# taz.de -- Wohnen in Schrebergärten: Grün, bezahlbar, illegal | |
> In Großstädten fehlt Wohnraum. Einige Pächter*innen leben deshalb | |
> mittlerweile in ihrer Kleingartenlaube – trotz Verbot. Sollte man sie | |
> lassen? | |
Bild: Kleiner Garten, große Freiheit? | |
Wenn die Dämmerung einsetzt, gehen in der Kolonie Eichengrund nach und nach | |
die Lichter an. Hinter 1,25 Meter hohen Hecken leuchtet es heimelig gelb | |
aus den Fenstern der Lauben. In kleinen Wohnzimmern hängen große | |
Bildschirme, ihr Flackern wirkt in der ruhigen Kleingartenanlage seltsam | |
hektisch. Während es draußen dunkel wird, sitzen in einem Anbau Menschen | |
zusammen um einen Tisch, Abendessenszeit. Die Luft ist frisch. Hier und da | |
riecht es nach Holzofen. Eine Idylle in Miniaturformat? | |
Eigentlich sollten sich an diesem Dienstagabend im November – 8 Grad, | |
trocken – nur vereinzelt Leute in der Kleingartenanlage im Süden Berlins | |
aufhalten. Die Gartensaison ist vorbei. In mehreren Nächten gab es Frost, | |
die PächterInnen müssten ihre Hütten und Pflanzen längst winterfest gemacht | |
haben. Doch in der Kolonie Eichengrund wird weiter gewerkelt, gekocht, | |
Alltag gelebt. Das sieht man, besonders abends. Man muss nur die geraden | |
Wege entlangspazieren. | |
Auch bei Sabine Kügler brennt Licht. „Eine Handvoll ist im Winter nicht da, | |
aber alle anderen wohnen hier“, sagt sie. Die 53-Jährige arbeitet als | |
Altenpflegerin, an diesem Dienstag ist sie zu Hause. Ihr Zuhause, das ist | |
die weiße Laube von 37 Quadratmetern. „Die Mieten in Berlin sind so hoch | |
inzwischen. Viele hier können sich keine Wohnung leisten.“ | |
Kügler selbst hat Schulden. Sie ist aus ihrer Wohnung geflogen und teilt | |
sich nun das Gartenhaus mit ihrem ehemaligen Partner Thomas. Sie streiten | |
viel. Er schläft im Wohnzimmer auf dem Sofa, sie auf dem Dachboden. Eine | |
Notlösung. Und trotzdem sagt Kügler: „Ich lebe sehr gerne hier.“ | |
Es wird nicht statistisch erfasst, wie viele Menschen in Deutschland in | |
Kleingärten wohnen. Offiziell ist es verboten: Im Bundeskleingartengesetz | |
steht, es sei nur „eine Laube in einfacher Ausführung“ zulässig, sie dür… | |
„nach ihrer Beschaffenheit, insbesondere nach ihrer Ausstattung und | |
Einrichtung, nicht zum dauernden Wohnen geeignet sein“. | |
Zur Mietenentwicklung gibt es dagegen Zahlen genug: Wer 2018 in Berlin eine | |
Wohnung suchte, musste doppelt so viel bezahlen wie zehn Jahre zuvor. Die | |
Angebotsmiete lag im Schnitt bei 11,09 Euro kalt pro Quadratmeter, 2008 | |
waren es noch 5,59 Euro. Es fehlt an Wohnraum, vor allem für Menschen mit | |
wenig Geld. | |
Auch die Kleingärten hat die Mietendebatte längst erreicht. Die | |
Grundstücke, die meist der öffentlichen Hand gehören, könnte man | |
schließlich [1][mit Wohnhäusern für viele bebauen], statt sie einigen | |
wenigen zum Gärtnern zu überlassen. | |
Aber ist das wirklich nötig? Was, wenn die Menschen in den Kleingärten | |
nicht nur gärtnern, sondern auch legal wohnen dürften? In Berlin gibt es | |
rund 71.000 Parzellen, auf denen Lauben stehen. Auf einen Schlag hätte man | |
viele Tausend verfügbare Unterkünfte mehr in der Stadt – und die Gärten | |
