| # taz.de -- Gegen die Enteignung von Kleingärten: Macht die Lauben zu Wohnungen | |
| > Kleingärten sind als spießig verschrien und werden von Behörden als | |
| > Reservefläche angesehen. Dabei haben gerade sie Potenzial als neue | |
| > Wohnmodelle. | |
| Bild: Wo ist ein solches Paradies zu finden? Kleingärten sind keine natürlich… | |
| taz-Redakteur Paul Wrusch vertrat vergangene Woche die These, [1][dass | |
| Kleingärten zugunsten von Wohnungen enteignet werden sollen]. Die frühere | |
| taz-Autorin Niña Boschmannn war eine von vielen LeserInnen, die in einem | |
| Brief dagegen protestierten. Hier schreibt sie nun eine Gegenthese. | |
| Wohnen in Lauben statt Gärten enteignen. Morgens inmitten eines | |
| Vogelkonzerts aufwachen, das die Geräusche des beginnenden Berufsverkehrs | |
| übertönt. Der erste Blick geht ins Grüne. Der zweite auch. Ein paar | |
| Schritte führen – je nach Jahreszeit – nach draußen zu frischen Radiesche… | |
| Salat, Beeren, Gemüse, Äpfeln oder Kürbissen. Bienen und Schmetterlinge | |
| haben ihr Tagewerk schon auf einer kleinen Blumenwiese begonnen, ihr Surren | |
| kündigt die aufgehende Sonne an. Eine Nachbarin fragt freundlich über den | |
| Zaun, ob Zucchini benötigt werden, man habe zu viele. | |
| Ein Blick ins Innere des Gebäudes. Wohnen auf einer Ebene. Alles ist | |
| überschaubar, ansprechend gestaltet, einfach, aber praktisch. Ebenso kind- | |
| wie altersgerecht. Nachher kommen die Enkel. Nie ist ihnen langweilig. Sie | |
| spielen mit Holz, Wasser und Steinen und mit den Kindern von nebenan. Sie | |
| sind dabei nicht in Gefahr. Die Wege der Umgebung sind für den | |
| Durchgangsverkehr gesperrt. | |
| Wo ist ein solches Paradies zu finden? In vielen der Berliner Kleingärten, | |
| überwiegend außerhalb des S-Bahn-Rings, aber noch in der Stadt gelegen. Ein | |
| bedrohtes Idyll und angesichts der Bedingungen auf dem Berliner | |
| Wohnungsmarkt eine wichtige Vision für zukünftiges Leben in der Stadt. | |
| ## Gärten als natürliche Feinde des Wohnungsbaus? | |
| Die vor einer Woche an dieser Stelle veröffentlichte Polemik gegen die | |
| vermeintliche Privilegierung der spießigen Pächter der Berliner Kleingärten | |
| greift ebenso zu kurz wie die amtliche Betrachtung der Gärten als | |
| „Flächenreserve“, auf welche die Verwaltung bei Bedarf für den Bau von | |
| Infrastruktur zugreifen kann. Vielmehr gilt es zu begreifen: Die | |
| Eliminierung von Gärten findet seit Jahren statt, und es wäre im Interesse | |
| aller wohnungs- und umweltbewegten Menschen, sich dem entgegenzustellen. | |
| Autor Paul Wrusch befürwortet, weitere 20 Prozent der Kleingärten in Berlin | |
| zum Zwecke des Wohnungsbaus zu enteignen, weil es sich um ein auslaufendes | |
| Modell handele, ineffizient im Hinblick auf die Produktion von | |
| Nahrungsmitteln, ohne Zusatznutzen angesichts existierender Parks und | |
| Grünflächen, eine Verschwendung knapper Ressourcen sozusagen. Gärten als | |
| natürliche Feinde des Wohnungsbaus? Eine solche Haltung ist bemerkenswert, | |
| geht sie doch weit über das hinaus, was die Berliner Verwaltung in ihren | |
| kühnsten Träumen wagt, den Bürgern zuzumuten. | |
| Über Jahre wurde zwischen Verwaltung und Politik um die Erstellung eines | |
| mittelfristigen „Kleingartenentwicklungsplans“ bis 2030 gerungen. Der im | |
| Frühjahr vorgestellte Entwurf sieht vor, dass im kommenden Jahr 15 Anlagen | |
| („Kolonien“) [2][komplett geräumt] und rund 430 Gärten (von stadtweit | |
| 71.000) dem Erdboden gleichgemacht werden. Die Erfahrungen mit früheren | |
| Räumungen lassen nichts Gutes erwarten: Abgesehen vom Leid der Nutzer waren | |
| zu beobachten: jahrelange Brachen, erneute informelle Besiedelung, | |
| Mülldeponien, Verwahrlosung. Und kein erschwinglicher Wohnraum, nirgends. | |
| Gleichzeitig werden die ohnehin restriktiven Regelungen des | |
| Bundeskleingartengesetzes von 1983 zunehmend noch restriktiver gehandhabt: | |
| Wo immer ein Kleingarten den Besitzer wechselt, wird genau ermittelt, | |
| welche Merkmale der dort existierenden Lauben das „dauerhafte Wohnen“ | |
| fördern könnten und die Pächter erhalten entsprechend strenge Auflagen: | |
| Anbauten müssen entfernt, Schornsteine versiegelt, Dachgauben und Terrassen | |
| zurückgebaut werden. | |
