# taz.de -- Forscherin zu kleinen Häusern: „Man muss sich einschränken“ | |
> Ein ganzes Haus auf 10 bis 40 Quadratmetern? Das bieten sogenannte Tiny | |
> Houses. Julia Susann Helbig erklärt, warum die Minihäuser so gefragt | |
> sind. | |
Bild: Klein und fein: Tiny House in Weimar | |
taz: Frau Helbig, [1][was hat ein kleines Haus], was ein durchschnittliches | |
Haus oder eine Wohnung nicht hat? | |
Julia Susann Helbig: Auf den ersten Blick bieten Tiny Houses alles, was wir | |
in unserer Gesellschaft zu den grundsätzlichen Ansprüchen einer Wohnung | |
zählen würden: eine Küche oder zumindest eine Kochnische, ein Bad sowie | |
einen Wohn- und Schlafbereich. Aber: Die starke Reduktion des Wohnraums ist | |
es, was ein durchschnittliches Haus nicht hat. Tiny Houses haben meistens | |
nur 10 bis 40 Quadratmeter Fläche. Man muss sich also beim Gestalten, | |
Einrichten und Wohnen zwangsläufig einschränken und Prioritäten setzen. | |
[2][ Es geht also um Verzicht? ] | |
Nein, eher im Gegenteil. Das Beschränken ist Zweck und Ziel dieser | |
Wohnform. Es geht quasi um ein Gegengewicht zum gesteigerten Konsum und | |
Überfluss. Und natürlich um einen ganz praktischen Vorteil: um | |
Flexibilität. Es gibt mobile Formen auf Rädern, mit denen etwa ein Umzug | |
beispielsweise in eine andere Stadt mit dem Eigenheim möglich wird. Das hat | |
ganz viel mit Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit zu tun. | |
Was für Menschen entscheiden sich für ein Tiny House? | |
Natürlich sind Tiny Houses etwas, das gerade im Trend liegt. Aber sie | |
adressieren ganz unterschiedliche Bedürfnisse und fügen sich in ein paar | |
aktuelle Entwicklungen ein. Zum Beispiel nimmt die Zahl der Haushalte, in | |
denen mehrere Personen leben, ab. Gleichzeitig sehen wir, besonders in | |
Ballungsräumen, stark steigende Mieten. | |
Dazu kommt: Minihäuser haben meist einen geringen Energiebedarf, sind also | |
umweltfreundlicher. Auch das kann ein Beweggrund sein, sich für diese | |
Wohnform zu entscheiden. Und sie sind eine Geldanlage, und zwar in einem | |
recht überschaubaren Rahmen. Wenn man einiges selber macht und sich nicht | |
für eine Luxusvariante entscheidet, kann man ein Tiny House schon für | |
10.000 Euro bekommen. Eine Wohnung gibt es dafür vielerorts nicht. | |
Und welche Rolle spielt der Minimalismus-Gedanke? | |
Der zieht sich quasi durch alle Ebenen durch. Die Minihäuser ermöglichen | |
ihren Bewohnerinnen und Bewohnern, ein minimalistisches und bewussteres | |
Leben zu leben und das auch zum Ausdruck zu bringen. Dazu kommt: Die | |
Akteure der Tiny-House-Bewegung sehen in der Konsumkultur marktorientierter | |
Wirtschaftssysteme eine Ursache aktueller globaler Konflikte. | |
Die Lösung dafür sehen sie im Downsizing. Und da gehört alles mit rein: ein | |
bewusstes Verkleinern, quasi ein Gesundschrumpfen des gesamten Lebensstils, | |
ein eingeschränktes Konsumverhalten, eine ökologisch verantwortungsvolle | |
Lebensweise, und im Ergebnis ein Wandel hin zu einer Postwachstumsökonomie. | |
Jetzt ist ja materieller Verzicht in Zeiten der Digitalisierung auch | |
einfacher zu leben. Musik, Filme, Bücher, Kalender, Tagebücher – ganz viel | |
lässt sich mittlerweile durch digitale Pendants ersetzen, das schafft | |
Platz. | |
Ja, es ist natürlich reizvoll, damit den materiellen Besitz zu reduzieren. | |
Aber die Digitalisierung von Inhalten wird in Minimalismus-Kreisen auch | |
kritisch diskutiert. Die Kritik: Das Vorgehen, Inhalte in diesen digitalen | |
Bereich zu verschieben, schaffe nur oberflächlich Freiheit, führe aber | |
letztendlich nicht zu wirklicher Achtsamkeit und Klarheit. Denn eigentlich | |
geht es ja beim Minimalismus nicht darum, die Dinge aus dem Blickfeld zu | |
haben. Sondern darum, sich bewusst mit Dingen, und seien sie digital, | |
auseinanderzusetzen. | |
Sich bewusst einschränken, heißt aber auch, man hätte die Möglichkeit, es | |
nicht zu tun. | |
Ja, natürlich setzt ein bewusster Verzicht voraus, dass man die Wahl hat. | |
Allerdings ist hier nicht immer ganz klar, wo die Linie verläuft zwischen | |
bewusster Distinktion und einer kapitalbewahrenden Strategie, die sozusagen | |
aus der Not eine Tugend macht. | |
Gegenstände stehen häufig für Bindungen. Zu anderen Menschen oder auch zu | |
sich selbst. Was bedeutet es, auf Materielles verzichten zu können? | |
Wer sich von Gegenständen trennt, setzt sich mit seiner eigenen | |
persönlichen Geschichte und Identität auseinander. Wer Besitz reduziert, | |
leistet so gesehen auch Identitätsarbeit. Auf Materielles verzichten zu | |
können, kann aber auch zeigen, wie jemand von anderen verstanden werden | |
will: Zum Beispiel als Person, die nichtmateriellen Bereichen des Lebens | |
mehr Beachtung schenkt. Damit werden andere Lebensbereiche aufgewertet, wie | |
die geteilte Zeit mit Freunden und der Familie, das Pflegen von Hobbys oder | |
das Praktizieren eines spirituellen Weges. | |
8 Jan 2020 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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