blieben trotzdem erhalten. Auch in Hamburg und Leipzig, Frankfurt und | |
München gibt es Zehntausende Kleingärten. Jeder Gärtner, der seine Wohnung | |
aufgibt und in die Laube zieht, würde Platz machen für andere. | |
„Wohnmodelle in Kleingärten sollten nicht behindert, sondern gefördert und | |
weiterentwickelt werden“, [2][schrieb Gastautorin Niña Boschmann im August | |
in der taz]. „Es fühlen sich alle wohl hier“, sagt auch Kleingärtnerin | |
Sabine Kügler. „Wir verstehen nicht, warum wir nicht offiziell hier wohnen | |
dürfen. Tiny Houses sind ja auch erlaubt.“ | |
Warum also werden die Vorschriften nicht geändert? Ist das | |
Bundeskleingartengesetz, das das Wohnen in den Lauben bislang verbietet, | |
noch zeitgemäß? | |
## Kügler würde gerne bleiben | |
Dienstagmittag in der Kolonie Eichengrund. Kügler setzt in der Küche einen | |
Tee auf. Es ist eng und etwas chaotisch hier drinnen, aber gemütlich. Die | |
Möbel wirken zusammengewürfelt, ein rotes Regal, weiße Hängeschränke. Herd, | |
Spülmaschine, nichts fehlt. Auf der Fensterbank trocknet Salbei. Vorhin hat | |
Kügler das Feuer im Ofen angeschürt, mit Holz, jetzt legt sie ein paar | |
Kohlebriketts nach. | |
Sabine Kügler, ihr ehemaliger Partner Thomas und die Kolonie Eichengrund | |
heißen in Wirklichkeit anders, auch weitere Angaben sind geändert. Würde | |
bekannt, wo Kügler wohnt, würden die Behörden möglicherweise eingreifen und | |
die Menschen aus ihren Lauben werfen. Für die Betroffenen wäre das fatal, | |
viele haben keine andere Bleibe. | |
Im Herbst 2017 lebte Kügler noch in einer großen, hellen Wohnung. Sie | |
arbeitete viel und verdiente gut. Dann verkrachte sie sich mit ihrem Chef, | |
wurde gekündigt. Weil sie keine Rücklagen hatte, habe sie das Geld für die | |
Miete bald nicht mehr aufbringen können, erzählt sie. Kügler, eine drahtige | |
Dunkelhaarige, hat früher Leistungssport gemacht, sie kann zäh sein. Als | |
jedoch auch noch ihre Mutter starb, brach sie zusammen. „Da ging nichts | |
mehr“, sagt sie. | |
Der Arzt attestierte ihr Depressionen und Panikattacken, sie selbst spricht | |
von Burnout. Kügler verkaufte das Auto, gab das Motorrad in Zahlung, | |
verschuldete sich. Aber es reichte nicht. Im Frühjahr zog sie zu Thomas, | |
von dem sie sich eigentlich getrennt hatte, in die Laube. Kügler legt die | |
Jahresabrechnung auf den Küchentisch. Hier zahlen sie zusammen nicht mal | |
1.000 Euro im Jahr für die Pacht und die Nebenkosten. | |
Inzwischen arbeitet Kügler längst wieder. 5.000 Euro Schulden habe sie | |
noch, die will sie nach und nach zurückzahlen, sagt sie. Mit der | |
Wohnungssuche hat sie gar nicht erst angefangen. „Ich habe ja einen | |
Schufa-Eintrag und gar kein Geld für die Kaution.“ Außerdem gefällt es ihr | |
im Kleingarten. Sie würde hier gerne wohnen bleiben. Wenn nur Thomas nicht | |
wäre. | |
Schon jetzt dürfte ein guter Teil der Berliner Lauben bewohnbar sein. Strom | |
haben die meisten der knapp 900 Kleingartenanlagen der Stadt. In der | |
Kolonie Eichengrund stellen sie das Wasser auch im Winter nicht ab, die | |
Leitungen liegen tief genug in der Erde. In wie vielen Kolonien das so ist, | |