| ## Wohnmodelle in Kleingärten sollten gefördert werden | |
| Parallel zu diesem Prozess machen sich reputierte Architekten weltweit (im | |
| Sommer 2018 auch auf dem Bauhaus-Campus in Berlin) Gedanken über das | |
| moderne Wohnen in Kleinsthäusern (tiny houses), transportablen Gebäuden | |
| (mobile homes) und Ausbauhäusern (incremental housing) mit dem Ziel, | |
| Flächenverbrauch, Mobilitätsbedürfnisse und soziale Gesichtspunkte sowie | |
| die Ressourcen einkommensschwacher Schichten unter einen Hut zu bringen. | |
| Allein, es fehlt an Standorten, um derartige Modelle einem Praxistest zu | |
| unterziehen. | |
| Wer in einer solchen Gemengelage pauschal das Ende der Kleingärten | |
| zugunsten des Wohnungsbaus beschwört, folgt nicht dem Gemeinwohl, sondern | |
| spielt benachteiligte Gruppen (hier: Pächter von Kleinparzellen versus | |
| Wohnungssuchende mit niedrigem Einkommen) gegeneinander aus. | |
| Die Gegenthese lautet daher, dass Wohnmodelle in Kleingärten nicht | |
| behindert, sondern gefördert und weiterentwickelt werden sollten. | |
| Die aktuell noch 71.000 Kleingärten in der Hauptstadt leisten mit der | |
| intensiven gärtnerischen Nutzung und ihrer niedrigen und kontrollierten | |
| Flächenversiegelung einen erheblichen Beitrag zum Schutz des | |
| innerstädtischen Klimas, zur Erhaltung von Arten- und Sortenvielfalt und | |
| zur Verbreitung von grundlegendem Wissen über ökologischen Anbau. Es würde | |
| Jahrzehnte dauern, diese Vielfalt auf „Abstandsflächen“ zwischen Neubauten | |
| wieder herzustellen, sowohl in sozialer wie in ökologischer Hinsicht. | |
| ## Viele würden in Kleingärten dauerhaft wohnen | |
| Die Kolonien sind bereits heute für die Öffentlichkeit zugänglich, viele | |
| bieten Führungen für Interessierte an. Verbände der Kleingärtner arbeiten | |
| intensiv mit Umweltorganisationen wie der Grünen Liga zusammen. Flächen, | |
| die an Landschaftsschutzgebiete grenzen, werden aktiv geschützt und in | |
| Kooperation mit den Behörden gemanagt. | |
| Ein erheblicher Teil der heute existierenden Lauben in Gärten in Berlin | |
| wäre bereits jetzt zum Wohnen geeignet, wenn dies nicht untersagt und mit | |
| immer neuen Regelungen unmöglich gemacht würde. Die Lösung des | |
| Wohnungsmangels sollte grundsätzlich im Bestand ansetzen, auch um den | |
| Flächenverbrauch zu begrenzen. | |
| Der Aufwand, in Gartenkolonien Wohnraum im Bestand zu schaffen, ist | |
| vielerorts überschaubar: Wasserleitungen könnten für den Winter isoliert | |
| werden, die Isolierung von Dächern und Fassaden wie bei anderen Gebäuden | |
| gefördert werden, die Nutzung der aktuell zur Versiegelung angeordneten | |
| Schornsteine für Heizzwecke erlaubt werden, die Kolonien ans öffentliche | |
| Abwassernetz angeschlossen werden. | |
| Die meisten der überwiegend einkommensschwachen Pächter von Schrebergärten | |
| haben keine hohen Ansprüche. Sie sind gewohnt und in der Lage, selber Hand | |
| anzulegen. Viele würden sich mit Freuden dauerhaft dort niederlassen und | |
| ihre aktuellen Meldeadressen in der Innenstadt stünden dann dem | |
| Wohnungsmarkt zur Verfügung. | |
| ## Vereine werden bunter und moderner | |
| Gartenkolonien halten ihre Infrastruktur – Wege, Wasserleitungen, | |
| Straßenbeleuchtung, öffentliche Plätze und Begleitgrün – weitgehend mit | |
| eigenen Mitteln und Arbeitsleistungen der Mitglieder instand. Preiswerter | |
| können Staat und Öffentlichkeit die Erhaltung von Stadtgrün, Infrastruktur | |
| und Wohnraum nicht bekommen. | |
| Spekulationen über die Gesinnung der Pächter im Vergleich zur Gesinnung von | |
| Wohnungssuchenden (welchen?) sind in diesem Zusammenhang übrigens wenig | |
| zweckdienlich, da in beiden Gruppen Umwälzungen stattfinden: Immer größere | |
| Teile der Mittelschicht müssen einen immer größeren Teil ihres Einkommens | |
| fürs Wohnen aufwenden und suchen daher nach neuen Modellen. | |
| Gleichzeitig [3][stirbt die Generation der Nachkriegspächter von | |
| Kleingärten aus] und die Vereine werden bunter, moderner und vielfältiger. | |
| 2 Aug 2019 | |
| ## LINKS | |
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| [3] /Historiker-ueber-Kleingaerten/!5581797 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Boschmann | |
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