| # taz.de -- Machtkampf in der AfD: Das Chaos nach der Causa Kalbitz | |
| > Hat der Rauswurf von Andreas Kalbitz aus der AfD Bestand? Spaltet sich | |
| > die Partei? Wer meutert gegen Meuthen? Hier die Antworten. | |
| Bild: Andreas Kalbitz (vorne) hat angekündigt gegen den Parteiausschluss aus d… | |
| Am 15. Mai, etwa Viertel nach fünf, stehen zwei Männer auf dem Balkon in | |
| der Kurfürstenstraße 79 in Berlin-Tiergarten, der eine in der fünften, der | |
| andere in der sechsten Etage. Es sind die beiden Parteichefs der AfD. Oben | |
| Jörg Meuthen, unten Tino Chrupalla. Ein symbolträchtiges Bild. | |
| Meuthen hat im Bundesvorstand, der hier tagt, gerade einen Sieg davon | |
| getragen, Chrupalla eine Niederlage. Die AfD-Spitze hat Andreas Kalbitz, | |
| Landes- und Fraktionschef der AfD in Brandenburg und bis vor wenigen | |
| Minuten Teil dieses Gremiums, [1][die Parteimitgliedschaft mit sofortiger | |
| Wirkung aberkannt]. Eine knappe Mehrheit von sieben zu fünf Stimmen bei | |
| einer Enthaltung reichte dazu aus. | |
| Der formale Grund: Kalbitz hat, so sieht es die Mehrheit als erwiesen an, | |
| bei seinem Antrag auf AfD-Beitritt 2013 seine früheren Mitgliedschaften bei | |
| den Republikanern und der inzwischen verbotenen Neonazi-Organisation | |
| Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) verschwiegen. Beide hätte er laut Satzung | |
| angeben müssen. Seitdem wird der Machtkampf in der AfD, der die Partei | |
| unterschwellig stets begleitet, offen und mit aller Härte geführt. Fünf | |
| Dimensionen des Konflikts und ein Ausblick. | |
| ## Die Macht: unsichere Verhältnisse und viel Tamtam | |
| Obwohl nur etwa ein Drittel der AfD-Mitglieder dem rechtsextremen „Flügel“ | |
| zugerechnet werden, sind gegen ihn kaum noch Entscheidungen durchsetzbar. | |
| Jüngst erst ist Jörg Meuthen in der Auseinandersetzung um ein Rentenkonzept | |
| mit der Forderung, die gesetzliche Rente abzuschaffen, [2][auch am „Flügel“ | |
| gescheitert]. | |
| Dem Parteichef, der sich von dem rechtsextremen Netzwerk ins Amt hat wählen | |
| lassen und lange mit diesem paktiert hat, ist dessen Macht zu groß | |
| geworden. Und nicht nur ihm: Funktionäre, vor allem aus dem Westen, haben | |
| Meuthen unter Druck gesetzt, endlich etwas zu unternehmen. Meuthen setzte | |
| im Bundesvorstand erst den Beschluss durch, [3][dass sich der „Flügel“ | |
| auflösen muss]. Nun sorgte er für Andreas Kalbitz' Rausschmiss. Eine | |
| Kampfansage. | |
| Björn Höcke schrie prompt „Verrat“, Götz Kubitschek, Höckes Einflüster… | |
| vom Institut für Staatspolitik, warf Meuthen vor, die Partei in Brand zu | |
| setzen. Die Landeschefs aus Sachsen und Sachsen-Anhalt stellten sich hinter | |
| Kalbitz. Die Brandenburger Fraktion nahm ihren Anführer auch ohne | |
| Parteibuch wieder auf. Sie fordert einen Sonderparteitag, auf dem ein neuer | |
| Bundesvorstand gewählt werden soll. | |
| Ansonsten blieb es bislang erstaunlich ruhig. Der Landesverband | |
| Mecklenburg-Vorpommern stellte sich dabei nicht klar auf die Seite von | |
| Kalbitz: „Da gibt es verschiedene Ansichten, pro Kalbitz, kontra Kalbitz“, | |
| [4][sagte Landeschef Leif-Erik Holm dem NDR]. Das ganze müsse vor dem | |
| Schiedsgericht geklärt werden. | |
| Und selbst in Brandenburg verhinderte die Mehrheit der Fraktion, dass | |
| Kalbitz auch gleich noch als Fraktionschef bestätigt wurde. Denn auch hier | |
| mehrt sich die Kritik an dem gebürtigen Münchener. Selbst die Junge | |
| Freiheit, für die AfD weiterhin das wichtigste Presseorgan, hat sich schon | |
