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# taz.de -- Tiny Houses im Norden: Sehnsucht nach dem Dorf
> Mehr als eine Design-Mode: für ein paar PionierInnen ist das Tiny House
> Ausgangspunkt für ein anderes Leben und Arbeiten auf dem Land.
Bild: Klein und transportabel soll es sein: das kleine Haus könnte die Idee vo…
Hamburg taz | Was interessiert die Leute an den Tiny Houses, diesen sehr
kleinen Häusern, die man als Fotostrecken in Magazinen aller Art angucken
kann? Sind sie die Antwort auf Mobilitätskollaps und [1][städtische
Wohnungsnot], weil mit ihrer Hilfe die Menschen auf dem Land leben und auch
arbeiten können? Oder stehen sie eher im Rang einer neuen Verkaufsidee bei
Tchibo, zwischen Kreuzfahrten und Kaffee?
Sind sie das neue Spielzeug für Yuppies, denen die städtische
Eigentumswohnung zu langweilig geworden ist, oder die Keimzelle für
gemeinschaftliches Wohnen jenseits der Metropolen? Und, als Fußnote, kann
es sein, dass komprimierte transportable Wohnfläche vieles, aber nicht neu
ist, sei es als Trailer Home für Prekäre in den USA oder als Bauwagen in
der alternativen Szene?
Vorab gesagt, gibt es wie üblich keine eindeutige Antwort, außer der einen:
Tiny Houses sprechen die Leute so unwillkürlich an wie der Anblick junger
Hunde. Es scheint, so meint zumindest einer, der mit ihrer Hilfe
gemeinschaftliches Arbeiten auf dem Land etablieren will, dass sie das
Wohlgefallen eines Steinzeitmenschen an einer Höhle anklingen lassen.
Bei Oliver Victor im schleswig-holsteinischen Schmilau ist die Leidenschaft
für das Gestalten kleiner Behausungen aller Art sehr deutlich. Er selbst
lebt seit über 20 Jahren in einem zu einer Lokomotive umgebauten
Eisenbahnwaggon auf 24 Quadratmetern. Die Lokomotive hat nach vorn hin ein
riesiges buntes Rosettenfenster und oben einen ebenso riesigen Schornstein.
Und auch die übrigen Waggons, die Victor für seine Erlebnisbahn umgebaut
hat, scheinen aus fantastischen Eisenbahnerträumen zu stammen, einer ist
einem Holzstapel nachempfunden, einer einem Zirkuswagen – und in einem Baum
hängt die Nachempfindung eines 1945 explodierten Waggons.
Aber die Hochzeiten der Erlebnisbahn sind vorbei, was unter anderem an
einer Nachforderung des Finanzamtes liegt, aber auch an den hohen
Personalkosten seit Einführung des Mindestlohns, gegen den Victor, das
betont er, grundsätzlich nicht wettern will. Zusammengenommen hat es dazu
geführt, dass der 54-Jährige, der als Programmierer begonnen hat, den
Erlebnisbahnbetrieb stark gedrosselt hat. Was tut jemand, dem es ohne ein
neues Projekt schlecht zu gehen scheint und der doch gebranntes Kind ist
durch eines, das schwierige Kurven genommen hat?
## Eine neue Art von Gemeinschaft
Oliver Victor beugte sich noch einmal über den Bebauungsplan für die 14
Kilometer lange Strecke zwischen Ratzeburg und Hollenbek, die er 2003
gekauft hat, und dachte: „Da ist doch freie Fläche.“ Nun soll dort die
Tiny-House-Siedlung [2][„Lilleby“] entstehen mit acht Kleinsthäusern und
einem Gemeinschaftshaus. Zwei fertige Häuser stehen dort schon zum Verkauf
und zwei Plätze für Stellwägen sind ausgehoben. Wenn alles klappt wie
geplant, werden im März dort zwei Paare ihre Tiny Houses abstellen. Das
eine Paar pendelt nach Lübeck, das andere nach Hamburg.
Oliver Victor stellt sich vor, dass auch im Gemeinschaftshaus, einem alten
Backsteinbau, den er gerade umbaut, gearbeitet werden könnte. Die
rechtliche Konstruktion ist kompliziert: Auf dem Bahngelände darf man
nicht wohnen, sondern nur beherbergen. Das geht für ein halbes Jahr, dann
müssen die Tiny-House-BewohnerInnen zumindest eine Nacht im
Gemeinschaftshaus übernachten. Aber das Ganze hat für Victor Bedeutung
jenseits des rechtlichen Schlupflochs: Auf dem Gelände will er eine neue
Art des Wohnens ermöglichen, eine, bei der man Privatsphäre im Tiny House
hat und dann mit drei Schritten im Gemeinschaftshaus eine gemeinsame Küche
findet und ein Arbeitszimmer in direkter Nachbarschaft zu den anderen.
Victor wäre nicht Herr eines Geländes, das wirkt wie eine
schleswig-holsteinische Eisenbahnervariante von Coney Island, wenn er nicht
noch mehr Pläne hätte: Warum nicht ein kleines Seminarzentrum, ein Fab-Lab,
ein Coworking-Space, also eine offene Werkstatt und geteilte Büros? Und,
wenn man das weiter denkt, könnte das eine Gegend beleben, in der der
demographische Wandel so spürbar ist, dass Victors Getränkelieferant
darüber nachdenkt, das Liefern einzustellen, weil er keine Fahrer findet.
