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# taz.de -- Wirtschaftsminister über Klimaschutz: „Auch die Industrie brauch…
> Peter Altmaier will mit einer EEG-Reform beim Klimaschutz vorankommen.
> Klimaneutralität vor 2050 zu erreichen, hält er aber für unrealistisch.
Bild: „Wenn der Markt einen schnelleren Kohleausstieg erzwingt, werden wir un…
taz: Herr Altmaier, Sie haben kürzlich gesagt, bei der Klimapolitik gab es
in der Regierung „unbestreitbare Fehler“. Welches waren denn die größten?
Peter Altmaier: Erstens haben wir nach dem gescheiterten Klimagipfel von
Kopenhagen ein Jahrzehnt verloren, bevor wir uns in der EU auf den
[1][Green Deal] mit seinen anspruchsvollen Zielen verpflichtet haben. Und
zweitens haben wir innenpolitisch zwar sehr viel getan und erreicht,
konnten aber nicht nachvollziehbar darlegen, dass wir das große Ziel,
nämlich die Erderwärmung auf 2 Grad oder sogar 1,5 Grad zu begrenzen, mit
all den vielen kleinen und großen Schritte wirklich und zuverlässig
erreichen.
Und warum sollen die Menschen Ihnen glauben, dass das jetzt mit der
[2][Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes] (EEG) besser wird?
Ich räume ein, dass das, was wir bisher vereinbart haben, noch nicht
ausreicht, um bis 2050 klimaneutral zu werden. Darum werde ich Vorschläge
machen, was wir ändern müssen. Vertrauen, gerade auch bei der jüngeren
Generation, wird nur durch konkretes Handeln entstehen. Ein Mosaikstein
dabei ist die EEG-Novelle, mit der wir den Ökostrom-Ausbau deutlich
beschleunigen. Wir werden wesentlich mehr Fotovoltaik und Windenergie auf
See und an Land ausbauen, als es bisher festgelegt war.
Wie viel genau?
Wir gehen noch über die Beschlüsse des Klimaschutzprogramms 2030 hinaus,
das wir im vergangenen Herbst beschlossen haben: Bei der Fotovoltaik planen
wir mit 100 Gigawatt im Jahr 2030 mehr als die im Klimaschutzplan
vorgesehenen 98 Gigawatt. Das ist fast das Doppelte der derzeit
installierten Leistung. Bei Wind an Land war für 2030 eine Spanne von 67
bis 71 Gigawatt Leistung festgelegt, da gehen wir mit 71 Gigawatt jetzt ans
obere Ende. Um das zu erreichen, ändern wir die Vergütungsregeln so, dass
es attraktiver wird, Windräder auch an Standorten mit weniger Wind zu
bauen, etwa in Süddeutschland. Besonders große Zubaupotenziale gibt es bei
Wind auf hoher See. Deshalb haben wir im Wind-auf-See-Gesetz bereits ein
neues ambitioniertes Langfristziel von 40 GW bis 2040 verankert. Ich bin
überzeugt, dass wir das Ziel von 65 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen
schon vor 2030 erreichen können.
Bei dieser Zahl gehen Sie davon aus, dass der Stromverbrauch bis 2030 im
Vergleich zu heute nicht steigt, sondern sogar leicht sinkt. Das bezweifeln
aber viele ExpertInnen, weil künftig ja immer mehr Strom im Verkehr, zum
Heizen und für Industrieprozesse benötigt wird. Machen Sie sich da nicht
selbst etwas vor?
Wir haben das nicht aus dem Bauch entschieden, sondern Gutachten anfertigen
lassen. Die gehen davon aus, dass der Stromverbrauch in einigen Sektoren
steigen wird, etwa wegen der Elektromobilität, in anderen aber sinken wird
– etwa durch mehr Effizienz oder weil durch den Kohleausstieg der
Eigenverbrauch der Kohlekraftwerke entfällt. Unterm Strich wird sich die
Summe darum vom heutigen Stromverbrauch nicht deutlich unterscheiden.
Sollte es anders kommen, muss der Ausbau natürlich entsprechend nach oben
angepasst werden.
Statt eines Ausbaus könnte es im nächsten Jahr einen Rückgang bei den
Erneuerbaren geben. Denn zum Jahreswechsel fallen die ersten Wind- und
Solaranlagen nach 20 Jahren aus der Förderung und werden dann
möglicherweise abgeschaltet.
Die Begrenzung der Förderung auf 20 Jahre ist von der rot-grünen Koalition
im Jahr 2000 beschlossen worden. Die Idee war und ist, die abgeschriebenen
Anlagen dann durch effizientere Anlagen zu ersetzen. Das gilt vor allem für
Windräder, bei denen ein „Repowering“ zu sehr viel mehr Stromausbeute
führt. Es gibt vor allem bei Betreibern sehr kleiner Solaranlagen Fälle, wo
das nicht möglich ist. Darum wollen wir jetzt im EEG festlegen, dass diese
kleinen Fotovoltaik-Anlagen auch nach Ende der Förderung ihren Strom weiter
ins Netz speisen dürfen und diesen zum Marktpreis vergütet bekommen.