| lange auf den „Flügel“ eingeschossen. | |
| ## Die Struktur: fragile Bündnisse und ein alter Mann | |
| Die AfD ist ein Bündnis aus verschiedenen Strömungen mit zum Teil sehr | |
| unterschiedlichen Vorstellungen, Strategien und Zielen. Straße oder | |
| Parlament? Revolte oder Regierungsbeteiligung? NPD light oder CDU der | |
| siebziger und achtziger Jahre? Völkische oder wirtschaftsliberale | |
| Sozialpolitik? Das sind einige der Konfliktlinien in der Partei. | |
| Der inzwischen formal aufgelöste [5][„Flügel“ mit Andreas Kalbitz und Bj�… | |
| Höcke an der Spitze] hat seinen Einfluss in den vergangenen Jahren stetig | |
| ausgebaut, im Osten ist er dominant und bei Wahlen sehr erfolgreich. Eine | |
| Mehrheit hat er in der Gesamtpartei noch nicht, auch deshalb, weil die | |
| weitaus meisten Mitglieder der AfD im Westen leben. | |
| Für Zusammenhalt in der Partei hat bislang die Annahme gesorgt, dass der | |
| Erfolg der AfD genau in diesem fragilen Bündnis der verschiedenen | |
| Strömungen begründet ist. Zusammengehalten hat die Partei vor allem | |
| Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland. Doch dessen Einfluss schwindet. | |
| Den Parteivorsitz hat er Ende vergangenen Jahres aufgegeben. | |
| ## Der Rechtsweg: Sich widersprechende Einschätzungen und ein | |
| verschwundenes Formular | |
| Andreas Kalbitz hat angekündigt, sowohl vor dem Schiedsgericht der AfD als | |
| auch vor einem ordentlichen Gericht gegen den Parteiausschluss vorzugehen. | |
| Schlechte Karten hat er nicht. Die Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie | |
| Schönberger sagte der taz, dass eine Annullierung der Mitgliedschaft nach | |
| dem Parteiengesetz grundsätzlich nicht rechtens sei, ein ordentliches | |
| Parteiausschlussverfahren könne man nicht einfach umgehen. Ein ordentliches | |
| Gericht werde den Beschluss höchstwahrscheinlich kassieren. | |
| Hinzu kommt: Mit den Belegen für Kalbitz' Vergehen sieht es schwierig aus. | |
| Sein Aufnahmeantrag ist verloren gegangen, man führt deshalb Zeugen an und | |
| die elektronische Mitgliederdatei. Dort müssten sich die Angaben zu seinen | |
| früheren Partei- und Verbandsmitgliedschaften finden – wenn er sie denn | |
| gemacht hat. | |
| Der Nachweis für die Mitgliedschaft in der HDJ, die Kalbitz' weiterhin | |
| bestreitet, liegt der AfD nicht vor, sondern nur dem Verfassungsschutz, den | |
| man ansonsten gern diskreditiert. Und die Mitgliedschaft bei den | |
| Republikanern, [6][die Kalbitz lange verschwiegen hat, ist seit mehreren | |
| Jahren bekannt.] | |
| Andererseits: Der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner rechnet damit, | |
| dass der Ausschluss Bestand haben wird, wie er dem MDR sagte. Zudem hat die | |
| AfD in vergleichbaren Fällen auch schon die Mitgliedschaft annulliert, etwa | |
| im Fall von Dennis Augustin, dem Ex-Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern. | |
| ## Der Verfassungsschutz: neuer Einfluss und ein Panikschub | |
| Die rechtsextreme Biografie von Andreas Kalbitz ist seit langem bekannt. Es | |
| gab viele Stationen in rechtsextremen Vereinigungen, seit 2014 gab es dazu | |
| immer wieder neue Enthüllungen. Lange Zeit hat das in der AfD wenige | |
| interessiert. Kalbitz war zupackend und erfolgreich, er hat Mehrheiten | |
| organisiert. Er war verlässlich. Auch Jörg Meuthen hat davon profitiert. | |
| Doch dann trat der Verfassungschutz auf den Plan und versetzte Teile der | |
| AfD in Panik. Erst stufte er den „Flügel“ als rechtsextrem und als volles | |
