# taz.de -- Nach der Europa-Wahl: EU-Parlament durcheinandergewirbelt | |
> Weder Konservative noch Sozialdemokraten haben eine Mehrheit – wer wird | |
> die Kommission leiten? Unterdessen gewinnen Liberale, Grüne und Rechte. | |
Bild: Wer wird nachgeben? Frans Timmermans und Manfred Weber haben jeweils kein… | |
BRÜSSEL taz | Mit einer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung haben die Bürger | |
der EU die Karten im [1][Europaparlament völlig neu gemischt]. Die | |
Straßburger Kammer wird grüner und liberaler, wie das vorläufige Ergebnis | |
der Europawahl zeigt. | |
„Es ist fantastisch, so viel Vertrauen zu bekommen“, freute sich die | |
Spitzenkandidatin der Grünen, Ska Keller. „Das Monopol der Macht ist | |
gebrochen“, erklärte Margrethe Vestager von den Liberalen. Die etablierten | |
Parteien müssten die Macht teilen und mit dem Status Quo brechen. | |
Doch die „grüne Welle“ und die liberale „Renaissance“ haben ihren Prei… | |
Erstmals seit 1979 stehen die zwei größten Blöcke – die Europäische | |
Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokraten (S&D) – ohne eigene Mehrheit da. | |
Die politische Mitte, auf die sich die EU bisher wie selbstverständlich | |
stützte, ist geschrumpft und zersplittert. | |
Am Wahlabend trösteten sich die Etablierten damit, dass sich die Menschen | |
endlich wieder für Europapolitik begeistern. Die Wahlbeteiligung lag mit | |
50,5 Prozent höher denn je in den letzten 20 Jahren. Damit habe sich die | |
Kampagne des Parlaments („Diesmal wähl’ ich“) ausgezahlt, freute sich | |
Parlamentssprecher Jaume Duch Guillot. | |
Dies sei eine gute Nachricht für die europäische Demokratie, erklärten | |
Politiker aller Parteien. „Die EU-Demokratie lebt“, sagte | |
EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber. Die hohe Beteiligung sei ein „Signal für | |
den Wandel“, erklärte sein Rivale Frans Timmermans von der S&D. | |
## Italienische Lega gibt den Ton bei den Rechten an | |
Die schlechte Nachricht ist, dass die Rechtspopulisten und Nationalisten | |
trotz massiver Warnungen der proeuropäischen Parteien erneut zugelegt | |
haben. In Italien und Belgien führt kein Weg mehr an ihnen vorbei. In | |
Frankreich liegen die Rechten sogar vor der Regierungspartei LREM von | |
Präsident Emmanuel Macron. | |
Nationalisten-Führerin Marine Le Pen kam auf rund 24 Prozent der Stimmen, | |
Macrons Bewegung nur auf 22 Prozent. Nun peilt Le Pen eine neue Allianz mit | |
der italienischen Lega, [2][der deutschen AfD] und anderen Rechtsparteien | |
an. | |
Die Lega dürfte dabei den Ton angeben – sie kam nach Schätzungen auf 32 | |
Prozent. Insgesamt dürften die Rechtspopulisten und Nationalisten im neuen | |
Europaparlament 58 Sitze erobern. Bisher gehörten der Fraktion Europa der | |
Nationen und der Freiheit (ENF) nur 36 Mitglieder an. | |
Den größten Zuwachs erzielen allerdings die Liberalen. Sie dürften von 67 | |
auf 107 Sitze anwachsen und könnten somit das Zünglein an der Waage | |
spielen, wenn es um die Wahl des nächsten EU-Kommissionspräsidenten geht. | |
Ein gewichtiges Wort wollen aber auch die Grünen mitreden. Ihre Fraktion | |
hätte laut der Projektion nun 70 Sitze – 20 mehr als zu Beginn der | |
Wahlperiode 2014. „Diese Wahl ist ein gesamteuropäisches Signal für mehr | |
Klimaschutz“, jubelte Keller. „Das Ergebnis verstehen wir als Auftrag, bei | |
diesem Thema nun endlich für Handlungen zu sorgen.“ Ihr grüner | |
Parlamentskollege Sven Giegold sprach sogar von einem „Sunday for Future“. | |
## Schwierige Koalitionsverhandlungen | |
Demgegenüber herrschte bei den Sozialdemokraten der Katzenjammer. Das | |
Wahlergebnis sei eine „tiefe Enttäuschung“, sagte der SPD-Politiker Udo | |
Bullmann. „Das Klima-Thema hat alles beherrscht, und das läuft nun mal | |
unter dem grünen Label.“ Vor allem junge Menschen hätten für die Öko-Part… | |
gestimmt und die Genossen links liegen lassen. | |
Im Europaparlament bereitet man sich nun auf ungewöhnlich schwierige | |
Koalitionsverhandlungen vor. Dabei könnten auch die Spitzenkandidaten | |