kann der Landesverband der Gartenfreunde nicht abschätzen. | |
Küglers Laube verfügt über je eine Abwassergrube für Küche und Bad. Alle | |
drei Monate müssen sie geleert werden. Ob es nicht auffällt, wenn die | |
Gruben auch im Winter voll sind? Kügler winkt ab. „Das interessiert | |
keinen.“ Laut staatlicher Verwaltungsvorschrift sind „ortsfeste | |
Heizungsanlagen“ in den Lauben verboten. Viele PächterInnen haben dennoch | |
einen Ofen. Kügler sammelt das ganze Jahr über Holzreste und stapelt sie | |
außen an der Hauswand. Kohlen kauft Thomas im Baumarkt. Wenn es so mild ist | |
wie an diesem Dienstag, lässt sie sogar die Haustür offen, im Wollpulli | |
friert sie trotzdem nicht. | |
Wer illegal in einer Laube lebt, braucht eine offizielle Adresse. Kügler | |
hat sich in der Einzimmerwohnung eines Bekannten gemeldet, dort holt sie | |
regelmäßig die Post ab. Sie würde diese Heimlichtuerei gern beenden und | |
legal im Garten wohnen. Aber damit spricht sie nicht für alle Kleingärtner. | |
Auf eine Anfrage beim Landesverband Berlin der Gartenfreunde, in dem die | |
meisten Kleingartenvereine der Stadt organisiert sind, findet Vorstand | |
Michael Matthei auch nach mehreren Tagen keine Zeit für ein Gespräch, weder | |
bei einem Treffen noch am Telefon. Seine beiden Vertreter sind ebenfalls | |
nicht ans Telefon zu bekommen. „Schwieriges Thema“, sagt eine Mitarbeiterin | |
der Geschäftsstelle. | |
Schließlich erbarmt sich Marion Kwart, die sich bei den Berliner | |
Gartenfreunden um Medienanfragen kümmert und selbst Vorsitzende eines | |
Kleingartenvereins ist. „Wir pflegen die Natur, dafür zahlen wir eine | |
geringe Pacht und haben einen Kündigungsschutz“, sagt sie. Würde das Wohnen | |
in den Lauben legalisiert, ginge auch der Pachtzins hoch, die | |
Vergünstigungen für KleingärtnerInnen stünden infrage. Kwart sagt: „Wenn | |
man das umsetzt, sind wir weg.“ Auch eine andere Verbandsvertreterin warnt: | |
Ein solcher Vorstoß wäre eine „Katastrophe“. | |
„Kleingärtner wollen primär Sicherheit“ ist eine Pressemitteilung der | |
Gartenfreunde vom Oktober überschrieben, in der es um die Frage geht, ob | |
das Bundeskleingartengesetz noch zeitgemäß ist – allerdings in Bezug auf | |
andere Vorgaben: Bislang gilt für Kleingärten, dass Lauben nicht größer als | |
24 Quadratmeter sein dürfen und ein Drittel der Gartenfläche für den Anbau | |
von Obst, Gemüse oder Kräutern genutzt werden muss. Der Verband der | |
Gartenfreunde warnt vor den Risiken, wenn man diese Regelungen lockern | |
wollte. Würde man das Gesetz novellieren, böte das die Grundlage, „das | |
Kleingartenwesen abzuschaffen“. | |
Spricht man mit KleingärtnerInnen, dann wird ein Widerspruch deutlich: Die | |
meisten wissen, dass manche in ihren Lauben auch wohnen. Legalisieren | |
wollen das viele trotzdem nicht. Gerade bei den VerbandsvertreterInnen | |
klingt es so, als sei das Bundeskleingartengesetz ein sehr empfindliches | |
Gebilde, das, tippt man es nur an, zusammenzubrechen droht. | |
Um zu verstehen, wie es zum System der Kleingärten kam, muss man sich | |
[3][ihre Geschichte] ansehen. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden | |
