 2019 ein Memorandum of Understanding mit
Mercedes Benz unterzeichnet. Dabei gehe es um eine
Entwicklungspartnerschaft für Brennstoffzellen-Gelenkbusse.
Hintergrund ist eine Entscheidung des rot-grünen Senats: Ab dem laufenden
Jahr darf die Hochbahn nur noch Busse bestellen, die kein CO2 ausstoßen.
Bis Ende des Jahrzehnts soll die komplette Flotte emissionsfrei sein.
Pensionär Klingenberg freut sich, mit welchem Schwung die Bundesregierung,
aber auch die Länder jetzt die Wasserstofftechnologie vorantreiben wollen
und dass auch die Industrie das ernst nehme. „Wenn mir das vor fünf Jahren
einer gesagt hätte, wäre ich skeptisch gewesen“, bekennt er. Denn
Rückschläge hat es in den vergangenen Jahren einige gegeben.
Eine der größten Enttäuschungen seiner Laufbahn sei gewesen, dass 2009 der
damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche gemeinsam mit dem damaligen Hamburger
Bürgermeister Ole von Beust mit großem Tamtam eine Initiative vorstellte,
die im großen Stil wasserstoffbetriebene Pkws auf die Straße bringen
wollte. Partner aus der Energiewirtschaft wollten das nötige
Tankstellennetz aufbauen. Doch die Sache verlief im Sande.
Ein ähnliches Schicksal ereilte den Versuch, den Brennstoffzellenantrieb
auf Schiffen einzusetzen. Zwar gelang es der Hochbahn-Tochter Alster
Touristik 2008 mit der „Alsterwasser“ ein Ausflugsschiff mit
Brennstoffzellenantrieb in Dienst zu stellen. Doch seit 2013 liegt das
Schiff still. Der Tankstellenbetreiber Linde baute seine Anlage ab, als die
Förderung ausgelaufen war.
„Eigentlich hat die Industrie nie so mitgespielt, wie wir uns das
vorgestellt haben“, erinnert sich Klingenberg. Die Hochbahn habe die
Haltung gehabt: „Wenn das das Medium ist, unsere Busse emissionsfrei zu
kriegen – gerne.“ Die Technikanbieter seien aber nur halbherzig dabei
gewesen.
Um das Thema „innovative Antriebe“ zu bearbeiten, hat die Hochbahn 2005 die
Firma [2][Hysolutions] ausgegründet. Klingenberg wurde der erste
Geschäftsführer. Der studierte Sprachwissenschaftler und Psychologe kennt
den öffentlichen Nahverkehr von der Pike auf. Während des Studiums begann
er bei der Pinneberger Verkehrsgesellschaft zu arbeiten und blieb dort
hängen. Später machte er noch den Busschein, den er in den Sommerferien
nutzte, um in den Frühschichten auszuhelfen.
Bei dem Beratungsunternehmen Hanseconsult entwickelte er ein
Straßenbahnsystem für Jerusalem, um dann als Vorstand für den Busverkehr
zur Hochbahn zu wechseln. Als Anfang der nuller Jahre seine Frau starb und
es bei der Hochbahn eine Zeitlang nur um Kostendruck und nicht um die
Qualität des Nahverkehrs ging, orientierte er sich neu.
Warum Hysolutions? „Man sah: Das ist ein Thema, das wird uns in den
nächsten Jahren bewegen“, sagt Klingenberg. Mit Hysolutions seien die
Hochbahn als Mehrheitsgesellschafterin und ihre Partner Stromnetz Hamburg
und Vattenfall, um nur die nächstgrößten zu nennen, sehr früh dran gewesen.
Der schwedische Energiekonzern Vattenfall, der das riesige Kohlekraftwerk
in Hamburg Moorburg gebaut hat und betreibt, hat sich auch in Richtung
Nachhaltigkeit aufgemacht und betreibt den Elektrolyseur für die
Wasserstofftankstelle am Wandrahmsfleet. Dass in dem Gebäude mit der
Milchglasfassade Wasser mittels Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt
wird, ist der glatten Fassade nicht anzusehen.
