# taz.de -- EU-Sondergipfel zur Asylpolitik: Keine europäische Lösung in Sicht | |
> Beim Krisengipfel zur Flüchtlingspolitik in Brüssel konnte Merkel keinen | |
> Erfolg verbuchen. Statt um Solidarität ging es um Abschottung mit allen | |
> Mitteln. | |
Bild: Eher nationale Alleingänge als Solidarität: EU-Kommissionspräsident Je… | |
Brüssel taz | Eine „europäische Lösung“ hatte Kanzlerin Angela Merkel (C… | |
im Flüchtlingsstreit mit der CSU versprochen. Doch beim eigens für sie | |
einberufenen [1][Krisengipfel am Sonntag in Brüssel] war davon nichts zu | |
sehen. Statt allen 28 EU-Ländern – wie bei regulären EU-Gipfeln üblich – | |
nahmen daran nur 16 Mitgliedsstaaten teil. Für die gesamte EU kann diese | |
Runde nicht sprechen, Beschlüsse gab es keine. | |
Und statt von europäischen Lösungen wurde vor allem von nationalen | |
Problemen geredet. „Intensiv und nützlich“ sei die Aussprache gewesen, | |
sagte der belgische Premier Charles Michel. „Einige Unterschiede“ räumte | |
Merkel nach der rund vierstündigen Begegnung in der EU-Kommission ein. Es | |
habe „viel guten Willen“ gegeben, lobte Merkel das Treffen, das sie selbst | |
angestoßen hatte. | |
Doch um Solidarität mit den besonders belasteten Ländern Griechenland und | |
Italien ging es nicht. Auch über Rückführungen von Asylsuchenden, die | |
Merkel neuerdings besonders am Herzen liegen, wurde kaum geredet. Im | |
Mittelpunkt stand die Abschottung mit allen Mitteln – auch uneuropäischen, | |
wie [2][Sammellager in Nordafrika]. Details wurden nicht bekannt, denn die | |
Runde scheute die Presse. | |
Merkel beschränkte sich beim Herausgehen auf eine vage, vieldeutige | |
Bemerkung. Wo immer möglich, solle es europäische Lösungen geben, sagte sie | |
am Sonntag vor ihrer Rückreise nach Berlin. Ansonsten müsse man jene, „die | |
willig sind, zusammenführen“. | |
Doch dass dies gelingt, noch dazu unter Merkels Führung, ist fraglicher | |
denn je. Nach den Visegrad-Staaten (Polen, Ungarn, Tschechien und | |
Slowakei), die das Brüsseler Treffen [3][von vornherein boykottiert | |
hatten], stellte sich am Sonntag auch Italien quer – und präsentierte einen | |
eigenen, radikalen Plan. Er würde eine Abkehr von der bisherigen | |
Asylpolitik bedeuten, aber keine Hilfe für die Kanzlerin. | |
## Bi- oder trilaterale Absprachen | |
Damit könnte es nun zu einer weitere Zuspitzung in der Krise um die | |
Flüchtlingspolitik kommen. Merkel steht innenpolitisch unter massivem | |
Druck, weil der CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer [4][mit | |
einem asylpolitischen Alleingang droht] und andernorts registrierte | |
Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen will. Aber auch in der EU | |
sieht es nach einem Debakel aus – eigentlich wollte sie beim regulären | |
Gipfeltreffen Ende dieser Woche eine Lösung präsentieren. | |
Doch daraus wird wohl nichts mehr. Bis zum EU-Gipfel, der am Donnerstag in | |
Brüssel beginnt, werde noch keine Gesamtlösung möglich sein, räumte Merkel | |
ein. Deshalb gehe es in den nächsten Tagen um bi- oder trilaterale | |
Absprachen. Dazu will Merkel in den nächsten Tagen weitere Gespräche | |
führen. Sie setzt vor allem auf [5][die neue Regierung in Spanien], aber | |
auch auf Griechenland. | |
Mit Italien, wo derzeit die meisten Flüchtlinge ankommen, zeichnet sich | |
hingegen keine Verständigung ab – [6][im Gegenteil]. Der neue | |
Ministerpräsident Giuseppe Conte präsentierte am Sonntag einen | |
Zehn-Punkte-Plan, in dem er die Überwindung des so genannten Dublin-Systems | |
fordert. Dieses System bindet vor allem jene EU-Länder, in denen | |
Flüchtlinge ankommen, wie Griechenland und Italien, und entlastet andere | |
Länder wie Deutschland oder Frankreich. | |
Damit will Conte Schluss machen. Er fordert ein neues System „sicherer | |