in Norddeutschland die ersten „Armengärten“. Die Bevölkerung war sprungha… | |
angewachsen, ohne dass die Wirtschaft mitzog. Die Menschen litten Not. | |
Landesherren, aber auch Kirchen und Stadtverwaltungen verpachteten die | |
Grundstücke für wenig Geld an Arme, damit sie Obst und Gemüse anbauen | |
konnten. | |
In Leipzig hatte der Arzt Moritz Schreber die Idee, für kränkelnde Kinder | |
von Fabrikarbeitern Plätze auszuweisen, wo sie an der frischen Luft spielen | |
konnten. Nach seinem Tod legte ein nach ihm benannter Verein eine | |
Spielwiese an, im Jahr 1867 wurden drum herum Gemüse- und Blumenbeete | |
gepflanzt, der erste Schrebergarten. „Das waren sozialreformerische | |
Ansätze“, sagt Hanna Hilbrandt, die an der HafenCity Universität Hamburg | |
über Geschichte und Theorie der Stadt forscht. | |
## Kleingärten halfen nach Kriegen | |
In Berlin sind die Kleingärten untrennbar mit den Problemen der schnell | |
wachsenden Industriemetropole nach 1870 verbunden. Überbelegte | |
Mietskasernen und enge Hinterhöfe prägten das Leben der ArbeiterInnen. | |
Grundeigentümer verpachteten die Kleingärten zur Zwischennutzung ihrer | |
Flächen. Die Verträge waren befristet, die Pacht richtete sich nach dem | |
Markt. Als Gegenmodell zur kommerziellen Verpachtung verstand sich die | |
Pflanzerbewegung: BürgerInnen setzten auf brachliegenden Restgrundstücken | |
vor allem Kartoffeln zur Selbstversorgung. Damals kamen auch die | |
Eisenbahnergärten links und rechts der Gleise auf, die es teils immer noch | |
gibt. | |
Als mit dem Ersten Weltkrieg die Pachten explodierten, griff der Staat ein: | |
1919 wurde die „Kleingarten- und Kleinpachtlandordnung“ beschlossen. Sie | |
schuf erstmals Rechtssicherheit für die KleingärtnerInnen, der Pachtzins | |
wurde festgesetzt. Das ist bis heute so: Als Pachtzins darf höchstens „der | |
vierfache Betrag der ortsüblichen Pacht im erwerbsmäßigen Obst- und | |
Gemüseanbau“ verlangt werden, heißt es im Bundeskleingartengesetz. In | |
Berlin zahlt man für einen 300 Quadratmeter großen Garten deshalb im | |
Schnitt etwas über 100 Euro pro Jahr, in den Flächenländern liegt die Pacht | |
darunter. Hinzu kommen Vereinsbeiträge und andere Nebenkosten. | |
Im Zweiten Weltkrieg verloren Hunderttausende BerlinerInnen ihre Wohnung, | |
viele zogen in die Kleingärten. Der Architekt und Stadtrat Hans Scharoun | |
veröffentlichte 1945 Richtlinien, die es KleingärtnerInnen für fünf Jahre | |
erlaubten, in den Lauben zu wohnen. Die Gärten lieferten Nahrungsmittel für | |
die Stadt. Viele Lauben wurden in dieser Zeit zu stabilen kleinen Häusern | |
ausgebaut. | |
Auch in der Kolonie Eichengrund lebten die Leute damals legal. Einige | |
behielten ein offizielles Wohnrecht. „Dahinten das Haus, da wohnt eine | |
Frau, die ist auch hier gemeldet“, sagt Kügler am Dienstagnachmittag bei | |
einem Rundgang. | |
Die milchige Sonne steht schon tief. Manche Häuser liegen unberührt da, in | |
manchen Gärten plätschert ein Springbrunnen, ein Hund spielt auf dem Rasen. | |
Vor einem Haus steht ein Kinderfahrrad, der Schulranzen liegt noch hinten | |
im Korb. Die Hecken sind alle auf 1,25 Meter gestutzt. „Man soll die Gärten | |