Auch Ulrich Bähr denkt als Geschäftsführer der Genossenschaft
[3][CoworkLand] in Schleswig-Holstein über das Arbeiten auf dem Land nach.
Das Prinzip ist einfach: Mit gemeinsamen Arbeitsräumen haben ansonsten
vereinzelte Berufstätige aller Art eine Anlaufstelle. Und das können als
Einstiegs- und Probierstation Tiny Houses sein. Was deren Verwendung als
Lebensmittelpunkt in Siedlungsform anbelangt, ist Bähr skeptischer: „Wollen
Leute, die sich ein Tiny House kaufen, auf engem Raum mit anderen leben?“,
fragt er eher rhetorisch. „Das ist emotional nicht so weit weg vom
Trailerpark.“ Es sei denn, es gäbe eine gemeinsame, entwickelte Fläche.
Was wünscht sich der Tiny-House-Freund, die Tiny-House-Freundin? Hört man
Jean-Pierre Jacobi zu, der Vorstand bei Coworkland ist und
Tiny-House-InteressentInnen berät, dann ist das Spektrum groß und einige
der Anfragen hatten mit der Idee von Ressourcenschonung und freiwilliger
Begrenzung wenig zu tun. Etwa das Tiny House, das dann auf einer Messe ein
Smart House für 150.000 Euro repräsentieren soll. Wie man ja auch fragen
kann, was ein zusätzliches Wochenendhaus mit Ressourcenschonung zu tun hat.
## Klein, aber teuer
Überhaupt, das Geld: Jacobi sagt, dass viele der Anfragenden an den Kosten
für ein Tiny House scheiterten. Wer ein Tiny House von 14 bis 20
Quadratmeter für 50.000 bis 80.000 Euro kauft, bekommt wenig Quadratmeter
für sein Geld.
Jacobi hat seinen Schwerpunkt vom Selberbauen darauf verlegt, Menschen, die
sich ein Tiny House wünschen, zu beraten. Vom Tiny-House-Bau könnten nur
die Betriebe leben, die auch andere Bauaufträge erfüllten – dann seien die
Auftragsbücher aber auch voll. Kein Wunder in Zeiten, in denen die
Campingplatzbetreiber die Tiny-Häuser als weiteres Element entdecken.
Häufig sind es alleinstehende Frauen, die nicht allein alt werden wollen,
die bei Jakobi anfragen. Die ihre Kinder auf 120 Großstadtquadratmetern
groß gezogen haben, die sie nun nicht mehr brauchen – und daraus
Konsequenzen ziehen wollen. Wo haben diese Häuser ihren Sinn? Auf dem Land,
wo doch eigentlich Platz ist und die Fallstricke eher die Tücken des
Baurechts sind, weil Tiny-Häuser oft nicht in die vorhandenen
Bebauungspläne passen? In der Stadt, wo Wohnraum knapp und teuer ist und
Tiny-House-Siedlungen wie die in Hannover bereits von der Einstöckigkeit
abrücken, weil sie Platz verschwenden?
„Auf dem Land neue Arbeit zu schaffen“, sagt Jacobi, „darin liegt eine
Lösung für mich – in der Hoffnung, dass man dadurch Probleme in der Stadt
löst.“ Aber dann macht er doch noch einen Schlenker zu den Bauwagenplätzen,
die er für unzugänglich für Außenstehende hält, aber doch auch für
vorbildlich. Nämlich darin, wie sie sich Brachflächen in der Stadt nehmen.
Vielleicht, so denkt er laut, könnte es temporäre Stellplätze geben für
Camper, Tiny-Häusler und andere, die aus dem klassischen Wohnschema
herausfallen.
Als Verheißung sieht Jacobi die Tiny Houses aber fürs Land. Dort hätten sie
das Potenzial, „Selbstbestimmtheit und finanzielle Unabhängigkeit gerade im
Alter zu ermöglichen“. Weil mit ihrer Hilfe das Prinzip Dorfgemeinschaft
neu gedacht werde, in überschaubaren Siedlungen mit einem
Mikrogenerationenvertrag. „Es sind Visionen vom Leben, die gerade in
Planung sind“, sagt Jacobi, „und es gibt ein stetiges Arbeiten dafür.“
Etwa von Karin Glaser, die im Raum Eckernförde eine Gemeinschaft mit 40 bis
60 Leuten gründen will. Für sie ist das Leben im Tiny House Ausdruck einer
inneren Haltung und „das Wichtigste daran ist, die Landschaft zu schonen“.
Es soll eine vielfältige [4][Gemeinschaft] sein, eine mit unterschiedlichen
finanziellen Mitteln, mit Alten und Jungen, Menschen mit und ohne Handicap.
Bisher interessieren sich vor allem ältere Frauen und jüngere Paare ohne
Kinder für das Projekt. Aber die 72-jährige Glaser ist auch nach
Schlaganfall und zwei gescheiterten Anläufen so zuversichtlich, dass es
nahezu durchs Telefon leuchtet. Gerade ist endlich eine geeignete Fläche in
Aussicht und sie hofft, die Politik davon zu überzeugen, das Ganze als
Modellprojekt zu begleiten. Es scheint, als seien die alten Frauen die
echten Pionierinnen auf dem Land.
6 Mar 2020
## LINKS
[1] /Bewohnerin-Franz-ueber-Tiny-Houses/!5663988
[2] https://lilleby.de/
[3] https://coworkland.de/fuer-coworker
[4] https://in-harmony.be/Projekt-TINYBY/
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Strukturwandel
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Architektur
Wohnprojekt
Schwerpunkt Stadtland
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