Selbst wenn Sie die 65 Prozent bis 2030 schaffen: Ist das überhaupt genug?
Wenn die EU sich auf ein höheres Klimaziel einigt, muss Deutschland ja
vermutlich mehr bringen.
Ich kann den Beschlüssen auf EU-Ebene nicht vorgreifen. Aber wenn es bis
zum Jahresende eine Entscheidung gibt, dann werden wir im Gesetzentwurf die
Ziele anpassen und natürlich auch die Ausbaupfade.
Ihr Geist mag da willig sein, aber das Fleisch der [3][Unionsfraktion ist
möglicherweise schwach]. Schon die 65 Prozent sind da ja nicht
unumstritten. Wie wollen Sie Ihre Parteifreunde von noch höheren Quoten
überzeugen?
Trotz der Coronapandemie haben wir uns in der gesamten Koalition zu den
Klimazielen bekannt und diese nicht reduziert. Und mit der Festlegung auf
die Klimaneutralität 2050 hat der Ausbau der erneuerbaren Energien auch bei
der Wirtschaft eine ganz neue Priorität bekommen. Auch die Industrie
braucht Ökostrom, weil sie nur so die Transformation hin zur
Klimaneutralität schaffen kann, beispielsweise bei der Umstellung der
Stahlproduktion hin zu grünem Stahl.
Sehen Sie da auch ein Umdenken in Ihrer Fraktion?
Die großen Ausbauschritte der letzten Jahrzehnte wurden mit maßgeblicher
Unterstützung meiner Fraktion getroffen, weil sie Wertschöpfung in
ländliche Räume brachten. Ich habe keinen Zweifel, dass die Mehrheit meiner
Fraktion großen Wert darauf legt, dass die industrielle Basis des Landes
erhalten bleibt. Dafür brauchen wir 100 Prozent erneuerbaren Strom bis
2050. Und damit das Ganze trotzdem bezahlbar bleibt, haben wir im Rahmen
des Konjunkturprogramms beschlossen, die EEG-Umlage aus Steuermitteln zu
stabilisieren und in den nächsten Jahren sogar schrittweise abzusenken.
Wenn die gesamte EU über alle Sektoren hinweg anpeilt, bis 2050
klimaneutral zu sein – müsste der deutsche Stromsektor das dann nicht schon
deutlich früher erreichen?
Wir haben den Anteil von erneuerbarem Strom in einem Jahrzehnt von 21 auf
über 50 Prozent mehr als verdoppelt. Jetzt verschärfen wir erstmals seit
über einem Jahrzehnt das 2050er-Ziel der Erneuerbaren. Und in Deutschland
haben wir das Ende der Kohlenutzung auf 2035 bis 2038 festgeschrieben. Aber
hier gibt es möglicherweise Marktdynamiken, die diesen Prozess
beschleunigen. Schon vor Corona ist die Kohleverstromung stark
zurückgegangen.
Der Kohleausstieg kommt Ihrer Meinung nach also schon vor 2035?
Ich halte nichts davon, an den gesetzlichen Vorgaben jetzt wieder
rumzuschrauben. Wir haben einen klaren und verlässlichen Pfad im
Kohleausstiegsgesetz parteiübergreifend festgelegt. Aber wenn der Markt
einen schnelleren Ausstieg erzwingt, werden wir uns dem nicht widersetzen.
Auch wenn Sie alle Ankündigungen aus dem Klimaschutzprogramm der Koalition
umsetzen und wir bis 2050 klimaneutral werden, stößt Deutschland insgesamt
noch doppelt so viel CO2 aus, wie mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar wäre. Das
sagen nicht nur Umweltverbände, sondern die offiziellen Regierungsberater
vom Sachverständigenrat für Umweltfragen. Sind Sie also immer noch zu
langsam?
EU-weite Treibhausgasneutralität bis 2050 zu erreichen, wäre weltweit
bahnbrechend und wird schwer genug. Jetzt zu fordern, schon 2040 oder noch
früher klimaneutral zu werden, halte ich zu diesem Zeitpunkt nicht für
seriös darstellbar.
Ihre Ankündigungen wirken wie eine Vorbereitung auf eine schwarz-grüne
Koalition. Falls es dazu kommt: Welches Amt würden Sie dann gern
übernehmen?
Ob Sie es mir glauben oder nicht: Wir hatten in den letzten Monaten durch
Corona, aber auch durch die klimapolitischen Vorhaben so gut zu tun, dass
ich zum Nachdenken über Koalitionsoptionen noch gar nicht recht gekommen
bin. Ich habe meine Arbeit im jeweiligen Amt immer gerne gemacht, und das
Erreichen von Klimaneutralität bei Bewahrung des wirtschaftlichen
Wohlstands ist ein Ziel, für das sich jeder Einsatz lohnt.
1 Sep 2020
## LINKS
[1] /Wiederaufbau-Plan-der-EU/!5685204
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## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
Bernhard Pötter
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