Federn lassen. „Ich kann heute keinen Sieg feiern“, räumte der | |
CSU-Politiker Weber ein. Dennoch habe die EVP, in der CDU und CSU den Ton | |
angeben, nun ein Anrecht „zu führen“. | |
Weber ist jedoch nicht der einzige, der einen Führungsanspruch erhebt. Die | |
ist Lage völlig anders als bei der letzten Europawahl vor fünf Jahren. | |
Damals reichten die Sozialdemokraten dem Wahlgewinner Jean-Claude Juncker | |
von der EVP sofort die Hand; er wurde dann Kommissionschef. | |
Diesmal zeichnet sich eine schwierige Verhandlung zwischen den Parteien und | |
ihren Spitzenkandidaten ab. Entschieden wird der Streit aber nicht mehr | |
nicht von den Wählern, sondern von den Staats- und Regierungschefs. Sie | |
wollen sich am Dienstag zu einem Sondergipfel in Brüssel treffen, um über | |
das Ergebnis der Europawahl zu beraten. | |
27 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Gruene-Gewinner-bei-der-Europawahl/!5597627 | |
[2] /AfD-Niederlage-bei-der-Europawahl/!5597635 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Europawahl | |
Europäische Union | |
EVP | |
Frans Timmermans | |
Manfred Weber | |
Lega Nord | |
Grüne Europa | |
Ska Keller | |
Sven Giegold | |
europawahl Politik | |
EU | |
Marine Le Pen | |
Margrethe Vestager | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
europawahl Politik | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
EU-Mitgliedstaaten | |
Schwerpunkt Europawahl | |
Schwerpunkt Europawahl | |
Schwerpunkt Europawahl | |
Grüne Europa | |
Jörg Meuthen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Postengeschacher in der EU: Spitzenkandidaten in der Sackgasse | |
Vier Wochen nach der Wahl zum EU-Parlament ist die Nachfolge für | |
Kommissionschef Juncker noch unklar. Bringt ein Gipfel am Donnerstag den | |
Durchbruch? | |
Neue rechte EU-Fraktion gebildet: Meuthen, Le Pen, Zanni | |
Die Gruppe „Identität und Demokratie“ fällt kleiner aus als befürchtet. | |
Dennoch verkündet Marine Le Pen vollmundig eine „Umwälzung“. | |
Jobbörse in der Europäischen Union: Postengeschacher im Hinterzimmer | |
Noch ist unklar, wer die Topposten ergattert. Nun sollen sechs | |
Regierungschefs den Weg weisen und eine Arbeitsgruppe im Parlament. | |
Kommentar EU-Gipfel: Neustart? Schon vergessen | |
Europas Bürger haben für mehr Demokratie und Nachhaltigkeit gestimmt. Das | |
scheint die EU-Staatschefs bei ihrem Postengeschacher nicht zu kümmern. | |
Kommentar Frankreichs Grüne: Eine Frage des Klimas | |
Mehrere Parteien setzten zur Europawahl aufs Klima. Doch viele Franzosen | |
wählten lieber das Original Les Verts, als routinierter auftretende Kopien. | |
Kommentar Bedeutung der Europawahl: Fürs Klima streiten statt kuscheln | |
Die Ergebnisse der Europawahl sind ein Erfolg fürs Klima. Das sollte nicht | |
in Plüsch-PR münden, sondern in Gestaltungsmacht. | |
Kommentar Europas Rechte: Schlimm, aber nicht schicksalhaft | |
Ja, die Rechten haben bei der EU-Wahl zugelegt, in den einzelnen Ländern | |
ist das gefährlich. Für ein EU-Bündnis aber sind sie zu widersprüchlich. | |
Wahlerfolg der Grünen: Im Rausch | |
Für die Grünen ist es ein historischer Sieg. Sie haben die SPD überholt. | |
Noch wichtiger ist, dass dieser Erfolg vermutlich dauerhaft sein wird. | |
Landtags- und Kommunalwahlen: CDU gewinnt in sechs Ländern | |
Bei der Europawahl überrascht die AfD in einigen Ländern als stärkste | |
Kraft. Bei den Kommunalwahlen behauptet sich die CDU allerdings weitgehend. | |
Nach Syriza-Absturz bei der Europawahl: Neuwahl in Griechenland | |
Nach der Wahl ist vor der Wahl: Weil die konservative Opposition haushoch | |
gegen die griechische Regierungspartei gewann, wird bald wieder gewählt. | |
Grüne Gewinner bei der Europawahl: Neue Kräfteverteilung in der EU | |
Bei der Europawahl verlieren die beiden vormals stärksten Fraktionen im | |
EU-Parlament ihre angestammte Mehrheit. Die Grünen feiern sich als Sieger. | |
AfD-Niederlage bei der Europawahl: Einbruch für Jörg Meuthen | |
Die Rechten werden laut erster Prognose mit gut zehn Prozent ins | |
EU-Parlament einziehen. Das ist nur halb so viel wie angekündigt. |