einsehen können“, sagt Kügler, so wolle es der Vorstand des | |
Kleingartenvereins. | |
Sabine Kügler mag es lieber wild, aber damit ist sie in der Kolonie in der | |
Minderheit. Sie duscht im Sommer im Garten und schläft in lauen Nächten | |
manchmal draußen auf der Liege. Dass die NachbarInnen sie sehen können, | |
stört sie nicht. Viele RentnerInnen wohnen hier. Man grüße einander | |
freundlich, aber hintenrum werde viel geschimpft, sagt sie. | |
Jetzt, im Winter, ist alles kahl. Auf einer Wiese zwischen den Lauben | |
liegen noch ein paar gelbe Blätter. Einmal im Jahr gebe es hier eine Feier, | |
erzählt Kügler. „Da stehen sie morgens auf, machen sich schick und besaufen | |
sich. Bis 21 Uhr, dann sind alle hacke. Dann ist es ’ne Gemeinschaft.“ | |
Heute wollen sich in den Kleingärten viele vor allem erholen. In der DDR | |
spielten sie dagegen noch eine wichtige ökonomische Rolle. Ihre Erträge | |
waren auch zur Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln bestimmt. Die | |
Zahl der Gärten stieg stark. Da nicht genug Wohnraum vorhanden war, hätten | |
die Behörden Pächtern vereinzelt erlaubt, in den Lauben zu wohnen, sagt | |
Stadtforscherin Hilbrandt. „Da war die DDR sehr tolerant.“ | |
In Westdeutschland sank die Zahl der Kleingärten dagegen über die | |
Jahrzehnte. Angesichts des Wirtschaftswunders war der Anbau von Obst und | |
Gemüse dort nicht mehr nötig. Gerade in Großstädten gab es aber ab den 60er | |
Jahren deutlich mehr InteressentInnen als Gärten. 1983 wurde das | |
Kleingartengesetz verabschiedet, das noch immer gilt. Es sichert die | |
PächterInnen ab, macht aber eben auch Vorgaben: etwa die, dass der Garten | |
zum Gärtnern und zur Erholung genutzt werden darf, aber nicht zum Wohnen. | |
Heute gibt es in Deutschland über eine Million Kleingärten, viele davon | |
nach wie vor im Osten. Wäre es an der Zeit, angesichts der [4][Wohnungsnot] | |
in den Großstädten das Gesetz neu zu fassen und den PächterInnen ein | |
Wohnrecht zu geben, wie es das nach dem Zweiten Weltkrieg in Berlin schon | |
einmal gab? | |
In der Politik findet diese Idee wenig Zustimmung. Das zuständige | |
Bundesministerium für Bau teilt mit, das Kleingartengesetz habe sich | |
bewährt. „Eine Gesetzesänderung ist nicht geplant.“ Ein Sprecher verweist | |
auf die Pacht, die ja laut Gesetz an die Pachthöhe im Obst- und Gemüseanbau | |
geknüpft ist. „Diese Preisbindung lässt sich nur für eine ausschließlich | |
kleingärtnerische Nutzung rechtfertigen.“ | |
Auch in der Opposition überwiegt die Skepsis. Das Kleingartenwesen wäre mit | |
einem Wohnrecht passé, dabei brauche man die Gärten als Grünflächen, so | |
Caren Lay, wohnungspolitische Sprecherin der Linken. „Dass Menschen | |
zunehmend in ihren Kleingärten leben oder auch mehr und mehr in Wohnwagen | |
auf Campingplätzen ausweichen, ist Ausdruck der Wohnungskrise, kann aber | |
nicht die Lösung sein.“ | |
Daniela Wagner, in der Grünen-Bundestagsfraktion für Stadtentwicklung | |
zuständig, ist überzeugt: „Der Wohnraummangel in Berlin lässt sich rein | |
quantitativ nicht über die Kleingärten lösen.“ Der Druck auf die Gärten, | |