Ein paar dünne verchromte Rohre ragen heraus, ein paar Gasflaschen stehen
vor der Tür. Eine fette Stromleitung oder gar ein Trafo sind nicht zusehen.
Es klackert auch nicht, denn die Elektrolyse ist ja ein chemischer, kein
mechanischer Vorgang. Für die Wasserstofftankstelle setzt sich der Bau in
einem hohen, spitz zulaufenden Dach fort.
Die Anlage kann laut Angaben von Vattenfall täglich 750 Kilogramm
Wasserstoff erzeugen und damit 20 Linienbusse plus einiger Pkws versorgen.
Zurzeit wird hier allerdings kein Wasserstoff hergestellt sondern
geliefert. Immerhin: Die Anlage steht hier seit 2012 als sichtbares
Zeichen für die Präsenz der Technologie in Hamburg.
Batterie- und Wasserstofftechnologie ergänzen einander, weshalb sich
Hysolutions natürlich auch um Batterien als Speichermedium für grünen Strom
kümmert. Dabei sah er vor eine paar Jahren einmal kurz so aus, als würde
die Batterie das Rennen machen. Lithium machte die Akkus wesentlich
leichter als die Vorgängergenerationen. Der Amerikaner Elon Musk packte sie
zusammen mit cleverer EDV und geschicktem Marketing in ein Auto – voilà.
„Anfangs war das so: Oh Sch.…, die Batterie“, erinnert sich der
Wasserstofffreund Klingenberg. „Das war nicht nur der Neid allein, sondern
dass sich die deutsche Autoindustrie so wenig zukunftsorientiert verhält“,
sagt er. Immerhin habe Musk die Branche durchgerüttelt. Den Glauben an
Wasserstoff als Energieträger habe er aber nie verloren, sagt Klingenberg,
„weil der sytematische Zusammenhang logisch blieb“.
## Der Schlüssel ist die Industrie
Grüner Wasserstoff sei als Speichermedium wesentlich interessanter als die
Batterie, denn damit ließen sich nicht nur Autos und Busse, sondern auch
Schiffe, Flugzeuge und industrielle Prozesse antreiben. Aktuell wird etwa
daran gearbeitet, CO2-freien Stahl herzustellen. In großen Mengen für die
Industrie produziert, lasse sich Wasserstoff so billig machen, dass er
konkurrenzfähig werde.
Der Grund dafür, dass es auch bei der Wasserstofftechnologie jetzt so gut
vorangehe, sei ein Wechsel im Denken von der Projektebene auf die
strategische Ebene, sagt Klingenberg. Die Hochbahn hat angekündigt,
demnächst 50 Brennstoffzellenbusse auszuschreiben. Eine Vorauswahl unter
internationalen Bewerbern hat sie bereits getroffen. Die Ausschreibung sei
„technologieoffen“, betont Hochbahn-Chef Falk. Angeboten werden könnten
sowohl reine Brennstoffzellenbusse als auch Range-Extender.
Einen solchen fährt Joachim Will ruckelfrei und leise von der Hafencity zum
Hochbahnhaus in der Steinstraße. Lediglich die Lüftung nervt mit einem
Dauerton, und bei höheren Geschwindigkeiten vermittelt das Fahrgeräusch den
Eindruck, in einem normalen Bus zu sitzen.
Will fährt den elektrischen Bus viel lieber als Diesel. Es sein einfacher,
sagt er. „Ich habe ein ganz anderes Fahrgefühl.“ Anders als beim Diesel
gibt es keine Verzögerung beim Beschleunigen, sodass es einfacher wird, zu
überholen oder mal vor einem Radler aus der Busbucht rauszuziehen. Erkennen
lassen sich diese Busse übrigens ganz einfach: Sie haben keinen Auspuff.
27 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.hafencity.com/de/news/eroeffnung-der-europaweit-modernsten-wass…
[2] https://hysolutions-hamburg.de/
## AUTOREN
Gernot Knödler
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