| Beobachtungsobjekt ein. Der wichtigste Grund dafür, neben Björn Höckes | |
| Reden und Schriften: Kalbitz. [7][Derzeit prüft die Behörde, ob nicht auch | |
| die AfD als Gesamtpartei zumindest ein rechtsextremer Verdachtsfall ist], | |
| eine Entscheidung wird bald erwartet. | |
| Eine Einstufung, so befürchtet man insbesondere in der West-AfD, könnte | |
| Wähler:innen abschrecken und vor allem die zahlreichen Beamt:innen unter | |
| den Mitgliedern und Funktionär:innen in die Flucht schlagen. Für sie stehen | |
| dann Jobs und Pensionen auf dem Spiel. | |
| ## Die Konkurrenz: persönliche Ambitionen und eine Spitzenkandidatur | |
| Wie so oft in der AfD geht es auch um persönliche Interessen. Jörg Meuthen | |
| erwägt, im kommenden Jahr in den Bundestag zu wechseln, wo er Gauland als | |
| Spitzenkandidat und Fraktionschef beerben könnte. Dazu muss er | |
| Unterstützer:innen gewinnen, hatte er doch zuletzt viele in der Partei | |
| durch sein Rentenkonzept und die Idee, der „Flügel“ könne sich vielleicht | |
| doch von der AfD abspalten, vor den Kopf gestoßen. | |
| Und dann ist da noch Alice Weidel im Weg, Alexander Gaulands | |
| Co-Fraktionschefin und Bundesvize, die wohl weiter machen will; die beiden | |
| können nicht miteinander. Und weil beide aus Baden-Württemberg stammen und | |
| parteiintern als wirtschaftsliberal gelten, sind sie als Team auch nicht | |
| mehrheitsfähig. Hier kommt dann wieder Meuthens Co-Parteichef Tino | |
| Chrupalla ins Spiel – der Sachse ist und dem „Flügel“ wohlgesonnen | |
| gegenübersteht. | |
| Hinzu kommt: Weidel hat eine Art Nichtsangriffspakt mit dem „Flügel“ | |
| geschlossen, im Bundesvorstand hat sie gegen den Meuthen-Antrag gestimmt, | |
| allerdings rein formal argumentiert. Die Frau hält sich gerne bedeckt, so | |
| lange die Machtverhältnisse noch nicht entschieden sind. Stürzt aber | |
| Meuthen als Parteichef, könnte Weidel bereit stehen. Wieder jemand von den | |
| vermeintlich Gemäßigteren, die mit dem „Flügel“ paktiert. | |
| ## Und die Aussichten? | |
| Der Streit sieht also beinahe wie ein Neuauflage alter Konflikte aus: um | |
| Ex-Parteichef Bernd Lucke 2015 und seine Nachfolgerin Frauke Petry 2017. | |
| Beide unterlagen im Machtkampf mit dem „Flügel“, beide landeten in der | |
| politischen Bedeutungslosigkeit. | |
| Doch ganz so einfach ist es nicht. Der Verfassungsschutz hat in der Partei, | |
| die [8][wegen schwindender Zustimmung in der Corona-Krise ohnehin nervös | |
| ist], eine neue Dynamik entfacht. | |
| Das Geraune, dass Meuthen gegen Ende des Jahres möglicherweise kein | |
| Parteichef mehr sei, ist bislang nicht mehr als das. Es ist fraglich, ob es | |
| – auch coronabedingt – überhaupt so bald einen Parteitag geben wird, auch | |
| hat die AfD für eine ohnehin zum Jahresende geplante Zusammenkunft noch | |
| keine Halle gefunden. Zudem ist zur Abwahl des erst im Dezember gewählten | |
| Bundesvorstands eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. | |
| Diese zusammenzubringen, wird schwierig. Und dass sich am Ende die Partei | |
| doch noch spaltet? Ganz ausgeschlossen ist das nicht. Doch wer geht, müsste | |
| wohl auf den Namen und die Struktur der Partei verzichten, was keiner will. | |
| Der „Flügel“ würde in einem solchen Fall zu einer Regionalpartei, einer A… | |
| „Lega Ost“. Und die anderen müssten wohl auf Höhenflüge bei Wahlen | |
| verzichten. Doch zunächst warten ohnehin alle darauf, wie die juristische | |
| Überprüfung der Causa Kalbitz ausgeht. Davon wird vieles abhängen. | |
| 23 May 2020 | |
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