dort richtige Wohnhäuser zu bauen, würde mit einem Wohnrecht enorm wachsen. | |
Ihr wichtigstes Gegenargument ist jedoch ein anderes. „Ich fürchte, es | |
würden schnell Favelas entstehen“ – also Armensiedlungen wie etwa im | |
brasilianischen Rio. Die Erfahrung habe gezeigt, dass Wohngebiete mit | |
geballter Armut Gefahr liefen, kriminelle Strukturen zu entwickeln, sagt | |
Wagner. „Wir würden den Kolonien damit keinen Gefallen tun.“ | |
Im Bundestag ist Wohnen in Kleingärten bisher kein Thema, die | |
PolitikerInnen haben dazu keine vorformulierten Sätze parat. In ihren | |
Antworten schwingt auch Erstaunen darüber mit, dass das Kleingartengesetz | |
und der Status quo überhaupt so grundlegend hinterfragt werden. Die vielen | |
Menschen, die einen Kleingarten nutzen, könnte das auch verunsichern – für | |
PolitikerInnen ein Risiko. | |
Vielleicht ist es kein Zufall, dass der einzige Politiker, der sich für ein | |
Wohnrecht in Lauben ausspricht, keiner Partei angehört. „Wir brauchen | |
Wohnungen. Wenn die Leute gewillt sind, die Kleingärten umzunutzen, warum | |
nicht?“, sagt Siegbert Nimtz, Bürgermeister von Heidesee, einer kleiner | |
Gemeinde südöstlich von Berlin. | |
Bereits 2015, als es zu wenig Unterkünfte für Geflüchtete gab, schrieb | |
Nimtz einen offenen Brief an Angela Merkel und forderte ein Wohnrecht auf | |
Wochenendgrundstücken. Viele BerlinerInnen, die in seiner Gemeinde eine | |
Datsche hätten, würden dort gern ganz hinziehen und ihre Stadtwohnung | |
aufgeben, argumentierte er. Inzwischen dürfen Wochenendgrundstücke – die | |
oft größer und besser ausgestattet sind als Kleingärten und auch nicht | |
unter das Kleingartengesetz fallen – teilweise tatsächlich zum Wohnen | |
umgenutzt werden. | |
Für die Kleingärten gilt das nicht. Aber wer hindert die Leute eigentlich | |
daran, in den Lauben zu wohnen, auch wenn es verboten ist? | |
In den Bezirksämtern sind jeweils ein bis zwei Personen für die Kleingärten | |
zuständig. Die MitarbeiterInnen wenden sich manchmal an das Melderegister, | |
um zu erfahren, ob sich jemand unter der Adresse der Kleingärten gemeldet | |
hat. Ansonsten ist es fast unmöglich, nachzuweisen, dass jemand nicht nur | |
ab und zu in seiner Hütte übernachtet, sondern ständig dort lebt. | |
Im Kleingartengesetz steht, dass der Verpächter den Pächter kündigen kann, | |
wenn dieser dauerhaft in der Laube wohnt. Die Verpächter sind in den | |
meisten Fällen die Bezirksverbände der Gartenfreunde. „Wir machen | |
Begehungen in den Kolonien, aber es sind so viele Vereine, dass wir es | |
nicht jedes Jahr zu allen schaffen“, sagt die Vertreterin eines | |
Bezirksverbands. Illegale Anbauten oder Öfen ließen sie abreißen, wenn ein | |
Gärtner aufgibt und ein neuer übernimmt. Auch die örtlichen | |
Vereinsvorstände machten regelmäßig Begehungen. | |
## Verhandelbare Verhältnisse | |
Wenn in der Kolonie von Sabine Kügler eine Begehung stattfindet, werde vor | |
allem auf die Heckenhöhe geachtet, sagt sie. Beim Spaziergang am Nachmittag | |
durch die Kolonie zeigt sie auf eine größere Laube mit Terrasse. Eine Frau | |
aus dem Vorstand wohne darin. Dauerhaft. | |