Häfen“, zu denen nicht nur Italien zählen dürfe. Das Hauptziel müsse es | |
sein, die illegale Migration nach Europa weiter drastisch zu reduzieren, | |
unter anderem über Abkommen mit den Herkunftsländern und sogenannten | |
Schutzzentren in Transitländern. Unter diesen Bedingungen würden Bewegungen | |
innerhalb der EU dann „zur Nebensache“, heißt es in dem italienischen | |
Papier. | |
Doch genau um diese „sekundären Bewegungen“ – etwa von Italien nach | |
Österreich und dann von Österreich nach Deutschland – geht es Merkel. Um | |
Innenminister Seehofer zufriedenzustellen und ihre Macht zu sichern, will | |
sie die Weiterwanderung einschränken und Rückführungsabkommen schließen – | |
auch mit Italien. Doch Conte zeigte in Brüssel kaum Neigung, auf diesen | |
dringenden Wunsch der Kanzlerin einzugehen. Auch die anderen Staats- und | |
Regierungschefs wollten sich nicht einspannen lassen. | |
## Abschottung steht im Mittelpunkt | |
„Es geht nicht darum, ob Frau Merkel nächste Woche noch Kanzlerin bleibt | |
oder nicht“, meinte der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel. „Es | |
geht nicht um den innerdeutschen Streit“, betonte auch der österreichische | |
Bundeskanzler Sebastian Kurz, der am 1. Juli die halbjährlich wechselnde | |
EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Kurz hatte den auf Merkels Wunsch | |
kurzfristig einberufenen Sondergipfel vorab kritisiert, bot sich nun aber | |
als „Brückenbauer“ vor allem mit Osteuropa an. | |
Um einen Kompromiss will sich auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker | |
bemühen, der formal als Gastgeber firmierte und sogar ein fertiges | |
Gipfelpapier präsentiert hatte, das auf Druck Italiens aber wieder | |
zurückgezogen wurde. Im Mittelpunkt steht dabei die Abschottung der | |
EU-Außengrenzen und die Errichtung von Auffanglagern für Bootsflüchtlinge | |
innerhalb oder außerhalb der EU. Damit soll offenbar der Druck von Italien | |
genommen werden. | |
Doch bisher hat sich kein einziges Land bereit erklärt, solche Asylzentren | |
zu beherbergen. Auch die Frage, ob sie mit EU-Recht und humanitären Regeln | |
vereinbar wären, steht unbeantwortet im Raum. Zusätzlich angeheizt wird der | |
Streit durch Spannungen zwischen Frankreich und Italien. Beide Länder | |
werfen sich gegenseitig vor, zu wenig für den Schutz von Flüchtlingen zu | |
tun. Auch Malta ist in den Streit verwickelt. Regierungschef Joseph Muscat | |
warnte nach dem Brüsseler Treffen vor einer Eskalation der Krise. | |
Nun müsse schnellstmöglich an „operativen Lösungen“ gearbeitet werden, so | |
Muscat. Was er damit meinte, ließ er offen. Dabei liegt es auf der Hand: Es | |
geht um das deutsche Rettungsboot „Lifeline“, das im Mittelmeer nach einem | |
sicheren Hafen für mehr als 230 Flüchtlinge sucht. Doch [7][weder Italien | |
noch Malta] wollen Hilfe leisten. | |
Merkels „europäische Lösung“ scheitert an nationalen Egoismen, der | |
Krisengipfel hat daran nichts geändert. Im Gegenteil: Er hat die | |
Verweigerung und Abschottung hoffähig gemacht. „Wir kehren sehr zufrieden | |
nach Rom zurück“, [8][twitterte Italiens Regierungschef Conte] nach dem | |
Brüsseler Treffen. „Wir haben für diese Debatte die richtige Richtung | |
festgelegt.“ | |
25 Jun 2018 | |
## LINKS | |
[1] /EU-Sondergipfel-zur-Asylpolitik/!5515431 | |
[2] /Die-EU-und-die-Fluechtlingskrise/!5452000 | |
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[4] /Asylstreit-in-der-Union/!5511567 | |
[5] /Kommentar-Spanisches-Kabinett/!5511340 | |
[6] /Hafen-fuer-Schiff-mit-Fluechtlingen-gesperrt/!5512798 | |
[7] /Kein-Mittelmeer-Hafen-fuer-Rettungsschiff/!5515313 | |
[8] https://twitter.com/GiuseppeConteIT/status/1010943922149969926 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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