# taz.de -- Drohender Koalitionsstreit in Bremen: Mehr Ruhe wagen | |
> Eine mögliche Bahn-Werkstatt sorgt im Bremer Westen für Aufruhr – der | |
> Koalitionsvertrag hatte weniger Lärm versprochen. Die Pläne sind | |
> intransparent. | |
Bild: Den Menschen in Oslebshausen reicht ein Ruheabteil nicht mehr | |
Bremen taz | Auf den ersten Blick sind es lauter gute Nachrichten: Die | |
Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG) investiert in 30 neue | |
Doppelstockzüge für den Regionalverkehr, und drumherum entsteht in Bremen | |
eine neue Bahn-Werkstatt. Von 100 Jobs ist die Rede, und von einem | |
Auftragsvolumen, dass zwischen 600 Millionen und zwei Milliarden Euro | |
liegt. Also alles bestens? Im Bremer Westen hat man eine ganz andere Sicht | |
der Dinge. Nicht nur eine örtliche Bürgerinitiative, auch die | |
KoalitionspolitikerInnen im Stadtteilparlament üben scharfe Kritik an den | |
Plänen. Ein Krach in der rot-grün-roten Landesregierung droht. | |
Noch ist nichts entschieden. Bis Jahresende läuft noch ein | |
[1][Bieterverfahren] für diese neue Eisenbahnwerkstatt mit angeschlossener | |
Waschanlage. „Wir befinden uns in Gesprächen“, sagt Sebastian Rösener, der | |
Sprecher der zuständigen SPD-Senatorin für Wissenschaft und Häfen. „Aber es | |
konzentriert sich ziemlich auf diesen Standort“, sagt die Leiterin des | |
Ortsamtes West, Ulrike Pala. Dieser Standort, das ist eine brachliegende | |
Gleisanlage in Oslebhausen, die derzeit noch Bremen gehört und an der | |
Reitbrake liegt, auf Höhe des Ölhafens. | |
Erfahren hat Pala davon nach eigenen Worten – so wie der Rest des | |
Stadtteilparlaments – durch anonyme Post, die zugleich an die örtliche | |
Presse versandt wurde; auch der taz liegt sie vor. „Der Beirat ist selbst | |
überrascht worden“, sagte Pala [2][auf einer Sitzung des Beirates in der | |
vergangenen Woche]. „Es gab ein Gespräch zwischen Ortsbeirat, der LNVG, dem | |
Bau- sowie dem Häfenressort, bei dem „ausführlich“ über das Thema | |
gesprochen worden sei, sagt Rösener. Aber da kursierte die anonyme | |
Insiderpost bereits in der Stadt. | |
Für die Linkspartei erklärte ihr Fraktionssprecher im Beirat, Bernd Brejla, | |
gleich: „Wir lehnen die Pläne rundweg ab.“ Bei SPD und den Grünen hat man | |
noch keine abschließende Meinung, aber viel Kritik: „Ich habe den Eindruck, | |
dass man den Beirat hinterrücks ausschalten und vor vollendete Tatsachen | |
stellen wollte“, sagte Ralf Vogelsang, zugleich Vorsitzender der | |
Oslebshauser SPD. Er sei „überhaupt nicht glücklich“ mit den Plänen. | |
## Ein Industriegebiet „untergeschoben“ | |
Sein Misstrauen hat viel mit einem Bebauungsplan zu tun, der auch für die | |
Fläche gilt, um die es hier nun geht. Bisher ist sie für die Verwaltung ein | |
„unbeplanter Innenbereich“. Eine mögliche „schleichende Entwicklung“ zu | |
einem Gewerbegebiet sollte aber ausdrücklich ausgeschlossen werden – so | |
steht es in dem Beschluss der zuständigen Deputation. | |
„Die Ansiedlung störempfindlicher Nutzungen“ wurde „weitgehend | |
ausgeschlossen“, heißt es da. Nun aber gebe es offensichtlich Bestrebungen, | |
aus der Brache doch ein Industriegebiet zu machen, sagt Vogelsang. Dagegen | |
hat der Beirat schon einmal heftig opponiert – mit Erfolg. „Uns sollte ein | |
Industriegebiet untergeschoben werden“, kritisiert ein Vertreter der Grünen | |
im Beirat. | |
Es gibt noch mehr Vorfälle, die Misstrauen wecken. Da sind „Probebohrungen“ | |
zweier Bieter, von denen Pala ebenfalls überrascht wurde. Wie viel Lärm die | |
machen? Darauf habe sie keine Antwort bekommen, sagte sie dem Beirat. Und | |
da ist ein [3][Wäldchen „An der Finkenau“], südlich von Wohlers Eichen, d… | |
noch im Herbst gerodet werden soll. | |
Das Bieterverfahren organisiert die LNVG, Eigentümerin des Grundstücks ist | |
aber die Stadt Bremen. „Die Gleisanlagen liegen derzeit brach“, sagt | |
Ressortsprecher Rösener, und dass eine neue Nutzung Arbeitsplätze schaffen | |
und das Gebiet „beleben“ könnte. | |
Doch genau das wollen die AnwohnerInnen in Oslebshausen ja gar nicht. Und | |
es war ihnen auch anderes versprochen worden – im rot-grün-roten | |
[4][Koalitionsvertrag]. Dort heißt es, mit Blick auf die in Oslebshausen | |
geplante, vor Ort aber umstrittene und von einer Bürgerinitiative bekämpfte | |
Klärschlamm-Verbrennungsanlage: „Wir stellen sicher, dass es vor Ort keine | |
zusätzliche geruchliche Belästigung für die Bevölkerung gibt und dass der | |
Stadtteil durch Maßnahmen in den Bereichen Müll, Verkehr und Lärm entlastet | |
wird.“ Schließlich verursachen die Stahlwerke, das Hafenkraftwerk und der | |
Verkehr aus Hafen, Hafenrandstraße, Autobahn und Gütertransport schon heute | |
immense Belastungen. | |
Nun aber droht zusätzlicher Bahnlärm, entlang der Strecke zwischen dem | |
Hauptbahnhof und der möglichen Bahn-Werkstatt in Oslebshausen. An der | |
Stecke liegt unter anderem die Reihersiedlung, eine Schlichtbau-Siedlung, | |
für die es keine Lärmschutzwände gibt, die Großwohnanlage Wohlers Eichen | |
oder eine Grundschule. | |
„Die setzen sich kackfrech über den Koalitionsvertrag hinweg“, sagt Brejla | |
von der Linkspartei. Auch Senihad Sator, der für die SPD im Beirat sitzt, | |
fühlt sich „verarscht“. Und Dieter Steinfeld von den Grünen sagt: „Ich … | |
keine Möglichkeit, das zu verhindern“. | |
Dieter Winge von der Bürgerinitiative aus Oslebshausen ist „empört“, er | |
kritisiert die „riesige Belastung“, die droht und das intransparente | |
Verfahren. „Das trägt nicht zum positiven Politikverständnis bei“, sagt er | |
– „vorsichtig formuliert“. | |
22 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.lnvg.de/lnvg/vergabeverfahren | |
[2] https://www.facebook.com/bgo.bremen/videos/vb.1602931609994551/325495828704… | |
[3] https://www.bauleitplan.bremen.de/fnp25/fnp_2025/fnp_2025_fort_30.pdf | |
[4] https://spd-land-bremen.de/Binaries/Binary_6302/Koalitionsvereinbarung-RGR-… | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
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