„Viele der Verhältnisse, in denen wir leben, sind verhandelbarer, als wir | |
denken“, sagt Stadtforscherin Hanna Hilbrandt. Sie hat über informelles | |
Wohnen in Berliner Kleingärten promoviert und dafür mit KleingärtnerInnen | |
in vier Bezirken gesprochen, mit Bezirksverwaltungen und dem Senat, um | |
herauszufinden, wie das staatliche Regelwerk und die Praxis in den | |
Kleingärten zusammengehen. Unerlaubtes Wohnen gebe es nicht nur in Städten | |
des Südens, sondern eben auch hierzulande, so ein Ergebnis. „Die | |
Informalität entwickelt sich durch und mit den Regeln“, sagt die | |
Wissenschaftlerin. | |
Derzeit würden die Behörden das Wohnen in den Lauben vielerorts dulden, so | |
Hilbrandts Eindruck. Das Verbot radikaler durchzusetzen wäre angesichts der | |
Wohnraumknappheit auch nicht zu verantworten. „Die Duldung ist das | |
pragmatische und adäquate Mittel.“ | |
Auch Hanna Hilbrandt lehnt ein Wohnrecht in den Lauben ab. „Damit würde man | |
Wohnverhältnisse zweiter Klasse institutionalisieren“, sagt sie. Manche | |
Gärten hätten keinen vernünftigen Wasseranschluss, viele Lauben seien aus | |
minderwertigem Material gebaut und schlecht isoliert. „Es gibt andere | |
Möglichkeiten, leistbaren Wohnraum zu schaffen.“ | |
Doch man kann das auch anders beurteilen. Wasserleitungen, Dächer und | |
Fassaden ließen sich für den Winter isolieren. Ein Anschluss der Lauben an | |
die Kanalisation würde vielen KleingärtnerInnen das Leben erleichtern. All | |
das wäre deutlich weniger Aufwand, als neue Wohnhäuser zu bauen. Denn das | |
ist ja das Problem: Es entstehen in den Großstädten zu langsam zu wenige | |
Wohnungen für Menschen mit kleinen Einkommen. | |
Und wenn die grüne Abgeordnete Wagner vor der Entstehung deutscher Favelas | |
warnt, muss man sagen: Zum Teil wohnen Menschen mit wenig Geld ja bereits | |
in den Lauben, nur eben unterhalb des Radars – und mit ordentlich | |
getrimmten Hecken. Elendsviertel sind das nicht. | |
Wissenschaftlerin Hanna Hilbrandt sagt auch: Die rechtliche Unsicherheit | |
sei für die Menschen in den Gärten das größte Problem. Tatsächlich müssen | |
Kügler und ihre NachbarInnen immer damit rechnen, ihr Zuhause zu verlieren. | |
Die große Heimlichtuerei könnte man beenden – ließe man das Wohnen zu, | |
hätten die Menschen eine Perspektive. | |
Trotz alldem wird es ein Wohnrecht in den Lauben auf absehbare Zeit nicht | |
geben. Zu stark ist die Befürchtung bei Kleingartenverbänden wie | |
PolitikerInnen, möglicherweise eine große Verteilungsdebatte auszulösen, | |
wenn man an dem bestehenden Konstrukt rührt. Denn viel lauter würde dann | |
die Frage gestellt: Wer hat eigentlich ein Recht auf einen Kleingarten? | |
Für wenig Geld einen Garten zu besitzen ist schon heute ein Privileg. Ihn | |
zu bekommen ist weder an Bedürftigkeit noch an andere Bedingungen geknüpft. | |
Man muss sich in Wartelisten eintragen lassen und darauf hoffen, dass die | |
Vereine einen nehmen. In Berlin stehen 10.000 BewerberInnen auf den Listen, | |
heißt es von den Gartenfreunden. | |
Mancherorts hat man als Außenstehender auch mit viel Geduld wenig Chancen | |
auf einen Garten. Sabine Kügler sagt, bei ihnen werde alles unter der Hand | |
geregelt. „Du kannst dich hier auf die Warteliste setzen lassen. Aber wenn | |
du keinen kennst, kannst du es vergessen.“ Deswegen gebe es auch keine | |
Ausländer in der Kolonie. Kügler legt Zeige- und Mittelfinger auf die | |
Oberlippe. Hitlerbärtchen. | |
„Nur weil die Dinge im Kleinen von der Zivilgesellschaft verhandelt werden, | |
heißt das nicht, dass sie fair verhandelt werden“, sagt Wissenschaftlerin | |
Hanna Hilbrandt. An dieser Stelle fragt auch sie: Ist das | |
Bundeskleingartengesetz noch zeitgemäß? Sollte man nicht klare, gerechte | |
Vorgaben machen, wer einen Garten bekommt und wer nicht? Es gibt derzeit | |
einen Generationswechsel in den Kolonien, den könnte man steuern. | |
Bleibt das Gesetz, wie es ist, wird das Leben im Graubereich für Menschen | |
wie Kügler zum Dauerzustand. Sie selbst ist eine Meisterin des Informellen, | |
nicht nur was das Wohnen angeht. Die Wildschweinkeule, die für das | |
Abendessen in der Laube gesalzen in einer Schüssel liegt, hat ihr ein Jäger | |
gegeben, den sie kennt. Am Nachmittag hat sich beim Spaziergang durch die | |
Laube die Sohle an einem ihrer Lederschuhe gelöst. Ein befreundeter | |
Schuster werde sie ihr kleben. Ihr Auto, das vor der Kolonie parkt, ist | |
kaputt, ein anderer Bekannter hat versprochen, es zu reparieren. | |
„Ich hab immer meine Leute, das ist mein Kapital“, sagt Kügler. Dafür hil… | |
auch sie, wenn sie kann. Sie kocht für andere, putzt oder arbeitet im | |
Garten. Es ist ein großes Geben und Nehmen, formlos, ohne Bezahlung. | |
## Bis zum Sommer durchhalten | |
Und obwohl das alles im Alltag gut funktioniert und Kügler dank ihrer | |
vielen Bekannten und der niedrigen Pacht wenig Ausgaben hat, lebt sie in | |
Not, immer wieder. Das liegt an der finanziellen Unsicherheit, die sie seit | |
Jahren umtreibt. | |
Aber vor allem liegt es an Thomas. Der flippt manchmal aus. Wenn sie sich | |
streiten, stelle er sich direkt vor sie und schreie sie an, erzählt sie. Ab | |
und an schubst er sie auch, sodass sie fällt. Sie hat sich danach schon mal | |
selbst mit dem Handy fotografiert, ihre Wange ist auf dem Bild bläulich | |
verfärbt. „Ich bleibe dann eine Nacht bei einer Freundin“, sagt sie. Die | |
NachbarInnen hören den Streit, die Häuser stehen ja eng beieinander. „Sie | |
fragen hinterher: Wat haste wieder jemacht? Haste ihn jeärgert?“, erzählt | |
sie. | |
Kügler versucht, ihre Arbeitsschichten so zu legen, dass sie Thomas nur | |
wenig sieht. Aber immer klappt das nicht. Sie wird leiser, wenn sie über | |
ihn spricht. „Ich muss kieken, dass ich hier wegkomme.“ Damit meint sie | |
ihn, nicht die Kolonie. Sie hat sich auf die Warteliste für einen eigenen | |
Kleingarten im Eichengrund setzen lassen. Aber erst mal muss sie die | |
Schulden abarbeiten. Sie sagt: „Nächsten Sommer bin ich vielleicht soweit, | |
bis dahin muss ich irgendwie durchhalten.“ | |
Am Abend nach dem Treffen schickt Kügler noch eine SMS. Sie will, wenn es | |
warm wird, zum Grillen in den Garten einladen. Sie schreibt: „Ich liebe es, | |
hier zu leben.“ | |
7 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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